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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Sollte man nicht jedem Städtgen
Tag, und aß seinen schwarzen Rockenbrey mit Vergnügen,
weil er schon den Sonnabendsbraten im Kopfe hatte. Die
Versuchung heimlich Coffee zu trinken, verführte die Wei-
ber nicht, weil sie ihr Gelüstgen alle Woche einmal völlig stil-
len konnten; und wo sie es dennoch thaten; oder wo der
Mann zu Hause etwas verbotenes genossen hatte, da hieß
es am Sonnabend: Der oder die ist krank. Denn den
Kranken war nichts vorgeschrieben; nur durften diejenigen,
so an einem Tage in der Woche, sich des Privilegiums der
Kranken bedienet hatten, am Sonnabend nicht gesund seyn,
und bey den Lustbarkeiten erscheinen.

In allen Verbrechen dieser Art hatte ein jeder auf das
heiligste gelobt, des andern Anbringer zu seyn. Der Mann
konnte seine Frau mit lachenden Munde angeben, und sa-
gen: sie wäre krank, so ein Freund den andern, und das
ohne Beweis, so lange er nicht kam und ihn forderte. Ins-
gemein schämte sich aber der Kranke und blieb traurig zu
Hause. Wer aber ein ganzes Jahr krank war, wurde für
unheilbar erklärt, und als ein Aussätziger gemieden. Bey
höhern Verbrechen aber, als z. E. wenn jemand ein Stück *)
Garn verkauft hatte, wurde mehrere Form beobachtet, und
der überwiesene Thäter vor dem Versammlungshause mit
einem Stücke Garn um den Hals eine Stunde lang zur
schimpflichen Schau gestellt.

Diese Art zu denken und zu handeln war mit Hülfe der
Erziehung zu einer solchen Stärke gediehen, daß sie ihre
völlige Wirkung that, und es ist unglaublich, wie sehr die
zugelassene öffentliche Lustbarkeit die heimliche Schwelgerey

verhin-
*) In der Oßnabr. Bauerschaft Rieste, haben die Eingesessene sich
ebenfalls vereiniget, daß keiner ein Stück Garn verkaufen will,
um zu verhindern, daß liederliche Wirthe, Weiber und Gesinde
nicht einzelne Stücke zum Krämer verschleifen und Brantwein,
Coffee oder Zucker dafür holen können.

Sollte man nicht jedem Staͤdtgen
Tag, und aß ſeinen ſchwarzen Rockenbrey mit Vergnuͤgen,
weil er ſchon den Sonnabendsbraten im Kopfe hatte. Die
Verſuchung heimlich Coffee zu trinken, verfuͤhrte die Wei-
ber nicht, weil ſie ihr Geluͤſtgen alle Woche einmal voͤllig ſtil-
len konnten; und wo ſie es dennoch thaten; oder wo der
Mann zu Hauſe etwas verbotenes genoſſen hatte, da hieß
es am Sonnabend: Der oder die iſt krank. Denn den
Kranken war nichts vorgeſchrieben; nur durften diejenigen,
ſo an einem Tage in der Woche, ſich des Privilegiums der
Kranken bedienet hatten, am Sonnabend nicht geſund ſeyn,
und bey den Luſtbarkeiten erſcheinen.

In allen Verbrechen dieſer Art hatte ein jeder auf das
heiligſte gelobt, des andern Anbringer zu ſeyn. Der Mann
konnte ſeine Frau mit lachenden Munde angeben, und ſa-
gen: ſie waͤre krank, ſo ein Freund den andern, und das
ohne Beweis, ſo lange er nicht kam und ihn forderte. Ins-
gemein ſchaͤmte ſich aber der Kranke und blieb traurig zu
Hauſe. Wer aber ein ganzes Jahr krank war, wurde fuͤr
unheilbar erklaͤrt, und als ein Ausſaͤtziger gemieden. Bey
hoͤhern Verbrechen aber, als z. E. wenn jemand ein Stuͤck *)
Garn verkauft hatte, wurde mehrere Form beobachtet, und
der uͤberwieſene Thaͤter vor dem Verſammlungshauſe mit
einem Stuͤcke Garn um den Hals eine Stunde lang zur
ſchimpflichen Schau geſtellt.

Dieſe Art zu denken und zu handeln war mit Huͤlfe der
Erziehung zu einer ſolchen Staͤrke gediehen, daß ſie ihre
voͤllige Wirkung that, und es iſt unglaublich, wie ſehr die
zugelaſſene oͤffentliche Luſtbarkeit die heimliche Schwelgerey

verhin-
*) In der Oßnabr. Bauerſchaft Rieſte, haben die Eingeſeſſene ſich
ebenfalls vereiniget, daß keiner ein Stuͤck Garn verkaufen will,
um zu verhindern, daß liederliche Wirthe, Weiber und Geſinde
nicht einzelne Stuͤcke zum Kraͤmer verſchleifen und Brantwein,
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[70/0084] Sollte man nicht jedem Staͤdtgen Tag, und aß ſeinen ſchwarzen Rockenbrey mit Vergnuͤgen, weil er ſchon den Sonnabendsbraten im Kopfe hatte. Die Verſuchung heimlich Coffee zu trinken, verfuͤhrte die Wei- ber nicht, weil ſie ihr Geluͤſtgen alle Woche einmal voͤllig ſtil- len konnten; und wo ſie es dennoch thaten; oder wo der Mann zu Hauſe etwas verbotenes genoſſen hatte, da hieß es am Sonnabend: Der oder die iſt krank. Denn den Kranken war nichts vorgeſchrieben; nur durften diejenigen, ſo an einem Tage in der Woche, ſich des Privilegiums der Kranken bedienet hatten, am Sonnabend nicht geſund ſeyn, und bey den Luſtbarkeiten erſcheinen. In allen Verbrechen dieſer Art hatte ein jeder auf das heiligſte gelobt, des andern Anbringer zu ſeyn. Der Mann konnte ſeine Frau mit lachenden Munde angeben, und ſa- gen: ſie waͤre krank, ſo ein Freund den andern, und das ohne Beweis, ſo lange er nicht kam und ihn forderte. Ins- gemein ſchaͤmte ſich aber der Kranke und blieb traurig zu Hauſe. Wer aber ein ganzes Jahr krank war, wurde fuͤr unheilbar erklaͤrt, und als ein Ausſaͤtziger gemieden. Bey hoͤhern Verbrechen aber, als z. E. wenn jemand ein Stuͤck *) Garn verkauft hatte, wurde mehrere Form beobachtet, und der uͤberwieſene Thaͤter vor dem Verſammlungshauſe mit einem Stuͤcke Garn um den Hals eine Stunde lang zur ſchimpflichen Schau geſtellt. Dieſe Art zu denken und zu handeln war mit Huͤlfe der Erziehung zu einer ſolchen Staͤrke gediehen, daß ſie ihre voͤllige Wirkung that, und es iſt unglaublich, wie ſehr die zugelaſſene oͤffentliche Luſtbarkeit die heimliche Schwelgerey verhin- *) In der Oßnabr. Bauerſchaft Rieſte, haben die Eingeſeſſene ſich ebenfalls vereiniget, daß keiner ein Stuͤck Garn verkaufen will, um zu verhindern, daß liederliche Wirthe, Weiber und Geſinde nicht einzelne Stuͤcke zum Kraͤmer verſchleifen und Brantwein, Coffee oder Zucker dafuͤr holen koͤnnen.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/84>, abgerufen am 09.11.2024.