Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
monialstaat zu verwandeln bemüht ist. Gerade im Patrimonialstaate findet
weder grundsätzlich noch thatsächlich eine solche genaue Beschränkung der
ständischen Rechte statt, vielmehr kann hier Mitregierung der Unterthanen
in jedem beliebigen Maße bestehen ohne Verletzung des Grundgedankens.
Die Ausdehnung solcher Rechte ist lediglich eine thatsächliche Frage und eine
Folge von Zufällen und äußeren Nothwendigkeiten.
4) Es entspricht sowohl dem Rechte als dem Vortheile beider Theile,
wenn im Patrimonialstaate die Wirthschaft des Fürsten (oder der herrschenden
Gemeinde) und die des Landes möglichst scharf getrennt und die Rechtstitel
genau bestimmt und immer unzweifelhaft erhalten werden. Hier ist z. B.
auf eine Ueberlassung der Domänen des Fürsten an das Land so wenig
ein Anspruch, als auf eine Einziehung des Eigenthums der Unterthanen
von Seiten des Herrn. Und wenn die Behandlung des Kammergutes als
Staatsgut in einigen deutschen Staaten so heftigen Widerspruch von Seiten
der fürstlichen Inhaber gefunden hat und noch findet, so wäre nicht der
mindeste Grund zum Tadel, würde es sich von Patrimonialstaaten handeln.
Es ist vielmehr die folgewidrige Mischung dieser Staatsgattung mit dem
neuzeitlichen Rechtsstaate, oder der unausführbare Versuch, letzteren wieder
umzuwandeln in die frühere Patrimonialherrschaft, was Mißstimmung erregt
und das Gefühl der Unhaltbarkeit erweckt. -- Daß übrigens bei einer rein
durchgeführten Haushaltung eines Patrimonialstaates wunderliche und un-
zweckmäßige Verwaltungseinrichtungen entstehen, darf nicht verwundern,
muß vielmehr in den Kauf genommen werden. So z. B. herr- und
landschaftliche gemeinschaftliche Schuldenzahlungs-Deputationen, dergleichen
Schloßbau-Deputationen u. s. w.
§ 42.
3. Die Theokratie.

Nicht wenige Religionen lehren, daß das Leben der Men-
schen von einer göttlichen Macht unmittelbar geleitet werde,
und daß sich diese namentlich auch die Anordnung und Leitung
der staatlichen Zustände vorbehalte. Bald ist diese Fürsorge
auf ein bestimmtes einzelnes Volk beschränkt, welches dadurch als
Liebling der Gottheit erklärt ist; bald spricht eine Weltreligion
dieß für Alle aus. Wo der Glaube an eine solche Lehre maßge-
bend ist für das ganze Leben eines Volkes, da erzeugt er denn auch
einen entsprechenden Staat, welcher in seinem innersten Wesen,

monialſtaat zu verwandeln bemüht iſt. Gerade im Patrimonialſtaate findet
weder grundſätzlich noch thatſächlich eine ſolche genaue Beſchränkung der
ſtändiſchen Rechte ſtatt, vielmehr kann hier Mitregierung der Unterthanen
in jedem beliebigen Maße beſtehen ohne Verletzung des Grundgedankens.
Die Ausdehnung ſolcher Rechte iſt lediglich eine thatſächliche Frage und eine
Folge von Zufällen und äußeren Nothwendigkeiten.
4) Es entſpricht ſowohl dem Rechte als dem Vortheile beider Theile,
wenn im Patrimonialſtaate die Wirthſchaft des Fürſten (oder der herrſchenden
Gemeinde) und die des Landes möglichſt ſcharf getrennt und die Rechtstitel
genau beſtimmt und immer unzweifelhaft erhalten werden. Hier iſt z. B.
auf eine Ueberlaſſung der Domänen des Fürſten an das Land ſo wenig
ein Anſpruch, als auf eine Einziehung des Eigenthums der Unterthanen
von Seiten des Herrn. Und wenn die Behandlung des Kammergutes als
Staatsgut in einigen deutſchen Staaten ſo heftigen Widerſpruch von Seiten
der fürſtlichen Inhaber gefunden hat und noch findet, ſo wäre nicht der
mindeſte Grund zum Tadel, würde es ſich von Patrimonialſtaaten handeln.
Es iſt vielmehr die folgewidrige Miſchung dieſer Staatsgattung mit dem
neuzeitlichen Rechtsſtaate, oder der unausführbare Verſuch, letzteren wieder
umzuwandeln in die frühere Patrimonialherrſchaft, was Mißſtimmung erregt
und das Gefühl der Unhaltbarkeit erweckt. — Daß übrigens bei einer rein
durchgeführten Haushaltung eines Patrimonialſtaates wunderliche und un-
zweckmäßige Verwaltungseinrichtungen entſtehen, darf nicht verwundern,
muß vielmehr in den Kauf genommen werden. So z. B. herr- und
landſchaftliche gemeinſchaftliche Schuldenzahlungs-Deputationen, dergleichen
Schloßbau-Deputationen u. ſ. w.
§ 42.
3. Die Theokratie.

