Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.diesen kurzen Sätzen ausdrücklich nur eine Verbindlichkeit für 1) Die Anwendung von Strafen wegen Ungehorsams der Unterthanen gegen die Staatsgewalt ist das regelmäßige Mittel zur Erzwingung der gesetzlichen Ordnung. Sie ist im Allgemeinen genügend und weniger ver- letzend für die Menschenwürde als ein unmittelbarer physischer Zwang. Letzterer aber kann doch nothwendig sein, wo das zu befürchtende Uebel nicht wieder gut zu machen wäre, oder wo der ganze Bestand der Staatseinrich- tung auf dem Spiele steht, endlich wo die Frechheit in der Auflehnung gegen die Gesetze allzu groß und von gefährlichem Beispiele ist. So also z. B. bei Feuer- und Wassersnoth, bei offener Widersetzlichkeit im Kleinen oder Großen, bei gewaltsamer Störung der Ordnung oder einer gleichar- tigen Bedrohung von Rechten, zur Aufrechterhaltung von Maßregeln gegen ansteckende Krankheiten. 2) Unzweifelhaft wird der Nomade, der Vasall in einem militärischen Lehensstaate oder der Stadtbürger in einem hausherrlichen Staate weit weniger vom öffentlichen Wesen und für dasselbe in Anspruch genommen, als der Bürger eines neuzeitigen Rechtsstaates. Allein letztere Einrichtung leistet auch ihren Angehörigen weit mehr. Man vergleiche die Zustände eines Beduinen oder eines Ritters im Mittelalter mit denen eines jetzigen Fran- zosen, Engländers oder Deutschen. 3) Allgemeine Literatur über die staatsbürgerlichen und politischen Rechte: mein Staats-R. des Königr. Württemberg, 2. Aufl., Bd. I, S. 323 fg. -- Vogel, E., Darstellung der Rechte und Verbindlichkeiten der Unterthanen. Lpz., 1841. -- Ottow, Die Grundrechte des deutschen Volkes. Frankf., 1849. -- Schützenberger, F., Les lois de l'ordre social. Par., 1849, Bd. I, S. 202 fg. -- Soria de Crispan, J., Philosophie de droit public. Brux., 1853, Bd. I und II. -- Zachariä, D. Staatsrecht, Bd. I, S. 398 fg. -- Zöpfl, D. Staats-R., Bd. II, S. 202 fg. -- Held, System des Verf.-Rechtes, Bd. II, S. 543 fg. -- Bluntschli, Allg. Staatsr., Bd. II, S. 476 fg. 4) Die häufige Vermischung der staatsbürgerlichen Rechte im engeren Sinne und der politischen Rechte der Unterthanen, wie sie nicht nur in der Lehre, sondern auch häufig genug in der Gesetzgebung, z. B. in Ver- fassungsurkunden, vorkömmt, ist nicht blos eine theoretische Verwirrung, sondern hat auch im Leben schädliche Folgen. Sie veranlaßt nämlich zweierlei Massen von Rechten, welche gar wohl von einander getrennt sein können, als mit einandergehend in Verleihung und Versagung zu behandeln. 5) Es beweist wohl ein großes staatliches Selbstgefühl, wenn nach dieſen kurzen Sätzen ausdrücklich nur eine Verbindlichkeit für 1) Die Anwendung von Strafen wegen Ungehorſams der Unterthanen gegen die Staatsgewalt iſt das regelmäßige Mittel zur Erzwingung der geſetzlichen Ordnung. Sie iſt im Allgemeinen genügend und weniger ver- letzend für die Menſchenwürde als ein unmittelbarer phyſiſcher Zwang. Letzterer aber kann doch nothwendig ſein, wo das zu befürchtende Uebel nicht wieder gut zu machen wäre, oder wo der ganze Beſtand der Staatseinrich- tung auf dem Spiele ſteht, endlich wo die Frechheit in der Auflehnung gegen die Geſetze allzu groß und von gefährlichem Beiſpiele iſt. So alſo z. B. bei Feuer- und Waſſersnoth, bei offener Widerſetzlichkeit im Kleinen oder Großen, bei gewaltſamer Störung der Ordnung oder einer gleichar- tigen Bedrohung von Rechten, zur Aufrechterhaltung von Maßregeln gegen anſteckende Krankheiten. 2) Unzweifelhaft wird der Nomade, der Vaſall in einem militäriſchen Lehensſtaate oder der Stadtbürger in einem hausherrlichen Staate weit weniger vom öffentlichen Weſen und für daſſelbe in Anſpruch genommen, als der Bürger eines neuzeitigen Rechtsſtaates. Allein letztere Einrichtung leiſtet auch ihren Angehörigen weit mehr. Man vergleiche die Zuſtände eines Beduinen oder eines Ritters im Mittelalter mit denen eines jetzigen Fran- zoſen, Engländers oder Deutſchen. 