Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
und kaum zu missen in der Patriarchie und im klassischen
Staate; dagegen hat sie rechtlich keine Beziehung zu irgend
einer andern Staatsart, namentlich nicht zu den verschie-
denen Formen des Rechtsstaates, dessen vielseitiger Zweck
durch den Bekenner einer jeden Religion erreicht werden
kann, falls er nur überhaupt auf der entsprechenden Ge-
sittigungsstufe steht.

2. Rechtliche Erwerbung. -- Der blose Besitz ge-
wisser Eigenschaften reicht zum Besitze oder Mitbesitze der
Staatsgewalt höchstens in der Aristokratie und in der Demo-
kratie aus, vorausgesetzt daß auch hier nicht etwa nur eine be-
stimmte Zahl Berechtigter besteht, und nicht wenigstens die
wirkliche Ausübung durch die Erfüllung gewisser Formen, z. B.
Leistung eines Eides, Nachweis der Wehrhaftigkeit u. s. f. be-
dingt ist. In allen andern Fällen muß die Staatsgewalt noch
besonders erworben werden, um rechtlich im Besitze zu sein.
Dies aber setzt Doppeltes voraus: nicht-rechtswidriges Offenstehen
der in Frage befindlichen Stelle, also Erledigung durch Tod, frei-
willigen Rücktritt, gesetzliche Entfernung u. s. f.; zweitens aber
rechtmäßiger Uebergang gerade an den Betheiligten, also nach
den Bestimmungen der Erbfolgeordnung bei erblichem Rechte,
durch gesetzliche Wahl oder Ernennung, durch rechtsgültige Er-
werbung der Herrschaft in einem Patrimonialstaate. -- Eine
Erwerbung, bei welcher diese Bedingungen fehlen, ist Usur-
pation
; eine solche gibt kein Recht, sondern ist nur ein that-
sächliches Verhältniß, in der Mehrzahl der Fälle sogar ein
Verbrechen 4). Ob durch spätere Handlungen der anfängliche
Fehler geheilt werden kann, hängt davon ab, ob die im einzelnen
Falle erforderlichen Eigenschaften von dem Betreffenden erworben
werden können, und ob der zum Besitze eigentlich Berechtigte
auf eine gültige Weise beseitigt ist, überhaupt kein näher Be-
rechtigter besteht. Restauration ist der nach einer unrecht-

und kaum zu miſſen in der Patriarchie und im klaſſiſchen
Staate; dagegen hat ſie rechtlich keine Beziehung zu irgend
einer andern Staatsart, namentlich nicht zu den verſchie-
denen Formen des Rechtsſtaates, deſſen vielſeitiger Zweck
durch den Bekenner einer jeden Religion erreicht werden
kann, falls er nur überhaupt auf der entſprechenden Ge-
ſittigungsſtufe ſteht.

