Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Politik im Unglück.
ich Ihnen doch noch eins von meiner Heldin erzählen. Sie
können es aber nach Ihrer Bequemlichkeit Morgen oder
Uebermorgen lesen.

Wie sie Braut gewesen war, hatte ihr ein alter Bedien-
ter ihres Vaters heimlich tausend Mark zu Tändelgelde ge-
liehen, was sie auch in einigen Abenden glücklich vermanscht
hatte. Dieses Geld war des armen Kerls ganzes Ver-
mögen, was er in seinem dreyßig jährigen Dienste erspa-
ret hatte. Bey dem Ausbruch des Concurses hatte sie sich
dieser Schuld nicht erinnert; der Gläubiger hatte sie auch
aus Achtung vor ihr väterliches Haus nicht gemahnt; und
so war der Concurs geendiget, ohne daß dieser ehrliche
Mann etwas erhalten hatte. Auf einmal kömmt er vorige
Woche zu ihr, sagt aber doch kein Wort von seiner For-
derung, sondern begegnet ihr, wie der Tochter seines vor-
maligen Herrn. Allein sie fällt vor Schrecken zur Erde;
und "nie, sagte sie einige Tage nachher zu mir, habe ich
das Entsetzliche meines Zustandes so sehr empfunden als in
diesem Augenblicke. Meine ganze Habseligkeit, fuhr sie
fort, bestand damals eben in drey Mark vier ß.; das Geld,
was ich für meine Hemden empfangen hatte, und mir ge-
schenkt wurde, hatte ich zur Befriedigung einiger geringen
und armen Gläubiger, die aus dem Concurs nichts em-
pfangen sollten, angewandt, weil ich es nicht ertragen
konnte, daß diese Leute, die das Ihrige sauer verdienet,
und selbst kein Brod hatten, über mich senfzen sollten. Zu
verkaufen hatte ich nichts, weil ich weiter nichts behalten,
als was zur äussersten Nothdurft gehörete. Was sollt ich
thun? ... Der arme Kerl fieng an zu weinen, und
wollte mich trösten, indem er sagte, er käme ja nicht um
etwas von mir zu begehren, er wollte wohl sehen, daß er
sich noch behülfe. Aber ich erinnerte mich jetzt, daß er

schon

Die Politik im Ungluͤck.
ich Ihnen doch noch eins von meiner Heldin erzaͤhlen. Sie
koͤnnen es aber nach Ihrer Bequemlichkeit Morgen oder
Uebermorgen leſen.

Wie ſie Braut geweſen war, hatte ihr ein alter Bedien-
ter ihres Vaters heimlich tauſend Mark zu Taͤndelgelde ge-
liehen, was ſie auch in einigen Abenden gluͤcklich vermanſcht
hatte. Dieſes Geld war des armen Kerls ganzes Ver-
moͤgen, was er in ſeinem dreyßig jaͤhrigen Dienſte erſpa-
ret hatte. Bey dem Ausbruch des Concurſes hatte ſie ſich
dieſer Schuld nicht erinnert; der Glaͤubiger hatte ſie auch
aus Achtung vor ihr vaͤterliches Haus nicht gemahnt; und
ſo war der Concurs geendiget, ohne daß dieſer ehrliche
Mann etwas erhalten hatte. Auf einmal koͤmmt er vorige
Woche zu ihr, ſagt aber doch kein Wort von ſeiner For-
derung, ſondern begegnet ihr, wie der Tochter ſeines vor-
maligen Herrn. Allein ſie faͤllt vor Schrecken zur Erde;
und ”nie, ſagte ſie einige Tage nachher zu mir, habe ich
das Entſetzliche meines Zuſtandes ſo ſehr empfunden als in
dieſem Augenblicke. Meine ganze Habſeligkeit, fuhr ſie
fort, beſtand damals eben in drey Mark vier ß.; das Geld,
was ich fuͤr meine Hemden empfangen hatte, und mir ge-
ſchenkt wurde, hatte ich zur Befriedigung einiger geringen
und armen Glaͤubiger, die aus dem Concurs nichts em-
pfangen ſollten, angewandt, weil ich es nicht ertragen
konnte, daß dieſe Leute, die das Ihrige ſauer verdienet,
und ſelbſt kein Brod hatten, uͤber mich ſenfzen ſollten. Zu
verkaufen hatte ich nichts, weil ich weiter nichts behalten,
als was zur aͤuſſerſten Nothdurft gehoͤrete. Was ſollt ich
thun? … Der arme Kerl fieng an zu weinen, und
wollte mich troͤſten, indem er ſagte, er kaͤme ja nicht um
etwas von mir zu begehren, er wollte wohl ſehen, daß er
ſich noch behuͤlfe. Aber ich erinnerte mich jetzt, daß er

