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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Verdienten sie die Krone oder nicht?
Laube aufsetzt, der mit einer Steuerfreyheit für das Jahr,
und einem Ehrenpfennig von funfzig Thalern, wozu ein
alter Canonicus aus der Familie das Capital vermacht
hat, verknüpft ist. Dabey werden dann alle würkliche
Eheleute an einer guten Tafel bewirthet, und des Abends
kommt das junge Volk zum Tanze. Nun geschahe es in
meiner Jugend, daß unser Gerichtsherr eben an einem
solchen Tage ein Schreiben aus Amsterdam erhielt, worin
ihm gemeldet wurde, daß vor vierzig Jahren ein gewis-
ser Mann aus seinem Dorfe nach Ostindien gegangen,
und mit Hinterlassung eines Vermögens von vielen Ton-
nen Goldes gestorben wäre; dieser hätte das Testament,
was ihm hiebey in Abschrift zukäme, gemacht, und darin
eine Person zur Erbin eingesetzt, welche damals in sei-
nem Gerichtsdorfe gewesen wäre; er möchte sich also er-
kundigen, ob dieselbe jetzt noch lebte, und sodann jemand
mit ihrer Vollmacht überschicken, welcher die Erbschaft,
worin außer dem baaren Gelde, viele kostbare Diaman-
ten und insbesondre eine Schnur orientalischer Perlen
von solcher Schönheit wären, daß eine Kayserin sich nicht
schämen dürfte sie zu tragen, in Empfang nähme. Sie
können sich vorstellen wie begierig jedermann ward, das
Testament zu hören, und die Person zu kennen, die so
viele Tonnen Goldes, so kostbare Diamanten, und so
schöne Perlen haben sollte. Der Gerichtsherr übergieng
demnach alles was der Verstorbene von dem großen Se-
gen Gottes, und von dem einzigen Erlöser und Seligma-
cher, welchem er seine Seele empfohl, gesagt hatte, und
suchte nur gleich die Stelle auf, wo nach diesem gewöhn-
lichen Eingange, die glückliche Erbin benannt wurde.
Hierauf fieng er mit lauter Stimme an zu lesen.

Zur Erbin aller meiner zeitlichen Güter setze ich
ein, meines ehemaligen guten Wirths Tochter, An-
na,

Verdienten ſie die Krone oder nicht?
Laube aufſetzt, der mit einer Steuerfreyheit fuͤr das Jahr,
und einem Ehrenpfennig von funfzig Thalern, wozu ein
alter Canonicus aus der Familie das Capital vermacht
hat, verknuͤpft iſt. Dabey werden dann alle wuͤrkliche
Eheleute an einer guten Tafel bewirthet, und des Abends
kommt das junge Volk zum Tanze. Nun geſchahe es in
meiner Jugend, daß unſer Gerichtsherr eben an einem
ſolchen Tage ein Schreiben aus Amſterdam erhielt, worin
ihm gemeldet wurde, daß vor vierzig Jahren ein gewiſ-
ſer Mann aus ſeinem Dorfe nach Oſtindien gegangen,
und mit Hinterlaſſung eines Vermoͤgens von vielen Ton-
nen Goldes geſtorben waͤre; dieſer haͤtte das Teſtament,
was ihm hiebey in Abſchrift zukaͤme, gemacht, und darin
eine Perſon zur Erbin eingeſetzt, welche damals in ſei-
nem Gerichtsdorfe geweſen waͤre; er moͤchte ſich alſo er-
kundigen, ob dieſelbe jetzt noch lebte, und ſodann jemand
mit ihrer Vollmacht uͤberſchicken, welcher die Erbſchaft,
worin außer dem baaren Gelde, viele koſtbare Diaman-
ten und insbeſondre eine Schnur orientaliſcher Perlen
von ſolcher Schoͤnheit waͤren, daß eine Kayſerin ſich nicht
ſchaͤmen duͤrfte ſie zu tragen, in Empfang naͤhme. Sie
koͤnnen ſich vorſtellen wie begierig jedermann ward, das
Teſtament zu hoͤren, und die Perſon zu kennen, die ſo
viele Tonnen Goldes, ſo koſtbare Diamanten, und ſo
ſchoͤne Perlen haben ſollte. Der Gerichtsherr uͤbergieng
demnach alles was der Verſtorbene von dem großen Se-
gen Gottes, und von dem einzigen Erloͤſer und Seligma-
cher, welchem er ſeine Seele empfohl, geſagt hatte, und
ſuchte nur gleich die Stelle auf, wo nach dieſem gewoͤhn-
lichen Eingange, die gluͤckliche Erbin benannt wurde.
Hierauf fieng er mit lauter Stimme an zu leſen.

Zur Erbin aller meiner zeitlichen Guͤter ſetze ich
ein, meines ehemaligen guten Wirths Tochter, An-
na,
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[78/0090] Verdienten ſie die Krone oder nicht? Laube aufſetzt, der mit einer Steuerfreyheit fuͤr das Jahr, und einem Ehrenpfennig von funfzig Thalern, wozu ein alter Canonicus aus der Familie das Capital vermacht hat, verknuͤpft iſt. Dabey werden dann alle wuͤrkliche Eheleute an einer guten Tafel bewirthet, und des Abends kommt das junge Volk zum Tanze. Nun geſchahe es in meiner Jugend, daß unſer Gerichtsherr eben an einem ſolchen Tage ein Schreiben aus Amſterdam erhielt, worin ihm gemeldet wurde, daß vor vierzig Jahren ein gewiſ- ſer Mann aus ſeinem Dorfe nach Oſtindien gegangen, und mit Hinterlaſſung eines Vermoͤgens von vielen Ton- nen Goldes geſtorben waͤre; dieſer haͤtte das Teſtament, was ihm hiebey in Abſchrift zukaͤme, gemacht, und darin eine Perſon zur Erbin eingeſetzt, welche damals in ſei- nem Gerichtsdorfe geweſen waͤre; er moͤchte ſich alſo er- kundigen, ob dieſelbe jetzt noch lebte, und ſodann jemand mit ihrer Vollmacht uͤberſchicken, welcher die Erbſchaft, worin außer dem baaren Gelde, viele koſtbare Diaman- ten und insbeſondre eine Schnur orientaliſcher Perlen von ſolcher Schoͤnheit waͤren, daß eine Kayſerin ſich nicht ſchaͤmen duͤrfte ſie zu tragen, in Empfang naͤhme. Sie koͤnnen ſich vorſtellen wie begierig jedermann ward, das Teſtament zu hoͤren, und die Perſon zu kennen, die ſo viele Tonnen Goldes, ſo koſtbare Diamanten, und ſo ſchoͤne Perlen haben ſollte. Der Gerichtsherr uͤbergieng demnach alles was der Verſtorbene von dem großen Se- gen Gottes, und von dem einzigen Erloͤſer und Seligma- cher, welchem er ſeine Seele empfohl, geſagt hatte, und ſuchte nur gleich die Stelle auf, wo nach dieſem gewoͤhn- lichen Eingange, die gluͤckliche Erbin benannt wurde. Hierauf fieng er mit lauter Stimme an zu leſen. Zur Erbin aller meiner zeitlichen Guͤter ſetze ich ein, meines ehemaligen guten Wirths Tochter, An- na,

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/90>, abgerufen am 21.11.2024.