2. Rechtliche Erwerbung. — Der bloſe Beſitz ge-
wiſſer Eigenſchaften reicht zum Beſitze oder Mitbeſitze der
Staatsgewalt höchſtens in der Ariſtokratie und in der Demo-
kratie aus, vorausgeſetzt daß auch hier nicht etwa nur eine be-
ſtimmte Zahl Berechtigter beſteht, und nicht wenigſtens die
wirkliche Ausübung durch die Erfüllung gewiſſer Formen, z. B.
Leiſtung eines Eides, Nachweis der Wehrhaftigkeit u. ſ. f. be-
dingt iſt. In allen andern Fällen muß die Staatsgewalt noch
beſonders erworben werden, um rechtlich im Beſitze zu ſein.
Dies aber ſetzt Doppeltes voraus: nicht-rechtswidriges Offenſtehen
der in Frage befindlichen Stelle, alſo Erledigung durch Tod, frei-
willigen Rücktritt, geſetzliche Entfernung u. ſ. f.; zweitens aber
rechtmäßiger Uebergang gerade an den Betheiligten, alſo nach
den Beſtimmungen der Erbfolgeordnung bei erblichem Rechte,
durch geſetzliche Wahl oder Ernennung, durch rechtsgültige Er-
werbung der Herrſchaft in einem Patrimonialſtaate. — Eine
Erwerbung, bei welcher dieſe Bedingungen fehlen, iſt Uſur-
pation
; eine ſolche gibt kein Recht, ſondern iſt nur ein that-
ſächliches Verhältniß, in der Mehrzahl der Fälle ſogar ein
Verbrechen 4). Ob durch ſpätere Handlungen der anfängliche
Fehler geheilt werden kann, hängt davon ab, ob die im einzelnen
Falle erforderlichen Eigenſchaften von dem Betreffenden erworben
werden können, und ob der zum Beſitze eigentlich Berechtigte
auf eine gültige Weiſe beſeitigt iſt, überhaupt kein näher Be-
rechtigter beſteht. Reſtauration iſt der nach einer unrecht-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <list>
                      <item><pb facs="#f0219" n="205"/>
und kaum zu mi&#x017F;&#x017F;en in der Patriarchie und im kla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Staate; dagegen hat &#x017F;ie rechtlich keine Beziehung zu irgend<lb/>
einer andern Staatsart, namentlich nicht zu den ver&#x017F;chie-<lb/>
denen Formen des Rechts&#x017F;taates, de&#x017F;&#x017F;en viel&#x017F;eitiger Zweck<lb/>
durch den Bekenner einer jeden Religion erreicht werden<lb/>
kann, falls er nur überhaupt auf der ent&#x017F;prechenden Ge-<lb/>
&#x017F;ittigungs&#x017F;tufe &#x017F;teht.</item>
                    </list><lb/>
                    <p>2. <hi rendition="#g">Rechtliche Erwerbung</hi>. &#x2014; Der blo&#x017F;e Be&#x017F;itz ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;er Eigen&#x017F;chaften reicht zum Be&#x017F;itze oder Mitbe&#x017F;itze der<lb/>
Staatsgewalt höch&#x017F;tens in der Ari&#x017F;tokratie und in der Demo-<lb/>
kratie aus, vorausge&#x017F;etzt daß auch hier nicht etwa nur eine be-<lb/>
&#x017F;timmte Zahl Berechtigter be&#x017F;teht, und nicht wenig&#x017F;tens die<lb/>
wirkliche Ausübung durch die Erfüllung gewi&#x017F;&#x017F;er Formen, z. B.<lb/>
Lei&#x017F;tung eines Eides, Nachweis der Wehrhaftigkeit u. &#x017F;. f. be-<lb/>
dingt i&#x017F;t. In allen andern Fällen muß die Staatsgewalt noch<lb/>
be&#x017F;onders erworben werden, um rechtlich im Be&#x017F;itze zu &#x017F;ein.<lb/>
Dies aber &#x017F;etzt Doppeltes voraus: nicht-rechtswidriges Offen&#x017F;tehen<lb/>
der in Frage befindlichen Stelle, al&#x017F;o Erledigung durch Tod, frei-<lb/>
willigen Rücktritt, ge&#x017F;etzliche Entfernung u. &#x017F;. f.; zweitens aber<lb/>
rechtmäßiger Uebergang gerade an den Betheiligten, al&#x017F;o nach<lb/>
den Be&#x017F;timmungen der Erbfolgeordnung bei erblichem Rechte,<lb/>
durch ge&#x017F;etzliche Wahl oder Ernennung, durch rechtsgültige Er-<lb/>
werbung der Herr&#x017F;chaft in einem Patrimonial&#x017F;taate. &#x2014; Eine<lb/>
Erwerbung, bei welcher die&#x017F;e Bedingungen fehlen, i&#x017F;t <hi rendition="#g">U&#x017F;ur-<lb/>
pation</hi>; eine &#x017F;olche gibt kein Recht, &#x017F;ondern i&#x017F;t nur ein that-<lb/>
&#x017F;ächliches Verhältniß, in der Mehrzahl der Fälle &#x017F;ogar ein<lb/>
Verbrechen <hi rendition="#sup">4</hi>). Ob durch &#x017F;pätere Handlungen der anfängliche<lb/>
Fehler geheilt werden kann, hängt davon ab, ob die im einzelnen<lb/>
Falle erforderlichen Eigen&#x017F;chaften von dem Betreffenden erworben<lb/>
werden können, und ob der zum Be&#x017F;itze eigentlich Berechtigte<lb/>
auf eine gültige Wei&#x017F;e be&#x017F;eitigt i&#x017F;t, überhaupt kein näher Be-<lb/>
rechtigter be&#x017F;teht. <hi rendition="#g">Re&#x017F;tauration</hi> i&#x017F;t der nach einer unrecht-<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0219] und kaum zu miſſen in der Patriarchie und im klaſſiſchen Staate; dagegen hat ſie rechtlich keine Beziehung zu irgend einer andern Staatsart, namentlich nicht zu den verſchie- denen Formen des Rechtsſtaates, deſſen vielſeitiger Zweck durch den Bekenner einer jeden Religion erreicht werden kann, falls er nur überhaupt auf der entſprechenden Ge- ſittigungsſtufe ſteht. 2. Rechtliche Erwerbung. — Der bloſe Beſitz ge- wiſſer Eigenſchaften reicht zum Beſitze oder Mitbeſitze der Staatsgewalt höchſtens in der Ariſtokratie und in der Demo- kratie aus, vorausgeſetzt daß auch hier nicht etwa nur eine be- ſtimmte Zahl Berechtigter beſteht, und nicht wenigſtens die wirkliche Ausübung durch die Erfüllung gewiſſer Formen, z. B. Leiſtung eines Eides, Nachweis der Wehrhaftigkeit u. ſ. f. be- dingt iſt. In allen andern Fällen muß die Staatsgewalt noch beſonders erworben werden, um rechtlich im Beſitze zu ſein. Dies aber ſetzt Doppeltes voraus: nicht-rechtswidriges Offenſtehen der in Frage befindlichen Stelle, alſo Erledigung durch Tod, frei- willigen Rücktritt, geſetzliche Entfernung u. ſ. f.; zweitens aber rechtmäßiger Uebergang gerade an den Betheiligten, alſo nach den Beſtimmungen der Erbfolgeordnung bei erblichem Rechte, durch geſetzliche Wahl oder Ernennung, durch rechtsgültige Er- werbung der Herrſchaft in einem Patrimonialſtaate. — Eine Erwerbung, bei welcher dieſe Bedingungen fehlen, iſt Uſur- pation; eine ſolche gibt kein Recht, ſondern iſt nur ein that- ſächliches Verhältniß, in der Mehrzahl der Fälle ſogar ein Verbrechen 4). Ob durch ſpätere Handlungen der anfängliche Fehler geheilt werden kann, hängt davon ab, ob die im einzelnen Falle erforderlichen Eigenſchaften von dem Betreffenden erworben werden können, und ob der zum Beſitze eigentlich Berechtigte auf eine gültige Weiſe beſeitigt iſt, überhaupt kein näher Be- rechtigter beſteht. Reſtauration iſt der nach einer unrecht-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/219
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/219>, abgerufen am 23.11.2024.