ſchon
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0048" n="34"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Politik im Unglu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
ich Ihnen doch noch eins von meiner Heldin erza&#x0364;hlen. Sie<lb/>
ko&#x0364;nnen es aber nach Ihrer Bequemlichkeit Morgen oder<lb/>
Uebermorgen le&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Wie &#x017F;ie Braut gewe&#x017F;en war, hatte ihr ein alter Bedien-<lb/>
ter ihres Vaters heimlich tau&#x017F;end Mark zu Ta&#x0364;ndelgelde ge-<lb/>
liehen, was &#x017F;ie auch in einigen Abenden glu&#x0364;cklich verman&#x017F;cht<lb/>
hatte. Die&#x017F;es Geld war des armen Kerls ganzes Ver-<lb/>
mo&#x0364;gen, was er in &#x017F;einem dreyßig ja&#x0364;hrigen Dien&#x017F;te er&#x017F;pa-<lb/>
ret hatte. Bey dem Ausbruch des Concur&#x017F;es hatte &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
die&#x017F;er Schuld nicht erinnert; der Gla&#x0364;ubiger hatte &#x017F;ie auch<lb/>
aus Achtung vor ihr va&#x0364;terliches Haus nicht gemahnt; und<lb/>
&#x017F;o war der Concurs geendiget, ohne daß die&#x017F;er ehrliche<lb/>
Mann etwas erhalten hatte. Auf einmal ko&#x0364;mmt er vorige<lb/>
Woche zu ihr, &#x017F;agt aber doch kein Wort von &#x017F;einer For-<lb/>
derung, &#x017F;ondern begegnet ihr, wie der Tochter &#x017F;eines vor-<lb/>
maligen Herrn. Allein &#x017F;ie fa&#x0364;llt vor Schrecken zur Erde;<lb/>
und &#x201D;nie, &#x017F;agte &#x017F;ie einige Tage nachher zu mir, habe ich<lb/>
das Ent&#x017F;etzliche meines Zu&#x017F;tandes &#x017F;o &#x017F;ehr empfunden als in<lb/>
die&#x017F;em Augenblicke. Meine ganze Hab&#x017F;eligkeit, fuhr &#x017F;ie<lb/>
fort, be&#x017F;tand damals eben in drey Mark vier ß.; das Geld,<lb/>
was ich fu&#x0364;r meine Hemden empfangen hatte, und mir ge-<lb/>
&#x017F;chenkt wurde, hatte ich zur Befriedigung einiger geringen<lb/>
und armen Gla&#x0364;ubiger, die aus dem Concurs nichts em-<lb/>
pfangen &#x017F;ollten, angewandt, weil ich es nicht ertragen<lb/>
konnte, daß die&#x017F;e Leute, die das Ihrige &#x017F;auer verdienet,<lb/>
und &#x017F;elb&#x017F;t kein Brod hatten, u&#x0364;ber mich &#x017F;enfzen &#x017F;ollten. Zu<lb/>
verkaufen hatte ich nichts, weil ich weiter nichts behalten,<lb/>
als was zur a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Nothdurft geho&#x0364;rete. Was &#x017F;ollt ich<lb/>
thun? &#x2026; Der arme Kerl fieng an zu weinen, und<lb/>
wollte mich tro&#x0364;&#x017F;ten, indem er &#x017F;agte, er ka&#x0364;me ja nicht um<lb/>
etwas von mir zu begehren, er wollte wohl &#x017F;ehen, daß er<lb/>
&#x017F;ich noch behu&#x0364;lfe. Aber ich erinnerte mich jetzt, daß er<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chon</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0048] Die Politik im Ungluͤck. ich Ihnen doch noch eins von meiner Heldin erzaͤhlen. Sie koͤnnen es aber nach Ihrer Bequemlichkeit Morgen oder Uebermorgen leſen. Wie ſie Braut geweſen war, hatte ihr ein alter Bedien- ter ihres Vaters heimlich tauſend Mark zu Taͤndelgelde ge- liehen, was ſie auch in einigen Abenden gluͤcklich vermanſcht hatte. Dieſes Geld war des armen Kerls ganzes Ver- moͤgen, was er in ſeinem dreyßig jaͤhrigen Dienſte erſpa- ret hatte. Bey dem Ausbruch des Concurſes hatte ſie ſich dieſer Schuld nicht erinnert; der Glaͤubiger hatte ſie auch aus Achtung vor ihr vaͤterliches Haus nicht gemahnt; und ſo war der Concurs geendiget, ohne daß dieſer ehrliche Mann etwas erhalten hatte. Auf einmal koͤmmt er vorige Woche zu ihr, ſagt aber doch kein Wort von ſeiner For- derung, ſondern begegnet ihr, wie der Tochter ſeines vor- maligen Herrn. Allein ſie faͤllt vor Schrecken zur Erde; und ”nie, ſagte ſie einige Tage nachher zu mir, habe ich das Entſetzliche meines Zuſtandes ſo ſehr empfunden als in dieſem Augenblicke. Meine ganze Habſeligkeit, fuhr ſie fort, beſtand damals eben in drey Mark vier ß.; das Geld, was ich fuͤr meine Hemden empfangen hatte, und mir ge- ſchenkt wurde, hatte ich zur Befriedigung einiger geringen und armen Glaͤubiger, die aus dem Concurs nichts em- pfangen ſollten, angewandt, weil ich es nicht ertragen konnte, daß dieſe Leute, die das Ihrige ſauer verdienet, und ſelbſt kein Brod hatten, uͤber mich ſenfzen ſollten. Zu verkaufen hatte ich nichts, weil ich weiter nichts behalten, als was zur aͤuſſerſten Nothdurft gehoͤrete. Was ſollt ich thun? … Der arme Kerl fieng an zu weinen, und wollte mich troͤſten, indem er ſagte, er kaͤme ja nicht um etwas von mir zu begehren, er wollte wohl ſehen, daß er ſich noch behuͤlfe. Aber ich erinnerte mich jetzt, daß er ſchon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/48
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/48>, abgerufen am 21.11.2024.