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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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So mag man noch im Alter lieben.
noch einige Jahre hinauszusetzen. Es wird einem so sanft
so warm dabey, daß man alles Uebel darüber vergißt, und
wenn meine liebenswürdige Freundin mich besucht: so ist
es, als wenn die Mittagssonne im Winter, durchs Fen-
ster auf meinen Fuß scheint, und die Gicht sanfter stechen
macht. Meine Augen heitern sich auf, der Husten wird
wohlthätiger, und die Runzeln dehnen sich in lauter sanfte
Wellenlinien aus. Ich werde munter und gesprächig, und
wenn sie mich beklagt, so verwandelt sich der verstockteste
Gram in geduldiges Leiden.

Eine bessere Arzeney vor die Beschwerden des Alters
als die Liebe, kenne ich nicht. Das Alter ist von Natur
kalt, die Leidenschaften, welche unser Herz in der Jugend
aufschwellen, würken nur noch in die Füsse, das Blut
stockt in den verbeinerten Gefässen, die Nerven haben ihre
leichte Reizbarkeit, und alles hat seinen Ton verlohren.
Aber die Liebe bringt alles wieder in Gang, und erneuert
durch ihr sanftes Feuer die erkälteten Theile. Ihre Schmei-
cheleyen sind doppelt kräftig, weil sie unerwartet sind, und
das Verdienst derjenigen, die sich zu uns herabläßt, wäch-
set in unsern Augen: wir gefallen uns von neuen, und zu
einer Zeit, wo wir niemanden mehr zu gefallen glaubten.
Dieses Gefallen an uns selbst giebt uns gleichsam eine neue
Seele, und erzeugt einen Stolz, der dem Zittern wider-
steht, und das Fieber abwehrt, was uns sonst, wenn
wir einmal den Muth verliehren, minder rüstig findet

Das alles, mein Freund, erwarte ich von meiner Liebe;
und ich darf sagen, daß ich ihr noch ein mehreres zu verdan-
ken habe. Ein Zug vom Geize mischte sich in meine Ausga-
ben, ich floh die Menschen als falsch und flüchtig, ich ward
mürrisch und andern überlästig, ich vernachläßigte den
Wohlstand, tadelte jede Freude, litt mit Ungeduld, schwieg
wann ich reden konnte, und erzählte, wenn mich niemand

hören
D 4

So mag man noch im Alter lieben.
noch einige Jahre hinauszuſetzen. Es wird einem ſo ſanft
ſo warm dabey, daß man alles Uebel daruͤber vergißt, und
wenn meine liebenswuͤrdige Freundin mich beſucht: ſo iſt
es, als wenn die Mittagsſonne im Winter, durchs Fen-
ſter auf meinen Fuß ſcheint, und die Gicht ſanfter ſtechen
macht. Meine Augen heitern ſich auf, der Huſten wird
wohlthaͤtiger, und die Runzeln dehnen ſich in lauter ſanfte
Wellenlinien aus. Ich werde munter und geſpraͤchig, und
wenn ſie mich beklagt, ſo verwandelt ſich der verſtockteſte
Gram in geduldiges Leiden.

Eine beſſere Arzeney vor die Beſchwerden des Alters
als die Liebe, kenne ich nicht. Das Alter iſt von Natur
kalt, die Leidenſchaften, welche unſer Herz in der Jugend
aufſchwellen, wuͤrken nur noch in die Fuͤſſe, das Blut
ſtockt in den verbeinerten Gefaͤſſen, die Nerven haben ihre
leichte Reizbarkeit, und alles hat ſeinen Ton verlohren.
Aber die Liebe bringt alles wieder in Gang, und erneuert
durch ihr ſanftes Feuer die erkaͤlteten Theile. Ihre Schmei-
cheleyen ſind doppelt kraͤftig, weil ſie unerwartet ſind, und
das Verdienſt derjenigen, die ſich zu uns herablaͤßt, waͤch-
ſet in unſern Augen: wir gefallen uns von neuen, und zu
einer Zeit, wo wir niemanden mehr zu gefallen glaubten.
Dieſes Gefallen an uns ſelbſt giebt uns gleichſam eine neue
Seele, und erzeugt einen Stolz, der dem Zittern wider-
ſteht, und das Fieber abwehrt, was uns ſonſt, wenn
wir einmal den Muth verliehren, minder ruͤſtig findet

Das alles, mein Freund, erwarte ich von meiner Liebe;
und ich darf ſagen, daß ich ihr noch ein mehreres zu verdan-
ken habe. Ein Zug vom Geize miſchte ſich in meine Ausga-
ben, ich floh die Menſchen als falſch und fluͤchtig, ich ward
muͤrriſch und andern uͤberlaͤſtig, ich vernachlaͤßigte den
Wohlſtand, tadelte jede Freude, litt mit Ungeduld, ſchwieg
wann ich reden konnte, und erzaͤhlte, wenn mich niemand

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[55/0069] So mag man noch im Alter lieben. noch einige Jahre hinauszuſetzen. Es wird einem ſo ſanft ſo warm dabey, daß man alles Uebel daruͤber vergißt, und wenn meine liebenswuͤrdige Freundin mich beſucht: ſo iſt es, als wenn die Mittagsſonne im Winter, durchs Fen- ſter auf meinen Fuß ſcheint, und die Gicht ſanfter ſtechen macht. Meine Augen heitern ſich auf, der Huſten wird wohlthaͤtiger, und die Runzeln dehnen ſich in lauter ſanfte Wellenlinien aus. Ich werde munter und geſpraͤchig, und wenn ſie mich beklagt, ſo verwandelt ſich der verſtockteſte Gram in geduldiges Leiden. Eine beſſere Arzeney vor die Beſchwerden des Alters als die Liebe, kenne ich nicht. Das Alter iſt von Natur kalt, die Leidenſchaften, welche unſer Herz in der Jugend aufſchwellen, wuͤrken nur noch in die Fuͤſſe, das Blut ſtockt in den verbeinerten Gefaͤſſen, die Nerven haben ihre leichte Reizbarkeit, und alles hat ſeinen Ton verlohren. Aber die Liebe bringt alles wieder in Gang, und erneuert durch ihr ſanftes Feuer die erkaͤlteten Theile. Ihre Schmei- cheleyen ſind doppelt kraͤftig, weil ſie unerwartet ſind, und das Verdienſt derjenigen, die ſich zu uns herablaͤßt, waͤch- ſet in unſern Augen: wir gefallen uns von neuen, und zu einer Zeit, wo wir niemanden mehr zu gefallen glaubten. Dieſes Gefallen an uns ſelbſt giebt uns gleichſam eine neue Seele, und erzeugt einen Stolz, der dem Zittern wider- ſteht, und das Fieber abwehrt, was uns ſonſt, wenn wir einmal den Muth verliehren, minder ruͤſtig findet Das alles, mein Freund, erwarte ich von meiner Liebe; und ich darf ſagen, daß ich ihr noch ein mehreres zu verdan- ken habe. Ein Zug vom Geize miſchte ſich in meine Ausga- ben, ich floh die Menſchen als falſch und fluͤchtig, ich ward muͤrriſch und andern uͤberlaͤſtig, ich vernachlaͤßigte den Wohlſtand, tadelte jede Freude, litt mit Ungeduld, ſchwieg wann ich reden konnte, und erzaͤhlte, wenn mich niemand hoͤren D 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/69>, abgerufen am 27.11.2024.