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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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auf dem Siechbette ganz verbieten.
zu ziehen; es halfen weder häusliche Freuden, noch rüh-
rende Thränen. Der Undankbare flohe diese, und ach-
tete jene nicht. Oft mußte sie bey ihren großen Einkünf-
ten darben, oder sich doch das nöthigste entziehen, wäh-
rend der Zeit er mit seiner ersten Buhlschaft davon in
Ueberfluß lebte, oder ihr Geld verspielte. Er kam bald
in Monaten nicht zu Hause, des Sommers war er in
Bädern, und des Winters in der Hauptstadt, wo seine
erste Geliebte wohnte; so daß es nicht schien, als wenn
er auch nur die geringste Pflicht gegen die gutherzigste Frau
zu erfüllen hätte. Jn diesen traurigen Umständen hatte
sie ihre jüngere Schwester zu sich genommen, die jede ih-
rer Thränen mit empfand, und jede unangenehme Nach-
richt von dem Undankbaren mit aller Vorsicht zu mildern
suchte. Das wenige was sie hatte, gab sie mit Freuden
zur Haushaltung her, um ihrer Schwester Ungemach zu
erleichtern, und ihr die unangenehme Erinnerung zu er-
sparen, daß sie bey allem ihrem Vermögen Mangel leiden
mußte. Beyde Schwestern liebten einander so herzlich,
wie Zärtliche und Unglückliche zu thun pflegen; Emilie
welche der Gram sichtbar verzehrte, wünschte hundert-
mal ihren Sohn und ihr Vermögen ihrer Schwester ver-
lassen, und beydes damit dem künftigen Untergange ent-
ziehen zu können. Aber es war ein eitler Entwurf, der
jedoch bald zum Theil hätte erfüllet werden können, in-
dem ihr der Himmel ihr Kind raubte, und der Schrecken
sie dem Grabe näher brachte. Die Nachricht von die-
sem Tode und der damit verknüpfte Verlust der Erbschaft
rührten aber nicht so bald den Vater, als er mit allen
Zeichen einer wahren Betrübniß und Reue zu Emilien
kam, sie mit tausend verstelleten Thränen um Vergebung
bat, und um ihre Gesundheit vom Himmel zu erflehen,
vor ihrem Bette kniete. Der Geistliche, welcher sie be-

sucht

auf dem Siechbette ganz verbieten.
zu ziehen; es halfen weder haͤusliche Freuden, noch ruͤh-
rende Thraͤnen. Der Undankbare flohe dieſe, und ach-
tete jene nicht. Oft mußte ſie bey ihren großen Einkuͤnf-
ten darben, oder ſich doch das noͤthigſte entziehen, waͤh-
rend der Zeit er mit ſeiner erſten Buhlſchaft davon in
Ueberfluß lebte, oder ihr Geld verſpielte. Er kam bald
in Monaten nicht zu Hauſe, des Sommers war er in
Baͤdern, und des Winters in der Hauptſtadt, wo ſeine
erſte Geliebte wohnte; ſo daß es nicht ſchien, als wenn
er auch nur die geringſte Pflicht gegen die gutherzigſte Frau
zu erfuͤllen haͤtte. Jn dieſen traurigen Umſtaͤnden hatte
ſie ihre juͤngere Schweſter zu ſich genommen, die jede ih-
rer Thraͤnen mit empfand, und jede unangenehme Nach-
richt von dem Undankbaren mit aller Vorſicht zu mildern
ſuchte. Das wenige was ſie hatte, gab ſie mit Freuden
zur Haushaltung her, um ihrer Schweſter Ungemach zu
erleichtern, und ihr die unangenehme Erinnerung zu er-
ſparen, daß ſie bey allem ihrem Vermoͤgen Mangel leiden
mußte. Beyde Schweſtern liebten einander ſo herzlich,
wie Zaͤrtliche und Ungluͤckliche zu thun pflegen; Emilie
welche der Gram ſichtbar verzehrte, wuͤnſchte hundert-
mal ihren Sohn und ihr Vermoͤgen ihrer Schweſter ver-
laſſen, und beydes damit dem kuͤnftigen Untergange ent-
ziehen zu koͤnnen. Aber es war ein eitler Entwurf, der
jedoch bald zum Theil haͤtte erfuͤllet werden koͤnnen, in-
dem ihr der Himmel ihr Kind raubte, und der Schrecken
ſie dem Grabe naͤher brachte. Die Nachricht von die-
ſem Tode und der damit verknuͤpfte Verluſt der Erbſchaft
ruͤhrten aber nicht ſo bald den Vater, als er mit allen
Zeichen einer wahren Betruͤbniß und Reue zu Emilien
kam, ſie mit tauſend verſtelleten Thraͤnen um Vergebung
bat, und um ihre Geſundheit vom Himmel zu erflehen,
vor ihrem Bette kniete. Der Geiſtliche, welcher ſie be-

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[111/0123] auf dem Siechbette ganz verbieten. zu ziehen; es halfen weder haͤusliche Freuden, noch ruͤh- rende Thraͤnen. Der Undankbare flohe dieſe, und ach- tete jene nicht. Oft mußte ſie bey ihren großen Einkuͤnf- ten darben, oder ſich doch das noͤthigſte entziehen, waͤh- rend der Zeit er mit ſeiner erſten Buhlſchaft davon in Ueberfluß lebte, oder ihr Geld verſpielte. Er kam bald in Monaten nicht zu Hauſe, des Sommers war er in Baͤdern, und des Winters in der Hauptſtadt, wo ſeine erſte Geliebte wohnte; ſo daß es nicht ſchien, als wenn er auch nur die geringſte Pflicht gegen die gutherzigſte Frau zu erfuͤllen haͤtte. Jn dieſen traurigen Umſtaͤnden hatte ſie ihre juͤngere Schweſter zu ſich genommen, die jede ih- rer Thraͤnen mit empfand, und jede unangenehme Nach- richt von dem Undankbaren mit aller Vorſicht zu mildern ſuchte. Das wenige was ſie hatte, gab ſie mit Freuden zur Haushaltung her, um ihrer Schweſter Ungemach zu erleichtern, und ihr die unangenehme Erinnerung zu er- ſparen, daß ſie bey allem ihrem Vermoͤgen Mangel leiden mußte. Beyde Schweſtern liebten einander ſo herzlich, wie Zaͤrtliche und Ungluͤckliche zu thun pflegen; Emilie welche der Gram ſichtbar verzehrte, wuͤnſchte hundert- mal ihren Sohn und ihr Vermoͤgen ihrer Schweſter ver- laſſen, und beydes damit dem kuͤnftigen Untergange ent- ziehen zu koͤnnen. Aber es war ein eitler Entwurf, der jedoch bald zum Theil haͤtte erfuͤllet werden koͤnnen, in- dem ihr der Himmel ihr Kind raubte, und der Schrecken ſie dem Grabe naͤher brachte. Die Nachricht von die- ſem Tode und der damit verknuͤpfte Verluſt der Erbſchaft ruͤhrten aber nicht ſo bald den Vater, als er mit allen Zeichen einer wahren Betruͤbniß und Reue zu Emilien kam, ſie mit tauſend verſtelleten Thraͤnen um Vergebung bat, und um ihre Geſundheit vom Himmel zu erflehen, vor ihrem Bette kniete. Der Geiſtliche, welcher ſie be- ſucht

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/123>, abgerufen am 24.11.2024.