LI. Also ist die Anzahl der Advocaten nicht so schlechterdings einzuschränken.
Ihr Sohn will auch die Zahl der Advocaten vermehren, sagte jüngst mein Herr College zu mir, und zwar mit einer so wiederbürstigen Mine, als wenn er mich recht empfinden lassen wollte, ihrer wären längst mehr als zu viel gewesen, und man müßte eine Aenderung da- runter machen. Freylich, antwortete ich ihm erst ganz nachläßig, es ist ja hier der allgemeine Anfang für junge Leute, und ich denke nicht, daß man zu einer Zeit, wor- inn man alle geschlossenen Zünfte aufzuheben wünscht, um jeden Genie die völlige Freyheit zu verschaffen, seine Fähigkeiten auszuüben, das edle Recht seines Nächsten Rath und Beystand zu seyn, auf eine gewisse Zahl ein- schränken, und dieser ein Bannrecht mittheilen werde.
Ey, versetzte mein College, es ist ein Unterschied unter Handwerkern und Fabricanten, die das Vermögen des Staats vermehren, und solchen die blos von dem sauren Schweisse andrer Leute leben wollen. Es ist kein einziger Advocat, der das natürliche Vermögen des Staats auch nur um ein Korn vermehrt; keiner der davon das allermindeste veredelt; sie leben alle wie die Raubbienen von dem Fleisse der guten Bienen; zerstören ihre Stöcke, und fliegen, wenn sie den einen aufgefressen haben, zum andern. Wie mancher frommer Mann würde ein kleines Unrecht als ein Unglück verschmerzen; oder den Frieden mit seinen Nachbaren, welcher wenn er mit Fleiß ge- sacht wird, leicht zu finden ist, unterhalten, wenn nicht
die-
N 4
LI. Alſo iſt die Anzahl der Advocaten nicht ſo ſchlechterdings einzuſchraͤnken.
Ihr Sohn will auch die Zahl der Advocaten vermehren, ſagte juͤngſt mein Herr College zu mir, und zwar mit einer ſo wiederbuͤrſtigen Mine, als wenn er mich recht empfinden laſſen wollte, ihrer waͤren laͤngſt mehr als zu viel geweſen, und man muͤßte eine Aenderung da- runter machen. Freylich, antwortete ich ihm erſt ganz nachlaͤßig, es iſt ja hier der allgemeine Anfang fuͤr junge Leute, und ich denke nicht, daß man zu einer Zeit, wor- inn man alle geſchloſſenen Zuͤnfte aufzuheben wuͤnſcht, um jeden Genie die voͤllige Freyheit zu verſchaffen, ſeine Faͤhigkeiten auszuuͤben, das edle Recht ſeines Naͤchſten Rath und Beyſtand zu ſeyn, auf eine gewiſſe Zahl ein- ſchraͤnken, und dieſer ein Bannrecht mittheilen werde.
Ey, verſetzte mein College, es iſt ein Unterſchied unter Handwerkern und Fabricanten, die das Vermoͤgen des Staats vermehren, und ſolchen die blos von dem ſauren Schweiſſe andrer Leute leben wollen. Es iſt kein einziger Advocat, der das natuͤrliche Vermoͤgen des Staats auch nur um ein Korn vermehrt; keiner der davon das allermindeſte veredelt; ſie leben alle wie die Raubbienen von dem Fleiſſe der guten Bienen; zerſtoͤren ihre Stoͤcke, und fliegen, wenn ſie den einen aufgefreſſen haben, zum andern. Wie mancher frommer Mann wuͤrde ein kleines Unrecht als ein Ungluͤck verſchmerzen; oder den Frieden mit ſeinen Nachbaren, welcher wenn er mit Fleiß ge- ſacht wird, leicht zu finden iſt, unterhalten, wenn nicht
die-
N 4
<TEI><text><body><pbfacs="#f0213"n="199"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><divn="1"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">LI.</hi><lb/>
Alſo iſt die Anzahl der Advocaten nicht ſo<lb/>ſchlechterdings einzuſchraͤnken.</hi></head><lb/><p>Ihr Sohn will auch die Zahl der Advocaten vermehren,<lb/>ſagte juͤngſt mein Herr College zu mir, und zwar<lb/>