Nicht wenige Religionen lehren, daß das Leben der Men-
ſchen von einer göttlichen Macht unmittelbar geleitet werde,
und daß ſich dieſe namentlich auch die Anordnung und Leitung
der ſtaatlichen Zuſtände vorbehalte. Bald iſt dieſe Fürſorge
auf ein beſtimmtes einzelnes Volk beſchränkt, welches dadurch als
Liebling der Gottheit erklärt iſt; bald ſpricht eine Weltreligion
dieß für Alle aus. Wo der Glaube an eine ſolche Lehre maßge-
bend iſt für das ganze Leben eines Volkes, da erzeugt er denn auch
einen entſprechenden Staat, welcher in ſeinem innerſten Weſen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <note place="end" n="3)"><pb facs="#f0323" n="309"/>
monial&#x017F;taat zu verwandeln bemüht i&#x017F;t. Gerade im Patrimonial&#x017F;taate findet<lb/>
weder grund&#x017F;ätzlich noch that&#x017F;ächlich eine &#x017F;olche genaue Be&#x017F;chränkung der<lb/>
&#x017F;tändi&#x017F;chen Rechte &#x017F;tatt, vielmehr kann hier Mitregierung der Unterthanen<lb/>
in jedem beliebigen Maße be&#x017F;tehen ohne Verletzung des Grundgedankens.<lb/>
Die Ausdehnung &#x017F;olcher Rechte i&#x017F;t lediglich eine that&#x017F;ächliche Frage und eine<lb/>
Folge von Zufällen und äußeren Nothwendigkeiten.</note><lb/>
                  <note place="end" n="4)">Es ent&#x017F;pricht &#x017F;owohl dem Rechte als dem Vortheile beider Theile,<lb/>
wenn im Patrimonial&#x017F;taate die Wirth&#x017F;chaft des Für&#x017F;ten (oder der herr&#x017F;chenden<lb/>
Gemeinde) und die des Landes möglich&#x017F;t &#x017F;charf getrennt und die Rechtstitel<lb/>
genau be&#x017F;timmt und immer unzweifelhaft erhalten werden. Hier i&#x017F;t z. B.<lb/>
auf eine Ueberla&#x017F;&#x017F;ung der Domänen des Für&#x017F;ten an das Land &#x017F;o wenig<lb/>
ein An&#x017F;pruch, als auf eine Einziehung des Eigenthums der Unterthanen<lb/>
von Seiten des Herrn. Und wenn die Behandlung des Kammergutes als<lb/>
Staatsgut in einigen deut&#x017F;chen Staaten &#x017F;o heftigen Wider&#x017F;pruch von Seiten<lb/>
der für&#x017F;tlichen Inhaber gefunden hat und noch findet, &#x017F;o wäre nicht der<lb/>
minde&#x017F;te Grund zum Tadel, würde es &#x017F;ich von Patrimonial&#x017F;taaten handeln.<lb/>
Es i&#x017F;t vielmehr die folgewidrige Mi&#x017F;chung die&#x017F;er Staatsgattung mit dem<lb/>
neuzeitlichen Rechts&#x017F;taate, oder der unausführbare Ver&#x017F;uch, letzteren wieder<lb/>
umzuwandeln in die frühere Patrimonialherr&#x017F;chaft, was Miß&#x017F;timmung erregt<lb/>
und das Gefühl der Unhaltbarkeit erweckt. &#x2014; Daß übrigens bei einer rein<lb/>
durchgeführten Haushaltung eines Patrimonial&#x017F;taates wunderliche und un-<lb/>
zweckmäßige Verwaltungseinrichtungen ent&#x017F;tehen, darf nicht verwundern,<lb/>
muß vielmehr in den Kauf genommen werden. So z. B. herr- und<lb/>
land&#x017F;chaftliche gemein&#x017F;chaftliche Schuldenzahlungs-Deputationen, dergleichen<lb/>
Schloßbau-Deputationen u. &#x017F;. w.</note>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head>§ 42.<lb/><hi rendition="#b">3. Die Theokratie.</hi></head><lb/>
                  <p>Nicht wenige Religionen lehren, daß das Leben der Men-<lb/>
&#x017F;chen von einer göttlichen Macht unmittelbar geleitet werde,<lb/>
und daß &#x017F;ich die&#x017F;e namentlich auch die Anordnung und Leitung<lb/>
der &#x017F;taatlichen Zu&#x017F;tände vorbehalte. Bald i&#x017F;t die&#x017F;e Für&#x017F;orge<lb/>
auf ein be&#x017F;timmtes einzelnes Volk be&#x017F;chränkt, welches dadurch als<lb/>
Liebling der Gottheit erklärt i&#x017F;t; bald &#x017F;pricht eine Weltreligion<lb/>
dieß für Alle aus. Wo der Glaube an eine &#x017F;olche Lehre maßge-<lb/>
bend i&#x017F;t für das ganze Leben eines Volkes, da erzeugt er denn auch<lb/>
einen ent&#x017F;prechenden Staat, welcher in &#x017F;einem inner&#x017F;ten We&#x017F;en,<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0323] ³⁾ monialſtaat zu verwandeln bemüht iſt. Gerade im Patrimonialſtaate findet weder grundſätzlich noch thatſächlich eine ſolche genaue Beſchränkung der ſtändiſchen Rechte ſtatt, vielmehr kann hier Mitregierung der Unterthanen in jedem beliebigen Maße beſtehen ohne Verletzung des Grundgedankens. Die Ausdehnung ſolcher Rechte iſt lediglich eine thatſächliche Frage und eine Folge von Zufällen und äußeren Nothwendigkeiten. ