Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorschlag zu einem neuen Plan
Verfassung summarisch auf; oder man fängt mit dem Ur-
sprung der Nation an, und indem man deren ihre Schick-
sale erzählt, webet man die Geschichte des von ihr gestif-
teten Reichs mit in. Beyde Methoden haben unstreitig
ihren Werth, und fast möchte ich sagen, daß sie für den
Anfänger, der durchaus ein richtiges und lebhaftes Ge-
fühl der Zeitordnung haben muß, worin die Begebenhei-
ten vorgefallen sind, die besten sind. Allein der Kenner,
der nun einmal Zeichnung und Ordnung versteht, und
endlich ein wohl ausgeführtes Ganze zu sehen wünschet,
findet dabey sein Vergnügen nicht; und der Hofmann,
der immer erst einen langen gothischen Klostergang durch-
wandern soll, ehe er in das Cabinet des Prälaten kömmt,
verliert oft unterwegens seine beste Laune; dabey wird
sich der arme Geschichtschreiber, wenn er anders ein
Mann von Geschmack und Gefühl ist, nie genug thun
können; die Gallerie ist zu lang, und wenn er auch die
beste Wahl unter den Begebenheiten trift, die er darin
schildert: so wird sie ihm doch nie als ein großes Ganze
gerathen. Jn der Epopee hat man daher längst einen
andern Weg genommen, und der Einheit oder einem voll-
ständigen Ganzen zu gefallen, mit dem Helden desselben
angefangen, sodann aber das vorhergegangene auf eine
geschickte Art eingeflochten.

Den Vortheil dieser Methode brauche ich Kennern
nicht zu sagen; jeder von ihnen hat ihn längst gekannt
und gefühlt, und Robertson hat ihn in allen Geschichten
die er uns geliefert hat, gebraucht. So gar Mallet fieng
die Braunschweigsche Geschichte mit Henrich dem Löwen
an, und holte den Ursprung der Guelfen nach. Allein
in der allgemeinen deutschen Geschichte hat noch keiner,
so viel ich weiß, eine so glückliche Epoche zu wählen und
zu nutzen gesucht.

Gleich-

Vorſchlag zu einem neuen Plan
Verfaſſung ſummariſch auf; oder man faͤngt mit dem Ur-
ſprung der Nation an, und indem man deren ihre Schick-
ſale erzaͤhlt, webet man die Geſchichte des von ihr geſtif-
teten Reichs mit in. Beyde Methoden haben unſtreitig
ihren Werth, und faſt moͤchte ich ſagen, daß ſie fuͤr den
Anfaͤnger, der durchaus ein richtiges und lebhaftes Ge-
fuͤhl der Zeitordnung haben muß, worin die Begebenhei-
ten vorgefallen ſind, die beſten ſind. Allein der Kenner,
der nun einmal Zeichnung und Ordnung verſteht, und
endlich ein wohl ausgefuͤhrtes Ganze zu ſehen wuͤnſchet,
findet dabey ſein Vergnuͤgen nicht; und der Hofmann,
der immer erſt einen langen gothiſchen Kloſtergang durch-
wandern ſoll, ehe er in das Cabinet des Praͤlaten koͤmmt,
verliert oft unterwegens ſeine beſte Laune; dabey wird
ſich der arme Geſchichtſchreiber, wenn er anders ein
Mann von Geſchmack und Gefuͤhl iſt, nie genug thun
koͤnnen; die Gallerie iſt zu lang, und wenn er auch die
beſte Wahl unter den Begebenheiten trift, die er darin
ſchildert: ſo wird ſie ihm doch nie als ein großes Ganze
gerathen. Jn der Epopee hat man daher laͤngſt einen
andern Weg genommen, und der Einheit oder einem voll-
ſtaͤndigen Ganzen zu gefallen, mit dem Helden deſſelben
angefangen, ſodann aber das vorhergegangene auf eine
geſchickte Art eingeflochten.

Den Vortheil dieſer Methode brauche ich Kennern
nicht zu ſagen; jeder von ihnen hat ihn laͤngſt gekannt
und gefuͤhlt, und Robertſon hat ihn in allen Geſchichten
die er uns geliefert hat, gebraucht. So gar Mallet fieng
die Braunſchweigſche Geſchichte mit Henrich dem Loͤwen
an, und holte den Urſprung der Guelfen nach. Allein
in der allgemeinen deutſchen Geſchichte hat noch keiner,
ſo viel ich weiß, eine ſo gluͤckliche Epoche zu waͤhlen und
zu nutzen geſucht.

