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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Schreiben einer Gutsfrau,
den. Auf diese Art ist es nicht leicht möglich, daß einiger
Streit über ihre Pflichten entstehen könne; und die Bitte
die mein Mann sich in gewissen Nothfällen vorbehalten hat,
kann zu keiner Zeit in eine ordentliche und gewöhnliche
Pflicht übergehen, weil das Bitten selbst redet, und der
Nothfall so eingeschränkt ist, daß diese Bitte nur alsdenn
gewähret werden muß, wenn der Schutzherr sein Haus
oder sein vornehmstes Oekonomiegebäude ganz neu bauet.
In diesem Falle kommen sie ihm mit Bittfuhren und Dien-
sten zu Hülfe; aber ausser demselben entrichten sie nichts da-
für. Jetzt zu den Artikeln.

Der erste bestimmte zu den Ablieferungen der Korn-
pächte einen gewissen Tag, an welchem sich alle Pflichtigen,
in so fern sie wegen erlittener Unglücksfälle keinen Nachlaß
zu rechter Zeit gesucht und erhalten haben, mit ihren
Pachtkorn zugleich einfinden müssen. Wer diesen versäu-
met, darf das Jahr an dem Feste der Freyheit nicht er-
scheinen; stirbt er vor dem nächsten Freyheitstage, ohne
sich binnen den ersten vierzehn Tagen nach verflossenem Ter-
min, mit seiner Pacht eingestellet zu haben; so mag er als
ein Leibeigner beerbtheilt werden. Ueberdem mag ihn der
Schutzherr, wenn diese 14 Tage vorbey sind, nach Guts-
herrn Recht pfänden lassen, und gegen ihn weiter zu Rechte
verfahren. Erscheinet er aber das nächste Jahr ordentlich:
so tritt er wieder in das vorige Freyenrecht, jedoch muß
er den Freyen eine halbe Tonne Bier geben; und der Ehren-
tanz wie der Ehrenbrecher kömmt an ihn zuletzt.

Der zweyte bestimmt die schuldigen Dienste. Mein
Mann war nicht der Meinung, daß es besser sey, die Dien-
ste auf ewig in Geld zu verwandeln Er hielt vielmehr da-
für, daß seine Freyen in hiesigen Gegenden manchen Tag
und manche Stunde Zeit von ihrer Arbeit übrig hätten,

worinn

Schreiben einer Gutsfrau,
den. Auf dieſe Art iſt es nicht leicht moͤglich, daß einiger
Streit uͤber ihre Pflichten entſtehen koͤnne; und die Bitte
die mein Mann ſich in gewiſſen Nothfaͤllen vorbehalten hat,
kann zu keiner Zeit in eine ordentliche und gewoͤhnliche
Pflicht uͤbergehen, weil das Bitten ſelbſt redet, und der
Nothfall ſo eingeſchraͤnkt iſt, daß dieſe Bitte nur alsdenn
gewaͤhret werden muß, wenn der Schutzherr ſein Haus
oder ſein vornehmſtes Oekonomiegebaͤude ganz neu bauet.
In dieſem Falle kommen ſie ihm mit Bittfuhren und Dien-
ſten zu Huͤlfe; aber auſſer demſelben entrichten ſie nichts da-
fuͤr. Jetzt zu den Artikeln.

Der erſte beſtimmte zu den Ablieferungen der Korn-
paͤchte einen gewiſſen Tag, an welchem ſich alle Pflichtigen,
in ſo fern ſie wegen erlittener Ungluͤcksfaͤlle keinen Nachlaß
zu rechter Zeit geſucht und erhalten haben, mit ihren
Pachtkorn zugleich einfinden muͤſſen. Wer dieſen verſaͤu-
met, darf das Jahr an dem Feſte der Freyheit nicht er-
ſcheinen; ſtirbt er vor dem naͤchſten Freyheitstage, ohne
ſich binnen den erſten vierzehn Tagen nach verfloſſenem Ter-
min, mit ſeiner Pacht eingeſtellet zu haben; ſo mag er als
ein Leibeigner beerbtheilt werden. Ueberdem mag ihn der
Schutzherr, wenn dieſe 14 Tage vorbey ſind, nach Guts-
herrn Recht pfaͤnden laſſen, und gegen ihn weiter zu Rechte
verfahren. Erſcheinet er aber das naͤchſte Jahr ordentlich:
ſo tritt er wieder in das vorige Freyenrecht, jedoch muß
er den Freyen eine halbe Tonne Bier geben; und der Ehren-
tanz wie der Ehrenbrecher koͤmmt an ihn zuletzt.

Der zweyte beſtimmt die ſchuldigen Dienſte. Mein
Mann war nicht der Meinung, daß es beſſer ſey, die Dien-
ſte auf ewig in Geld zu verwandeln Er hielt vielmehr da-
fuͤr, daß ſeine Freyen in hieſigen Gegenden manchen Tag
und manche Stunde Zeit von ihrer Arbeit uͤbrig haͤtten,

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[232/0246] Schreiben einer Gutsfrau, den. Auf dieſe Art iſt es nicht leicht moͤglich, daß einiger Streit uͤber ihre Pflichten entſtehen koͤnne; und die Bitte die mein Mann ſich in gewiſſen Nothfaͤllen vorbehalten hat, kann zu keiner Zeit in eine ordentliche und gewoͤhnliche Pflicht uͤbergehen, weil das Bitten ſelbſt redet, und der Nothfall ſo eingeſchraͤnkt iſt, daß dieſe Bitte nur alsdenn gewaͤhret werden muß, wenn der Schutzherr ſein Haus oder ſein vornehmſtes Oekonomiegebaͤude ganz neu bauet. In dieſem Falle kommen ſie ihm mit Bittfuhren und Dien- ſten zu Huͤlfe; aber auſſer demſelben entrichten ſie nichts da- fuͤr. Jetzt zu den Artikeln. Der erſte beſtimmte zu den Ablieferungen der Korn- paͤchte einen gewiſſen Tag, an welchem ſich alle Pflichtigen, in ſo fern ſie wegen erlittener Ungluͤcksfaͤlle keinen Nachlaß zu rechter Zeit geſucht und erhalten haben, mit ihren Pachtkorn zugleich einfinden muͤſſen. Wer dieſen verſaͤu- met, darf das Jahr an dem Feſte der Freyheit nicht er- ſcheinen; ſtirbt er vor dem naͤchſten Freyheitstage, ohne ſich binnen den erſten vierzehn Tagen nach verfloſſenem Ter- min, mit ſeiner Pacht eingeſtellet zu haben; ſo mag er als ein Leibeigner beerbtheilt werden. Ueberdem mag ihn der Schutzherr, wenn dieſe 14 Tage vorbey ſind, nach Guts- herrn Recht pfaͤnden laſſen, und gegen ihn weiter zu Rechte verfahren. Erſcheinet er aber das naͤchſte Jahr ordentlich: ſo tritt er wieder in das vorige Freyenrecht, jedoch muß er den Freyen eine halbe Tonne Bier geben; und der Ehren- tanz wie der Ehrenbrecher koͤmmt an ihn zuletzt. Der zweyte beſtimmt die ſchuldigen Dienſte. Mein Mann war nicht der Meinung, daß es beſſer ſey, die Dien- ſte auf ewig in Geld zu verwandeln Er hielt vielmehr da- fuͤr, daß ſeine Freyen in hieſigen Gegenden manchen Tag und manche Stunde Zeit von ihrer Arbeit uͤbrig haͤtten, worinn

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/246>, abgerufen am 29.11.2024.