Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

als die Ausheurung der Bauerhöfe.
den Heuermann, der nicht weichen will, bevor ihm seine
ganze Besserung bezahlet worden; und dieser pfändet im-
mer darauf los, ohne für unsre Pächte etwas übrig zu
lassen. Wo noch ein armer Eigenbehöriger ist: da hat er so
viel Geschwister von seinem Vater und Großvater, die ihre
Kindestheile von ihm fordern, daß er sich gar nicht mehr
retten kann *). Kurz, wir müssen darauf denken, entwe-
der die Verfassung so wie solche vor dreyhundert Jahren
war, wieder einzuführen, oder dem Heuerwesen eine ganz
andre Form geben.

Das erste wird schwer halten, bemerkte ein Moralist,
die ganze Nation ist leichtfertig und flüchtig geworden. Es
ist keiner mehr, der es fühlt, was es sey ein väterliches
Erbe mit eignen Pferden
zu bauen. Der Heuerling zieht
von einem Erbe aufs andre, ohne einen zärtlichen Blick
nach dem Verlassenen zu werfen. Jeder sieht seine Woh-
nung als eine Herberge an, und denkt nicht an denjenigen,
der nach ihm kömmt. Ueberall fehlt die Liebe zu dem ge-
heuerten Grunde; mit ihr die Sorge für eine Nachkom-
menschaft; und mit dieser der edle Trieb zur dauerhaften
Verbesserung. Man rupft von den Höfen was man kann,
und denkt: wann die Heuerjahre um sind, so mögen Di-
steln und Dornen den Grund bedecken. Ich habe neulich
meinen Leibeignen abäussern müssen. Himmel! wie quälte
mich der Mann, ihn auf dem Hofe zu lassen; er weinete
und heulete nicht anders, als wenn er Frau und Kinder
verlieren sollte; ich mußte ihn mit Gewalt aus dem Hause

füh-
*) Mit den Abfindungen oder Auslobungen der Geschwister von
einem Bauerhofe ist es im Stift Oßnabrück eine besondre Sache,
nachdem durch eine unglückliche Folge römischer Begriffe, der
Erbe zum Hofe vor seinen Geschwistern nur eine doppelte Por-
tion voraus hat, und ihnen nach diesem Verhältniß herausge-
ben muß. Alle Höfe müssen dabey zu Grunde gehen.
S 4

als die Ausheurung der Bauerhoͤfe.
den Heuermann, der nicht weichen will, bevor ihm ſeine
ganze Beſſerung bezahlet worden; und dieſer pfaͤndet im-
mer darauf los, ohne fuͤr unſre Paͤchte etwas uͤbrig zu
laſſen. Wo noch ein armer Eigenbehoͤriger iſt: da hat er ſo
viel Geſchwiſter von ſeinem Vater und Großvater, die ihre
Kindestheile von ihm fordern, daß er ſich gar nicht mehr
retten kann *). Kurz, wir muͤſſen darauf denken, entwe-
der die Verfaſſung ſo wie ſolche vor dreyhundert Jahren
war, wieder einzufuͤhren, oder dem Heuerweſen eine ganz
andre Form geben.

Das erſte wird ſchwer halten, bemerkte ein Moraliſt,
die ganze Nation iſt leichtfertig und fluͤchtig geworden. Es
iſt keiner mehr, der es fuͤhlt, was es ſey ein vaͤterliches
Erbe mit eignen Pferden
zu bauen. Der Heuerling zieht
von einem Erbe aufs andre, ohne einen zaͤrtlichen Blick
nach dem Verlaſſenen zu werfen. Jeder ſieht ſeine Woh-
nung als eine Herberge an, und denkt nicht an denjenigen,
der nach ihm koͤmmt. Ueberall fehlt die Liebe zu dem ge-
heuerten Grunde; mit ihr die Sorge fuͤr eine Nachkom-
menſchaft; und mit dieſer der edle Trieb zur dauerhaften
Verbeſſerung. Man rupft von den Hoͤfen was man kann,
und denkt: wann die Heuerjahre um ſind, ſo moͤgen Di-
ſteln und Dornen den Grund bedecken. Ich habe neulich
meinen Leibeignen abaͤuſſern muͤſſen. Himmel! wie quaͤlte
mich der Mann, ihn auf dem Hofe zu laſſen; er weinete
und heulete nicht anders, als wenn er Frau und Kinder
verlieren ſollte; ich mußte ihn mit Gewalt aus dem Hauſe