Gleich-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0166" n="154"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vor&#x017F;chlag zu einem neuen Plan</hi></fw><lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;ummari&#x017F;ch auf; oder man fa&#x0364;ngt mit dem Ur-<lb/>
&#x017F;prung der Nation an, und indem man deren ihre Schick-<lb/>
&#x017F;ale erza&#x0364;hlt, webet man die Ge&#x017F;chichte des von ihr ge&#x017F;tif-<lb/>
teten Reichs mit in. Beyde Methoden haben un&#x017F;treitig<lb/>
ihren Werth, und fa&#x017F;t mo&#x0364;chte ich &#x017F;agen, daß &#x017F;ie fu&#x0364;r den<lb/>
Anfa&#x0364;nger, der durchaus ein richtiges und lebhaftes Ge-<lb/>
fu&#x0364;hl der Zeitordnung haben muß, worin die Begebenhei-<lb/>
ten vorgefallen &#x017F;ind, die be&#x017F;ten &#x017F;ind. Allein der Kenner,<lb/>
der nun einmal Zeichnung und Ordnung ver&#x017F;teht, und<lb/>
endlich ein wohl ausgefu&#x0364;hrtes Ganze zu &#x017F;ehen wu&#x0364;n&#x017F;chet,<lb/>
findet dabey &#x017F;ein Vergnu&#x0364;gen nicht; und der Hofmann,<lb/>
der immer er&#x017F;t einen langen gothi&#x017F;chen Klo&#x017F;tergang durch-<lb/>
wandern &#x017F;oll, ehe er in das Cabinet des Pra&#x0364;laten ko&#x0364;mmt,<lb/>
verliert oft unterwegens &#x017F;eine be&#x017F;te Laune; dabey wird<lb/>
&#x017F;ich der arme Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber, wenn er anders ein<lb/>
Mann von Ge&#x017F;chmack und Gefu&#x0364;hl i&#x017F;t, nie genug thun<lb/>
ko&#x0364;nnen; die Gallerie i&#x017F;t zu lang, und wenn er auch die<lb/>
be&#x017F;te Wahl unter den Begebenheiten trift, die er darin<lb/>
&#x017F;childert: &#x017F;o wird &#x017F;ie ihm doch nie als ein großes Ganze<lb/>
gerathen. Jn der Epopee hat man daher la&#x0364;ng&#x017F;t einen<lb/>
andern Weg genommen, und der Einheit oder einem voll-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigen Ganzen zu gefallen, mit dem Helden de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
angefangen, &#x017F;odann aber das vorhergegangene auf eine<lb/>
ge&#x017F;chickte Art eingeflochten.</p><lb/>
          <p>Den Vortheil die&#x017F;er Methode brauche ich Kennern<lb/>
nicht zu &#x017F;agen; jeder von ihnen hat ihn la&#x0364;ng&#x017F;t gekannt<lb/>
und gefu&#x0364;hlt, und <hi rendition="#fr">Robert&#x017F;on</hi> hat ihn in allen Ge&#x017F;chichten<lb/>
die er uns geliefert hat, gebraucht. So gar <hi rendition="#fr">Mallet</hi> fieng<lb/>
die Braun&#x017F;chweig&#x017F;che Ge&#x017F;chichte mit Henrich dem Lo&#x0364;wen<lb/>
an, und holte den Ur&#x017F;prung der Guelfen nach. Allein<lb/>
in der allgemeinen deut&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte hat noch keiner,<lb/>
&#x017F;o viel ich weiß, eine &#x017F;o glu&#x0364;ckliche Epoche zu wa&#x0364;hlen und<lb/>
zu nutzen ge&#x017F;ucht.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Gleich-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0166] Vorſchlag zu einem neuen Plan Verfaſſung ſummariſch auf; oder man faͤngt mit dem Ur- ſprung der Nation an, und indem man deren ihre Schick- ſale erzaͤhlt, webet man die Geſchichte des von ihr geſtif- teten Reichs mit in. Beyde Methoden haben unſtreitig ihren Werth, und faſt moͤchte ich ſagen, daß ſie fuͤr den Anfaͤnger, der durchaus ein richtiges und lebhaftes Ge- fuͤhl der Zeitordnung haben muß, worin die Begebenhei- ten vorgefallen ſind, die beſten ſind. Allein der Kenner, der nun einmal Zeichnung und Ordnung verſteht, und endlich ein wohl ausgefuͤhrtes Ganze zu ſehen wuͤnſchet, findet dabey ſein Vergnuͤgen nicht; und der Hofmann, der immer erſt einen langen gothiſchen Kloſtergang durch- wandern ſoll, ehe er in das Cabinet des Praͤlaten koͤmmt, verliert oft unterwegens ſeine beſte Laune; dabey wird ſich der arme Geſchichtſchreiber, wenn er anders ein Mann von Geſchmack und Gefuͤhl iſt, nie genug thun koͤnnen; die Gallerie iſt zu lang, und wenn er auch die beſte Wahl unter den Begebenheiten trift, die er darin ſchildert: ſo wird ſie ihm doch nie als ein großes Ganze gerathen. Jn der Epopee hat man daher laͤngſt einen andern Weg genommen, und der Einheit oder einem voll- ſtaͤndigen Ganzen zu gefallen, mit dem Helden deſſelben angefangen, ſodann aber das vorhergegangene auf eine geſchickte Art eingeflochten. Den Vortheil dieſer Methode brauche ich Kennern nicht zu ſagen; jeder von ihnen hat ihn laͤngſt gekannt und gefuͤhlt, und Robertſon hat ihn in allen Geſchichten die er uns geliefert hat, gebraucht. So gar Mallet fieng die Braunſchweigſche Geſchichte mit Henrich dem Loͤwen an, und holte den Urſprung der Guelfen nach. Allein in der allgemeinen deutſchen Geſchichte hat noch keiner, ſo viel ich weiß, eine ſo gluͤckliche Epoche zu waͤhlen und zu nutzen geſucht. Gleich-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/166
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/166>, abgerufen am 21.11.2024.