graben seyn, der sich der Nachforschung andrer hätte entziehen wollen. Dieses wollten unsre Vorfahren ver- hindern, und nach ihrer Absicht sollte der Sarg so lange offen stehen, bis die ganze Leichenbegleitung sich von dem wahren und natürlichen Tode des Verstorbenen durch ihre eigne Augen überzeugt hätte, und desfalls zu jederzeit ein Zeugniß ablegen könnte.
Zur zweyten gehört die sogenannte letzte Ehre, wel- che Verwandte, Freunde, Verehrer, Amtsgenossen, und andre Freywillige dem Verstorbenen erzeigen, und wo- mit sie des rechtschaffenen Mannes Lob, und das allge- meine Leid des Staats öffentlich verkündigen, auch andre zur Nachahmung aufmuntern wollten. Dieses sollte gleich- sam die Ehrensäule des guten Bürgers, und der Triumph des Patrioten seyn. Mit einer Begrabung ohne Gesang und ohne Klang wollten sie ungefähr so viel ausrichten als wir mit dem Zuchthause.
Eine vernünftige Politik schuf die dritte Art. Man sahe, daß die Menschen in jeder Ehrensache großmüthi- ger und freygebiger waren, als in einer andern; und wie man zum Unterhalt der Armen, der Kirchen und Kirchen- bediente nicht gleich förmliche Steuren ausschreiben woll- te, damit auch vielleicht nicht das wahre Verhältnis ge- troffen haben würde, so suchte man die Ehre zu reitzen, und dieser eine milde Beysteuer abzugewinnen. Auf eine gleiche Art hofte man bey den Leichen einen Beytrag zum Unterhalt der Armen und Schulen zu erhalten, und die Erfahrung hat gezeigt, daß diese Politik ihres Zwecks nicht verfehlet habe. Die Steuer ist um so viel ergie- biger gewesen, je mehr sie dem freyen Willen überlassen ist; und da der Mensch nur einmal sterben kann: so hat man auch nicht befürchtet, daß dem Staate eine gar zu
be-
Vorſchlag wie die Kirchhoͤfe
graben ſeyn, der ſich der Nachforſchung andrer haͤtte entziehen wollen. Dieſes wollten unſre Vorfahren ver- hindern, und nach ihrer Abſicht ſollte der Sarg ſo lange offen ſtehen, bis die ganze Leichenbegleitung ſich von dem wahren und natuͤrlichen Tode des Verſtorbenen durch ihre eigne Augen uͤberzeugt haͤtte, und desfalls zu jederzeit ein Zeugniß ablegen koͤnnte.
Zur zweyten gehoͤrt die ſogenannte letzte Ehre, wel- che Verwandte, Freunde, Verehrer, Amtsgenoſſen, und andre Freywillige dem Verſtorbenen erzeigen, und wo- mit ſie des rechtſchaffenen Mannes Lob, und das allge- meine Leid des Staats oͤffentlich verkuͤndigen, auch andre zur Nachahmung aufmuntern wollten. Dieſes ſollte gleich- ſam die Ehrenſaͤule des guten Buͤrgers, und der Triumph des Patrioten ſeyn. Mit einer Begrabung ohne Geſang und ohne Klang wollten ſie ungefaͤhr ſo viel ausrichten als wir mit dem Zuchthauſe.
Eine vernuͤnftige Politik ſchuf die dritte Art. Man ſahe, daß die Menſchen in jeder Ehrenſache großmuͤthi- ger und freygebiger waren, als in einer andern; und wie man zum Unterhalt der Armen, der Kirchen und Kirchen- bediente nicht gleich foͤrmliche Steuren ausſchreiben woll- te, damit auch vielleicht nicht das wahre Verhaͤltnis ge- troffen haben wuͤrde, ſo ſuchte man die Ehre zu reitzen, und dieſer eine milde Beyſteuer abzugewinnen. Auf eine gleiche Art hofte man bey den Leichen einen Beytrag zum Unterhalt der Armen und Schulen zu erhalten, und die Erfahrung hat gezeigt, daß dieſe Politik ihres Zwecks nicht verfehlet habe. Die Steuer iſt um ſo viel ergie- biger geweſen, je mehr ſie dem freyen Willen uͤberlaſſen iſt; und da der Menſch nur einmal ſterben kann: ſo hat man auch nicht befuͤrchtet, daß dem Staate eine gar zu
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Vorſchlag wie die Kirchhoͤfe
graben ſeyn, der ſich der Nachforſchung andrer haͤtte
entziehen wollen. Dieſes wollten unſre Vorfahren ver-
hindern, und nach ihrer Abſicht ſollte der Sarg ſo lange
offen ſtehen, bis die ganze Leichenbegleitung ſich von dem
wahren und natuͤrlichen Tode des Verſtorbenen durch ihre
eigne Augen uͤberzeugt haͤtte, und desfalls zu jederzeit
ein Zeugniß ablegen koͤnnte.
Zur zweyten gehoͤrt die ſogenannte letzte Ehre, wel-
che Verwandte, Freunde, Verehrer, Amtsgenoſſen, und
andre Freywillige dem Verſtorbenen erzeigen, und wo-
mit ſie des rechtſchaffenen Mannes Lob, und das allge-
meine Leid des Staats oͤffentlich verkuͤndigen, auch andre
zur Nachahmung aufmuntern wollten. Dieſes ſollte gleich-
ſam die Ehrenſaͤule des guten Buͤrgers, und der Triumph
des Patrioten ſeyn. Mit einer Begrabung ohne Geſang
und ohne Klang wollten ſie ungefaͤhr ſo viel ausrichten
als wir mit dem Zuchthauſe.
Eine vernuͤnftige Politik ſchuf die dritte Art. Man
ſahe, daß die Menſchen in jeder Ehrenſache großmuͤthi-
ger und freygebiger waren, als in einer andern; und wie
man zum Unterhalt der Armen, der Kirchen und Kirchen-
bediente nicht gleich foͤrmliche Steuren ausſchreiben woll-
te, damit auch vielleicht nicht das wahre Verhaͤltnis ge-
troffen haben wuͤrde, ſo ſuchte man die Ehre zu reitzen,
und dieſer eine milde Beyſteuer abzugewinnen. Auf eine
gleiche Art hofte man bey den Leichen einen Beytrag zum
Unterhalt der Armen und Schulen zu erhalten, und die
Erfahrung hat gezeigt, daß dieſe Politik ihres Zwecks
nicht verfehlet habe. Die Steuer iſt um ſo viel ergie-
biger geweſen, je mehr ſie dem freyen Willen uͤberlaſſen
iſt; und da der Menſch nur einmal ſterben kann: ſo hat
man auch nicht befuͤrchtet, daß dem Staate eine gar zu
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/188>, abgerufen am 16.02.2025.
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