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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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der Landbesitzer.
zuerst die Kiste der Tochter eines Hofesgenossen, von allen
zu diesem Hofe gehörigen Leuten gefüllet, und solcherge-
stalt eine Sammlung angestellt, welche wir noch jetzt die
Kistenfüllung, und wenn es die Tochter des obersten Ho-
fes- oder Landesherrn ist, die Prinzessinsteuer nennen.
Denn der Sachse, so lange er nur ehrbare Hofgesessene
um sich hatte, und keine flüchtige Nebenwohner kannte,
steuerte in allen Fällen gern zusammen, und vermied da-
durch eine auf einmal zu stark fallende Ausgabe. Natür-
licher Weise aber gab er selbst seinen vom Hofe gehenden
Kindern etwas mehrers, als die übrigen zusteurenden
Nachbaren und Hofesgenossen mit, und daraus ward
endlich der Brautwagen, welcher mit der Zeit auch etwas
Kistengeld, was in der Folge den Namen von Braut-
schatz erhalten mochte, unter sich begriff.

Diese auf die erste Bedürfnisse des vom Hofe zie-
henden Sohns, oder der Tochter sich beziehende Absteuer
konnte aber nicht lange bestehen, weil Eitelkeit und Stolz
sich in alle menschliche Handlung mischen, und sich auch
bey einer so feyerlichen Gelegenheit nicht ungezeigt lassen
konnten. Der eine wollte es besser machen als der an-
dre und nun mußten Mittel gefunden werden, diesem
freudigen Triebe zum allgemeinen Verderben Ziel zu sez-
zen. Solon und Lycurg *), um diesem Uebel zu begeg-
nen, verboten schlechterdings die Mädgen auszusteuren.
Jhre Tugend mag ihnen Männer finden, sagten sie, und
wenn jeder Freyer nur hierauf zu sehen hat: so wird die
Arme wie die Reiche gesucht werden. Unsre Vorfahren,
welche zuerst nach einem gleichen Grundsatze gehandelt

hat-
*) In Solone p. 89. in Lacon. Apoplit. T. II. opp. p. 227. vir-
gines sine dote nubere jussit ur uxores ducerentur non pecuniae.
JUSTIN. III.
3.

der Landbeſitzer.
zuerſt die Kiſte der Tochter eines Hofesgenoſſen, von allen
zu dieſem Hofe gehoͤrigen Leuten gefuͤllet, und ſolcherge-
ſtalt eine Sammlung angeſtellt, welche wir noch jetzt die
Kiſtenfuͤllung, und wenn es die Tochter des oberſten Ho-
fes- oder Landesherrn iſt, die Prinzeſſinſteuer nennen.
Denn der Sachſe, ſo lange er nur ehrbare Hofgeſeſſene
um ſich hatte, und keine fluͤchtige Nebenwohner kannte,
ſteuerte in allen Faͤllen gern zuſammen, und vermied da-
durch eine auf einmal zu ſtark fallende Ausgabe. Natuͤr-
licher Weiſe aber gab er ſelbſt ſeinen vom Hofe gehenden
Kindern etwas mehrers, als die uͤbrigen zuſteurenden
Nachbaren und Hofesgenoſſen mit, und daraus ward
endlich der Brautwagen, welcher mit der Zeit auch etwas
Kiſtengeld, was in der Folge den Namen von Braut-
ſchatz erhalten mochte, unter ſich begriff.

Dieſe auf die erſte Beduͤrfniſſe des vom Hofe zie-
henden Sohns, oder der Tochter ſich beziehende Abſteuer
konnte aber nicht lange beſtehen, weil Eitelkeit und Stolz
ſich in alle menſchliche Handlung miſchen, und ſich auch
bey einer ſo feyerlichen Gelegenheit nicht ungezeigt laſſen
konnten. Der eine wollte es beſſer machen als der an-
dre und nun mußten Mittel gefunden werden, dieſem
freudigen Triebe zum allgemeinen Verderben Ziel zu ſez-
zen. Solon und Lycurg *), um dieſem Uebel zu begeg-
nen, verboten ſchlechterdings die Maͤdgen auszuſteuren.
Jhre Tugend mag ihnen Maͤnner finden, ſagten ſie, und
wenn jeder Freyer nur hierauf zu ſehen hat: ſo wird die
Arme wie die Reiche geſucht werden. Unſre Vorfahren,
welche zuerſt nach einem gleichen Grundſatze gehandelt

hat-
*) In Solone p. 89. in Lacon. Apoplit. T. II. opp. p. 227. vir-
gines ſine dote nubere juſſit ur uxores ducerentur non pecuniae.
JUSTIN. III.
3.
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[223/0235] der Landbeſitzer. zuerſt die Kiſte der Tochter eines Hofesgenoſſen, von allen zu dieſem Hofe gehoͤrigen Leuten gefuͤllet, und ſolcherge- ſtalt eine Sammlung angeſtellt, welche wir noch jetzt die Kiſtenfuͤllung, und wenn es die Tochter des oberſten Ho- fes- oder Landesherrn iſt, die Prinzeſſinſteuer nennen. Denn der Sachſe, ſo lange er nur ehrbare Hofgeſeſſene um ſich hatte, und keine fluͤchtige Nebenwohner kannte, ſteuerte in allen Faͤllen gern zuſammen, und vermied da- durch eine auf einmal zu ſtark fallende Ausgabe. Natuͤr- licher Weiſe aber gab er ſelbſt ſeinen vom Hofe gehenden Kindern etwas mehrers, als die uͤbrigen zuſteurenden Nachbaren und Hofesgenoſſen mit, und daraus ward endlich der Brautwagen, welcher mit der Zeit auch etwas Kiſtengeld, was in der Folge den Namen von Braut- ſchatz erhalten mochte, unter ſich begriff. Dieſe auf die erſte Beduͤrfniſſe des vom Hofe zie- henden Sohns, oder der Tochter ſich beziehende Abſteuer konnte aber nicht lange beſtehen, weil Eitelkeit und Stolz ſich in alle menſchliche Handlung miſchen, und ſich auch bey einer ſo feyerlichen Gelegenheit nicht ungezeigt laſſen konnten. Der eine wollte es beſſer machen als der an- dre und nun mußten Mittel gefunden werden, dieſem freudigen Triebe zum allgemeinen Verderben Ziel zu ſez- zen. Solon und Lycurg *), um dieſem Uebel zu begeg- nen, verboten ſchlechterdings die Maͤdgen auszuſteuren. Jhre Tugend mag ihnen Maͤnner finden, ſagten ſie, und wenn jeder Freyer nur hierauf zu ſehen hat: ſo wird die Arme wie die Reiche geſucht werden. Unſre Vorfahren, welche zuerſt nach einem gleichen Grundſatze gehandelt hat- *) In Solone p. 89. in Lacon. Apoplit. T. II. opp. p. 227. vir- gines ſine dote nubere juſſit ur uxores ducerentur non pecuniae. JUSTIN. III. 3.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/235>, abgerufen am 21.11.2024.