3) Allgemeine Literatur über die ſtaatsbürgerlichen und politiſchen Rechte: mein Staats-R. des Königr. Württemberg, 2. Aufl., Bd. I, S. 323 fg. — Vogel, E., Darſtellung der Rechte und Verbindlichkeiten der Unterthanen. Lpz., 1841. — Ottow, Die Grundrechte des deutſchen Volkes. Frankf., 1849. — Schützenberger, F., Les lois de l’ordre social. Par., 1849, Bd. I, S. 202 fg. — Soria de Crispan, J., Philosophie de droit public. Brux., 1853, Bd. I und II. — Zachariä, D. Staatsrecht, Bd. I, S. 398 fg. — Zöpfl, D. Staats-R., Bd. II, S. 202 fg. — Held, Syſtem des Verf.-Rechtes, Bd. II, S. 543 fg. — Bluntſchli, Allg. Staatsr., Bd. II, S. 476 fg. 4) Die häufige Vermiſchung der ſtaatsbürgerlichen Rechte im engeren Sinne und der politiſchen Rechte der Unterthanen, wie ſie nicht nur in der Lehre, ſondern auch häufig genug in der Geſetzgebung, z. B. in Ver- faſſungsurkunden, vorkömmt, iſt nicht blos eine theoretiſche Verwirrung, ſondern hat auch im Leben ſchädliche Folgen. Sie veranlaßt nämlich zweierlei Maſſen von Rechten, welche gar wohl von einander getrennt ſein können, als mit einandergehend in Verleihung und Verſagung zu behandeln. 5) Es beweiſt wohl ein großes ſtaatliches Selbſtgefühl, wenn nach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0248" n="234"/> dieſen kurzen Sätzen ausdrücklich nur eine Verbindlichkeit für<lb/> den Geſetzgeber zuzuſchreiben, bis zu deren Erfüllung aber das<lb/> beſtehende Recht als fortdauernd zu erklären.</p><lb/> <note place="end" n="1)">Die Anwendung von Strafen wegen Ungehorſams der Unterthanen<lb/> gegen die Staatsgewalt iſt das regelmäßige Mittel zur Erzwingung der<lb/> geſetzlichen Ordnung. 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dieſen kurzen Sätzen ausdrücklich nur eine Verbindlichkeit für
den Geſetzgeber zuzuſchreiben, bis zu deren Erfüllung aber das
beſtehende Recht als fortdauernd zu erklären.
¹⁾ Die Anwendung von Strafen wegen Ungehorſams der Unterthanen
gegen die Staatsgewalt iſt das regelmäßige Mittel zur Erzwingung der
geſetzlichen Ordnung. Sie iſt im Allgemeinen genügend und weniger ver-
letzend für die Menſchenwürde als ein unmittelbarer phyſiſcher Zwang.
Letzterer aber kann doch nothwendig ſein, wo das zu befürchtende Uebel nicht
wieder gut zu machen wäre, oder wo der ganze Beſtand der Staatseinrich-
tung auf dem Spiele ſteht, endlich wo die Frechheit in der Auflehnung
gegen die Geſetze allzu groß und von gefährlichem Beiſpiele iſt. So alſo
z. B. bei Feuer- und Waſſersnoth, bei offener Widerſetzlichkeit im Kleinen
oder Großen, bei gewaltſamer Störung der Ordnung oder einer gleichar-
tigen Bedrohung von Rechten, zur Aufrechterhaltung von Maßregeln gegen
anſteckende Krankheiten.
²⁾ Unzweifelhaft wird der Nomade, der Vaſall in einem militäriſchen
Lehensſtaate oder der Stadtbürger in einem hausherrlichen Staate weit
weniger vom öffentlichen Weſen und für daſſelbe in Anſpruch genommen,
als der Bürger eines neuzeitigen Rechtsſtaates. Allein letztere Einrichtung
leiſtet auch ihren Angehörigen weit mehr. Man vergleiche die Zuſtände eines
Beduinen oder eines Ritters im Mittelalter mit denen eines jetzigen Fran-
zoſen, Engländers oder Deutſchen.
³⁾ Allgemeine Literatur über die ſtaatsbürgerlichen und politiſchen
Rechte: mein Staats-R. des Königr. Württemberg, 2. Aufl., Bd. I,
S. 323 fg. — Vogel, E., Darſtellung der Rechte und Verbindlichkeiten
der Unterthanen. Lpz., 1841. — Ottow, Die Grundrechte des deutſchen
Volkes. Frankf., 1849. — Schützenberger, F., Les lois de l’ordre
social. Par., 1849, Bd. I, S. 202 fg. — Soria de Crispan, J.,
Philosophie de droit public. Brux., 1853, Bd. I und II. — Zachariä,
D. Staatsrecht, Bd. I, S. 398 fg. — Zöpfl, D. Staats-R., Bd. II,
S. 202 fg. — Held, Syſtem des Verf.-Rechtes, Bd. II, S. 543 fg. —
Bluntſchli, Allg. Staatsr., Bd. II, S. 476 fg.
⁴⁾ Die häufige Vermiſchung der ſtaatsbürgerlichen Rechte im engeren
Sinne und der politiſchen Rechte der Unterthanen, wie ſie nicht nur in der
Lehre, ſondern auch häufig genug in der Geſetzgebung, z. B. in Ver-
faſſungsurkunden, vorkömmt, iſt nicht blos eine theoretiſche Verwirrung,
ſondern hat auch im Leben ſchädliche Folgen. Sie veranlaßt nämlich zweierlei
Maſſen von Rechten, welche gar wohl von einander getrennt ſein können,
als mit einandergehend in Verleihung und Verſagung zu behandeln.
⁵⁾ Es beweiſt wohl ein großes ſtaatliches Selbſtgefühl, wenn nach
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