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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Verdienten sie die Krone oder nicht?
er doch seiner Frauen über eine solche Kleinigkeit, die
ihm jetzt einen so reichen Segen zugebracht hätte, keinen
Vorwurf machen möchte. O! antwortete dieser, das ist
auch meine Meinung nicht; ich war nur neugierig zu
wissen und wollte weiter fragen: ob das Kind noch lebte,
und seinen Theil von der Erbschaft haben würde, oder ob
meine mit meiner Frauen erzeugten Kinder solche allein
zu erwarten hätten? Nun das ließ man gelten; und die
Frau stotterte mit vieler Bescheidenheit etwas heraus,
daraus man sich überzeugte, es hätte einmal in ihrer
Jugend ein Knecht bey ihren Eltern gedienet, der nach
Ostindien gegangen wäre, und sie hätte damals einmal
geglaubt schwanger zu seyn, es wäre aber noch glücklich
wieder übergegangen.

Man kann sich leicht vorstellen, daß man bey diesem
wichtigen Vorfalle die Ceremonie des Tages ganz ausser
Acht gelassen hatte. Wie es aber doch allmählig Essens-
zeit wurde: so erinnerte man sich derselben, weil man sich
nicht an den Tisch setzen konnte, ohne das Paar zu wäh-
len, was als das Beste den obersten Platz einnehmen
müßte. Alle Stimmen waren einmüthig für die Erbin
und ihren Mann. Jn dem Augenblick aber, da man
denselben die Krone von Eichen Laube aufsetzen wollte,
trat der Bruder der Gerichtsfrau mit einem lauten Geläch-
ter in die Versammlung, und erzählte ihnen zu ihrem
größten Erstaunen, daß er ihnen heute einen Possen ge-
spielt, und das schöne Testament erdichtet hätte.

Von dem Entsetzen, welches die ganze Gesellschaft
befiel, will ich nichts erwehnen; es kann auch nicht be-
schrieben sondern blos empfunden werden. Jetzt entstand
aber die Frage: ob der Mann, der seine Ehre so leicht
aufgegeben, und die Frau, die sich so bescheiden zur Hure

er-

Verdienten ſie die Krone oder nicht?
er doch ſeiner Frauen uͤber eine ſolche Kleinigkeit, die
ihm jetzt einen ſo reichen Segen zugebracht haͤtte, keinen
Vorwurf machen moͤchte. O! antwortete dieſer, das iſt
auch meine Meinung nicht; ich war nur neugierig zu
wiſſen und wollte weiter fragen: ob das Kind noch lebte,
und ſeinen Theil von der Erbſchaft haben wuͤrde, oder ob
meine mit meiner Frauen erzeugten Kinder ſolche allein
zu erwarten haͤtten? Nun das ließ man gelten; und die
Frau ſtotterte mit vieler Beſcheidenheit etwas heraus,
daraus man ſich uͤberzeugte, es haͤtte einmal in ihrer
Jugend ein Knecht bey ihren Eltern gedienet, der nach
Oſtindien gegangen waͤre, und ſie haͤtte damals einmal
geglaubt ſchwanger zu ſeyn, es waͤre aber noch gluͤcklich
wieder uͤbergegangen.

Man kann ſich leicht vorſtellen, daß man bey dieſem
wichtigen Vorfalle die Ceremonie des Tages ganz auſſer
Acht gelaſſen hatte. Wie es aber doch allmaͤhlig Eſſens-
zeit wurde: ſo erinnerte man ſich derſelben, weil man ſich
nicht an den Tiſch ſetzen konnte, ohne das Paar zu waͤh-
len, was als das Beſte den oberſten Platz einnehmen
muͤßte. Alle Stimmen waren einmuͤthig fuͤr die Erbin
und ihren Mann. Jn dem Augenblick aber, da man
denſelben die Krone von Eichen Laube aufſetzen wollte,
trat der Bruder der Gerichtsfrau mit einem lauten Gelaͤch-
ter in die Verſammlung, und erzaͤhlte ihnen zu ihrem
groͤßten Erſtaunen, daß er ihnen heute einen Poſſen ge-
ſpielt, und das ſchoͤne Teſtament erdichtet haͤtte.

Von dem Entſetzen, welches die ganze Geſellſchaft
befiel, will ich nichts erwehnen; es kann auch nicht be-
ſchrieben ſondern blos empfunden werden. Jetzt entſtand
aber die Frage: ob der Mann, der ſeine Ehre ſo leicht
aufgegeben, und die Frau, die ſich ſo beſcheiden zur Hure

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[80/0092] Verdienten ſie die Krone oder nicht? er doch ſeiner Frauen uͤber eine ſolche Kleinigkeit, die ihm jetzt einen ſo reichen Segen zugebracht haͤtte, keinen Vorwurf machen moͤchte. O! antwortete dieſer, das iſt auch meine Meinung nicht; ich war nur neugierig zu wiſſen und wollte weiter fragen: ob das Kind noch lebte, und ſeinen Theil von der Erbſchaft haben wuͤrde, oder ob meine mit meiner Frauen erzeugten Kinder ſolche allein zu erwarten haͤtten? Nun das ließ man gelten; und die Frau ſtotterte mit vieler Beſcheidenheit etwas heraus, daraus man ſich uͤberzeugte, es haͤtte einmal in ihrer Jugend ein Knecht bey ihren Eltern gedienet, der nach Oſtindien gegangen waͤre, und ſie haͤtte damals einmal geglaubt ſchwanger zu ſeyn, es waͤre aber noch gluͤcklich wieder uͤbergegangen. Man kann ſich leicht vorſtellen, daß man bey dieſem wichtigen Vorfalle die Ceremonie des Tages ganz auſſer Acht gelaſſen hatte. Wie es aber doch allmaͤhlig Eſſens- zeit wurde: ſo erinnerte man ſich derſelben, weil man ſich nicht an den Tiſch ſetzen konnte, ohne das Paar zu waͤh- len, was als das Beſte den oberſten Platz einnehmen muͤßte. Alle Stimmen waren einmuͤthig fuͤr die Erbin und ihren Mann. Jn dem Augenblick aber, da man denſelben die Krone von Eichen Laube aufſetzen wollte, trat der Bruder der Gerichtsfrau mit einem lauten Gelaͤch- ter in die Verſammlung, und erzaͤhlte ihnen zu ihrem groͤßten Erſtaunen, daß er ihnen heute einen Poſſen ge- ſpielt, und das ſchoͤne Teſtament erdichtet haͤtte. Von dem Entſetzen, welches die ganze Geſellſchaft befiel, will ich nichts erwehnen; es kann auch nicht be- ſchrieben ſondern blos empfunden werden. Jetzt entſtand aber die Frage: ob der Mann, der ſeine Ehre ſo leicht aufgegeben, und die Frau, die ſich ſo beſcheiden zur Hure er-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/92>, abgerufen am 21.11.2024.