fuͤh-
*) Mit den Abfindungen oder Auslobungen der Geſchwiſter von
einem Bauerhofe iſt es im Stift Oßnabruͤck eine beſondre Sache,
nachdem durch eine ungluͤckliche Folge roͤmiſcher Begriffe, der
Erbe zum Hofe vor ſeinen Geſchwiſtern nur eine doppelte Por-
tion voraus hat, und ihnen nach dieſem Verhaͤltniß herausge-
ben muß. Alle Hoͤfe muͤſſen dabey zu Grunde gehen.
S 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0293" n="279"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">als die Ausheurung der Bauerho&#x0364;fe.</hi></fw><lb/>
den Heuermann, der nicht weichen will, bevor ihm &#x017F;eine<lb/>
ganze Be&#x017F;&#x017F;erung bezahlet worden; und die&#x017F;er pfa&#x0364;ndet im-<lb/>
mer darauf los, ohne fu&#x0364;r un&#x017F;re Pa&#x0364;chte etwas u&#x0364;brig zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Wo noch ein armer Eigenbeho&#x0364;riger i&#x017F;t: da hat er &#x017F;o<lb/>
viel Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter von &#x017F;einem Vater und Großvater, die ihre<lb/>
Kindestheile von ihm fordern, daß er &#x017F;ich gar nicht mehr<lb/>
retten kann <note place="foot" n="*)">Mit den Abfindungen oder Auslobungen der Ge&#x017F;chwi&#x017F;ter von<lb/>
einem Bauerhofe i&#x017F;t es im Stift Oßnabru&#x0364;ck eine be&#x017F;ondre Sache,<lb/>
nachdem durch eine unglu&#x0364;ckliche Folge ro&#x0364;mi&#x017F;cher Begriffe, der<lb/>
Erbe zum Hofe vor &#x017F;einen Ge&#x017F;chwi&#x017F;tern nur eine doppelte Por-<lb/>
tion voraus hat, und ihnen nach die&#x017F;em Verha&#x0364;ltniß herausge-<lb/>
ben muß. Alle Ho&#x0364;fe mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en dabey zu Grunde gehen.</note>. Kurz, wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en darauf denken, entwe-<lb/>
der die Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;o wie &#x017F;olche vor dreyhundert Jahren<lb/>
war, wieder einzufu&#x0364;hren, oder dem Heuerwe&#x017F;en eine ganz<lb/>
andre Form geben.</p><lb/>
        <p>Das er&#x017F;te wird &#x017F;chwer halten, bemerkte ein Morali&#x017F;t,<lb/>
die ganze Nation i&#x017F;t leichtfertig und flu&#x0364;chtig geworden. Es<lb/>
i&#x017F;t keiner mehr, der es fu&#x0364;hlt, was es &#x017F;ey <hi rendition="#fr">ein va&#x0364;terliches<lb/>
Erbe mit eignen Pferden</hi> zu bauen. Der Heuerling zieht<lb/>
von einem Erbe aufs andre, ohne einen za&#x0364;rtlichen Blick<lb/>
nach dem Verla&#x017F;&#x017F;enen zu werfen. Jeder &#x017F;ieht &#x017F;eine Woh-<lb/>
nung als eine Herberge an, und denkt nicht an denjenigen,<lb/>
der nach ihm ko&#x0364;mmt. Ueberall fehlt die Liebe zu dem ge-<lb/>
heuerten Grunde; mit ihr die Sorge fu&#x0364;r eine Nachkom-<lb/>
men&#x017F;chaft; und mit die&#x017F;er der edle Trieb zur dauerhaften<lb/>
Verbe&#x017F;&#x017F;erung. Man rupft von den Ho&#x0364;fen was man kann,<lb/>
und denkt: wann die Heuerjahre um &#x017F;ind, &#x017F;o mo&#x0364;gen Di-<lb/>
&#x017F;teln und Dornen den Grund bedecken. Ich habe neulich<lb/>
meinen Leibeignen aba&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Himmel! wie qua&#x0364;lte<lb/>
mich der Mann, ihn auf dem Hofe zu la&#x017F;&#x017F;en; er weinete<lb/>
und heulete nicht anders, als wenn er Frau und Kinder<lb/>
verlieren &#x017F;ollte; ich mußte ihn mit Gewalt aus dem Hau&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 4</fw><fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;h-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0293] als die Ausheurung der Bauerhoͤfe. den Heuermann, der nicht weichen will, bevor ihm ſeine ganze Beſſerung bezahlet worden; und dieſer pfaͤndet im- mer darauf los, ohne fuͤr unſre Paͤchte etwas uͤbrig zu laſſen. Wo noch ein armer Eigenbehoͤriger iſt: da hat er ſo viel Geſchwiſter von ſeinem Vater und Großvater, die ihre Kindestheile von ihm fordern, daß er ſich gar nicht mehr retten kann *). Kurz, wir muͤſſen darauf denken, entwe- der die Verfaſſung ſo wie ſolche vor dreyhundert Jahren war, wieder einzufuͤhren, oder dem Heuerweſen eine ganz andre Form geben. Das erſte wird ſchwer halten, bemerkte ein Moraliſt, die ganze Nation iſt leichtfertig und fluͤchtig geworden. Es iſt keiner mehr, der es fuͤhlt, was es ſey ein vaͤterliches Erbe mit eignen Pferden zu bauen. Der Heuerling zieht von einem Erbe aufs andre, ohne einen zaͤrtlichen Blick nach dem Verlaſſenen zu werfen. Jeder ſieht ſeine Woh- nung als eine Herberge an, und denkt nicht an denjenigen, der nach ihm koͤmmt. Ueberall fehlt die Liebe zu dem ge- heuerten Grunde; mit ihr die Sorge fuͤr eine Nachkom- menſchaft; und mit dieſer der edle Trieb zur dauerhaften Verbeſſerung. Man rupft von den Hoͤfen was man kann, und denkt: wann die Heuerjahre um ſind, ſo moͤgen Di- ſteln und Dornen den Grund bedecken. Ich habe neulich meinen Leibeignen abaͤuſſern muͤſſen. Himmel! wie quaͤlte mich der Mann, ihn auf dem Hofe zu laſſen; er weinete und heulete nicht anders, als wenn er Frau und Kinder verlieren ſollte; ich mußte ihn mit Gewalt aus dem Hauſe fuͤh- *) Mit den Abfindungen oder Auslobungen der Geſchwiſter von einem Bauerhofe iſt es im Stift Oßnabruͤck eine beſondre Sache, nachdem durch eine ungluͤckliche Folge roͤmiſcher Begriffe, der Erbe zum Hofe vor ſeinen Geſchwiſtern nur eine doppelte Por- tion voraus hat, und ihnen nach dieſem Verhaͤltniß herausge- ben muß. Alle Hoͤfe muͤſſen dabey zu Grunde gehen. S 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/293
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/293>, abgerufen am 25.11.2024.