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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Gedanken von dem Ursprung und Nutzen
nungen bezogen sich alle auf Classen; eben wie jetzt die
Kriegsartikel keine Territorialgesetze sind, sondern nur die-
jenigen, so zum Kriegesstaat gehören, verbinden. Ein
Biesterfreyer entzog sich also auch den Gesetzen. Er hatte
folglich drittens auch kein Recht, keinen Richter, keinen
Advocaten nach damaliger Art, und keine Zeugen. Denn
dies waren derozeit bürgerliche Wohlthaten, welche einem
jeden umsonst angediehen; und Richter, Advocaten und
Zeugen waren immindesten nicht verpflichtet, solchen un-
holden, ungetreuen und ungewärtigen Leuten ihre Dienste
zu weihen. Er war viertens ohne Ehre, weil alle Ehre
nothwendig ganz allein für die Classe war; und überall
mit der Last, welche einer für das gemeine Beste über-
nimmt, verknüpft ist. Er konnte, wenn er starb, so
wenig auf den Kirchhof kommen, als verläutet und be-
gleitet werden. Denn der Kirchhof und die Glocke gehörte
einzig und allein den Genossen; und die Leichenbegleitung
ist überall die Folge einer Vereinigung. Der Biesterfreye
hatte sich aber darinn nicht begeben. Da fünftens das
römische und canonische Recht noch nicht das Recht aller
derjenigen war, die gar keines hatten: so würde es hun-
dert Schwierigkeiten gesetzt haben, ihnen zu Rechte zu
helfen. Denn man wuste nicht, ob sie in Gemeinschaft
der Güter lebten, ob der älteste oder jüngste erbte, ob die
Wittwe ein Witthum hatte etc. etc. Diejenigen ächten, wah-
ren und rechtmäßigen Einwohner eines Staats, handel-
ten also gar nicht unbillig, wenn sie sich dergleichen Wild-
fänge gar nicht annahmen, ihnen kein Recht, keinen Richter,
keine Ehre, keine Ehe, kein Witthum, keinen Contrakt gestan-
den, sondern sie der blossen Willkühr der Landesherrschaft
überliessen. War es doch ihre Schuld, daß sie sich nicht
hatten in eine privilegirte Classe einschreiben lassen.

Ganz

Gedanken von dem Urſprung und Nutzen
nungen bezogen ſich alle auf Claſſen; eben wie jetzt die
Kriegsartikel keine Territorialgeſetze ſind, ſondern nur die-
jenigen, ſo zum Kriegesſtaat gehoͤren, verbinden. Ein
Bieſterfreyer entzog ſich alſo auch den Geſetzen. Er hatte
folglich drittens auch kein Recht, keinen Richter, keinen
Advocaten nach damaliger Art, und keine Zeugen. Denn
dies waren derozeit buͤrgerliche Wohlthaten, welche einem
jeden umſonſt angediehen; und Richter, Advocaten und
Zeugen waren immindeſten nicht verpflichtet, ſolchen un-
holden, ungetreuen und ungewaͤrtigen Leuten ihre Dienſte
zu weihen. Er war viertens ohne Ehre, weil alle Ehre
nothwendig ganz allein fuͤr die Claſſe war; und uͤberall
mit der Laſt, welche einer fuͤr das gemeine Beſte uͤber-
nimmt, verknuͤpft iſt. Er konnte, wenn er ſtarb, ſo
wenig auf den Kirchhof kommen, als verlaͤutet und be-
gleitet werden. Denn der Kirchhof und die Glocke gehoͤrte
einzig und allein den Genoſſen; und die Leichenbegleitung
iſt uͤberall die Folge einer Vereinigung. Der Bieſterfreye
hatte ſich aber darinn nicht begeben. Da fuͤnftens das
roͤmiſche und canoniſche Recht noch nicht das Recht aller
derjenigen war, die gar keines hatten: ſo wuͤrde es hun-
dert Schwierigkeiten geſetzt haben, ihnen zu Rechte zu
helfen. Denn man wuſte nicht, ob ſie in Gemeinſchaft
der Guͤter lebten, ob der aͤlteſte oder juͤngſte erbte, ob die
Wittwe ein Witthum hatte ꝛc. ꝛc. Diejenigen aͤchten, wah-
ren und rechtmaͤßigen Einwohner eines Staats, handel-
ten alſo gar nicht unbillig, wenn ſie ſich dergleichen Wild-
faͤnge gar nicht annahmen, ihnen kein Recht, keinen Richter,
keine Ehre, keine Ehe, kein Witthum, keinen Contrakt geſtan-
den, ſondern ſie der bloſſen Willkuͤhr der Landesherrſchaft
uͤberlieſſen. War es doch ihre Schuld, daß ſie ſich nicht
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[352/0366] Gedanken von dem Urſprung und Nutzen nungen bezogen ſich alle auf Claſſen; eben wie jetzt die Kriegsartikel keine Territorialgeſetze ſind, ſondern nur die- jenigen, ſo zum Kriegesſtaat gehoͤren, verbinden. Ein Bieſterfreyer entzog ſich alſo auch den Geſetzen. Er hatte folglich drittens auch kein Recht, keinen Richter, keinen Advocaten nach damaliger Art, und keine Zeugen. Denn dies waren derozeit buͤrgerliche Wohlthaten, welche einem jeden umſonſt angediehen; und Richter, Advocaten und Zeugen waren immindeſten nicht verpflichtet, ſolchen un- holden, ungetreuen und ungewaͤrtigen Leuten ihre Dienſte zu weihen. Er war viertens ohne Ehre, weil alle Ehre nothwendig ganz allein fuͤr die Claſſe war; und uͤberall mit der Laſt, welche einer fuͤr das gemeine Beſte uͤber- nimmt, verknuͤpft iſt. Er konnte, wenn er ſtarb, ſo wenig auf den Kirchhof kommen, als verlaͤutet und be- gleitet werden. Denn der Kirchhof und die Glocke gehoͤrte einzig und allein den Genoſſen; und die Leichenbegleitung iſt uͤberall die Folge einer Vereinigung. Der Bieſterfreye hatte ſich aber darinn nicht begeben. Da fuͤnftens das roͤmiſche und canoniſche Recht noch nicht das Recht aller derjenigen war, die gar keines hatten: ſo wuͤrde es hun- dert Schwierigkeiten geſetzt haben, ihnen zu Rechte zu helfen. Denn man wuſte nicht, ob ſie in Gemeinſchaft der Guͤter lebten, ob der aͤlteſte oder juͤngſte erbte, ob die Wittwe ein Witthum hatte ꝛc. ꝛc. Diejenigen aͤchten, wah- ren und rechtmaͤßigen Einwohner eines Staats, handel- ten alſo gar nicht unbillig, wenn ſie ſich dergleichen Wild- faͤnge gar nicht annahmen, ihnen kein Recht, keinen Richter, keine Ehre, keine Ehe, kein Witthum, keinen Contrakt geſtan- den, ſondern ſie der bloſſen Willkuͤhr der Landesherrſchaft uͤberlieſſen. War es doch ihre Schuld, daß ſie ſich nicht hatten in eine privilegirte Claſſe einſchreiben laſſen. Ganz

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/366>, abgerufen am 21.11.2024.