mit einer ſo wiederbuͤrſtigen Mine, als wenn er mich<lb/>
recht empfinden laſſen wollte, ihrer waͤren laͤngſt mehr<lb/>
als zu viel geweſen, und man muͤßte eine Aenderung da-<lb/>
runter machen. Freylich, antwortete ich ihm erſt ganz<lb/>
nachlaͤßig, es iſt ja hier der allgemeine Anfang fuͤr junge<lb/>
Leute, und ich denke nicht, daß man zu einer Zeit, wor-<lb/>
inn man alle geſchloſſenen Zuͤnfte aufzuheben wuͤnſcht,<lb/>
um jeden Genie die voͤllige Freyheit zu verſchaffen, ſeine<lb/>
Faͤhigkeiten auszuuͤben, das edle Recht ſeines Naͤchſten<lb/>
Rath und Beyſtand zu ſeyn, auf eine gewiſſe Zahl ein-<lb/>ſchraͤnken, und dieſer ein Bannrecht mittheilen werde.</p><lb/><p>Ey, verſetzte mein College, es iſt ein Unterſchied<lb/>
unter Handwerkern und Fabricanten, die das Vermoͤgen<lb/>
des Staats vermehren, und ſolchen die blos von dem<lb/>ſauren Schweiſſe andrer Leute leben wollen. Es iſt kein<lb/>
einziger Advocat, der das natuͤrliche Vermoͤgen des Staats<lb/>
auch nur um ein Korn vermehrt; keiner der davon das<lb/>
allermindeſte veredelt; ſie leben alle wie die Raubbienen<lb/>
von dem Fleiſſe der guten Bienen; zerſtoͤren ihre Stoͤcke,<lb/>
und fliegen, wenn ſie den einen aufgefreſſen haben, zum<lb/>
andern. Wie mancher frommer Mann wuͤrde ein kleines<lb/>
Unrecht als ein Ungluͤck verſchmerzen; oder den Frieden<lb/>
mit ſeinen Nachbaren, welcher wenn er mit Fleiß ge-<lb/>ſacht wird, leicht zu finden iſt, unterhalten, wenn nicht<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">die-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[199/0213]
LI.
Alſo iſt die Anzahl der Advocaten nicht ſo
ſchlechterdings einzuſchraͤnken.
Ihr Sohn will auch die Zahl der Advocaten vermehren,
ſagte juͤngſt mein Herr College zu mir, und zwar
mit einer ſo wiederbuͤrſtigen Mine, als wenn er mich
recht empfinden laſſen wollte, ihrer waͤren laͤngſt mehr
als zu viel geweſen, und man muͤßte eine Aenderung da-
runter machen. Freylich, antwortete ich ihm erſt ganz
nachlaͤßig, es iſt ja hier der allgemeine Anfang fuͤr junge
Leute, und ich denke nicht, daß man zu einer Zeit, wor-
inn man alle geſchloſſenen Zuͤnfte aufzuheben wuͤnſcht,
um jeden Genie die voͤllige Freyheit zu verſchaffen, ſeine
Faͤhigkeiten auszuuͤben, das edle Recht ſeines Naͤchſten
Rath und Beyſtand zu ſeyn, auf eine gewiſſe Zahl ein-
ſchraͤnken, und dieſer ein Bannrecht mittheilen werde.
Ey, verſetzte mein College, es iſt ein Unterſchied
unter Handwerkern und Fabricanten, die das Vermoͤgen
des Staats vermehren, und ſolchen die blos von dem
ſauren Schweiſſe andrer Leute leben wollen. Es iſt kein
einziger Advocat, der das natuͤrliche Vermoͤgen des Staats
auch nur um ein Korn vermehrt; keiner der davon das
allermindeſte veredelt; ſie leben alle wie die Raubbienen
von dem Fleiſſe der guten Bienen; zerſtoͤren ihre Stoͤcke,
und fliegen, wenn ſie den einen aufgefreſſen haben, zum
andern. Wie mancher frommer Mann wuͤrde ein kleines
Unrecht als ein Ungluͤck verſchmerzen; oder den Frieden
mit ſeinen Nachbaren, welcher wenn er mit Fleiß ge-
ſacht wird, leicht zu finden iſt, unterhalten, wenn nicht
die-
N 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/213>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.