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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Ein kleiner Umstand thut oft vieles.
als die zärtlichste Freundinn. Jch werde der ganzen Pro-
vinz zum Muster vorgestellet, und das alles warum? ...
darf ich es wohl denken? Nie würde ich so dünkt mich,
mit meiner unbefleckten Tugend zu diesem Glücke gelan-
get seyn; ich würde wie es mir scheinet, der ganzen Welt
damit Trotz geboten, und sicher keinem gefallen haben.
Denn ich hatte ein stolzes Herz, und Tugend auf Stolz
geimpfet, giebt zwar schöne Früchte, aber andre genies-
sen sie nicht gern.

Oft und sehr oft denke ich an das unglückliche Me-
dianotte, bald mit Lachen bald mit Weinen, nachdem es
meine Laune mit sich bringt, und mein Mann hat mehr
als einmal eine Thräne der Reue für eine zärtliche Em-
pfindung gegen ihn aufgenommen; auch dieses Glück
würde ihm wahrscheinlich unter andern Umständen nie
begegnet seyn. Nicht selten setzt mich aber auch jene Er-
innerung und eine mit ihr insgemein sich verbindende
Musterung der menschlichen Tugenden ins Lachen, und
wenn ich an den Kuß gedenke, welchen ich dem Grafen
noch des andern Morgens gab: so küsse ich meinem Mann
die Hand um es wieder gut zu machen. Jenes that ich
doch nur aus Eigenliebe, welche sich durch die Ueberzeu-
gung des Grafen von meinem Unwillen einigermaßen be-
ruhiget fand, und dieses, ich will es nur gestehn, ge-
schieht auch nicht blos aus Liebe.

O wie viele Schelmerey wohnet in dem menschlichen
Herzen! und wie viele angenehme Stunden könnten wir
uns verschaffen, wenn wir uns solche einander mit aller
Aufrichtigkeit eröfneten, und die Naturgeschichte unsrer
Tugenden nicht hämisch aber fromm und wahr beschrie-
ben. Wenn ich meiner Einbildung recht was zu gute
thun will: so mahle ich ihr das Glück solcher Freunde,

die
E 4

Ein kleiner Umſtand thut oft vieles.
als die zaͤrtlichſte Freundinn. Jch werde der ganzen Pro-
vinz zum Muſter vorgeſtellet, und das alles warum? …
darf ich es wohl denken? Nie wuͤrde ich ſo duͤnkt mich,
mit meiner unbefleckten Tugend zu dieſem Gluͤcke gelan-
get ſeyn; ich wuͤrde wie es mir ſcheinet, der ganzen Welt
damit Trotz geboten, und ſicher keinem gefallen haben.
Denn ich hatte ein ſtolzes Herz, und Tugend auf Stolz
geimpfet, giebt zwar ſchoͤne Fruͤchte, aber andre genieſ-
ſen ſie nicht gern.

Oft und ſehr oft denke ich an das ungluͤckliche Me-
dianotte, bald mit Lachen bald mit Weinen, nachdem es
meine Laune mit ſich bringt, und mein Mann hat mehr
als einmal eine Thraͤne der Reue fuͤr eine zaͤrtliche Em-
pfindung gegen ihn aufgenommen; auch dieſes Gluͤck
wuͤrde ihm wahrſcheinlich unter andern Umſtaͤnden nie
begegnet ſeyn. Nicht ſelten ſetzt mich aber auch jene Er-
innerung und eine mit ihr insgemein ſich verbindende
Muſterung der menſchlichen Tugenden ins Lachen, und
wenn ich an den Kuß gedenke, welchen ich dem Grafen
noch des andern Morgens gab: ſo kuͤſſe ich meinem Mann
die Hand um es wieder gut zu machen. Jenes that ich
doch nur aus Eigenliebe, welche ſich durch die Ueberzeu-
gung des Grafen von meinem Unwillen einigermaßen be-
ruhiget fand, und dieſes, ich will es nur geſtehn, ge-
ſchieht auch nicht blos aus Liebe.

O wie viele Schelmerey wohnet in dem menſchlichen
Herzen! und wie viele angenehme Stunden koͤnnten wir
uns verſchaffen, wenn wir uns ſolche einander mit aller
Aufrichtigkeit eroͤfneten, und die Naturgeſchichte unſrer
Tugenden nicht haͤmiſch aber fromm und wahr beſchrie-
ben. Wenn ich meiner Einbildung recht was zu gute
thun will: ſo mahle ich ihr das Gluͤck ſolcher Freunde,

die
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[71/0083] Ein kleiner Umſtand thut oft vieles. als die zaͤrtlichſte Freundinn. Jch werde der ganzen Pro- vinz zum Muſter vorgeſtellet, und das alles warum? … darf ich es wohl denken? Nie wuͤrde ich ſo duͤnkt mich, mit meiner unbefleckten Tugend zu dieſem Gluͤcke gelan- get ſeyn; ich wuͤrde wie es mir ſcheinet, der ganzen Welt damit Trotz geboten, und ſicher keinem gefallen haben. Denn ich hatte ein ſtolzes Herz, und Tugend auf Stolz geimpfet, giebt zwar ſchoͤne Fruͤchte, aber andre genieſ- ſen ſie nicht gern. Oft und ſehr oft denke ich an das ungluͤckliche Me- dianotte, bald mit Lachen bald mit Weinen, nachdem es meine Laune mit ſich bringt, und mein Mann hat mehr als einmal eine Thraͤne der Reue fuͤr eine zaͤrtliche Em- pfindung gegen ihn aufgenommen; auch dieſes Gluͤck wuͤrde ihm wahrſcheinlich unter andern Umſtaͤnden nie begegnet ſeyn. Nicht ſelten ſetzt mich aber auch jene Er- innerung und eine mit ihr insgemein ſich verbindende Muſterung der menſchlichen Tugenden ins Lachen, und wenn ich an den Kuß gedenke, welchen ich dem Grafen noch des andern Morgens gab: ſo kuͤſſe ich meinem Mann die Hand um es wieder gut zu machen. Jenes that ich doch nur aus Eigenliebe, welche ſich durch die Ueberzeu- gung des Grafen von meinem Unwillen einigermaßen be- ruhiget fand, und dieſes, ich will es nur geſtehn, ge- ſchieht auch nicht blos aus Liebe. O wie viele Schelmerey wohnet in dem menſchlichen Herzen! und wie viele angenehme Stunden koͤnnten wir uns verſchaffen, wenn wir uns ſolche einander mit aller Aufrichtigkeit eroͤfneten, und die Naturgeſchichte unſrer Tugenden nicht haͤmiſch aber fromm und wahr beſchrie- ben. Wenn ich meiner Einbildung recht was zu gute thun will: ſo mahle ich ihr das Gluͤck ſolcher Freunde, die E 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/83>, abgerufen am 21.11.2024.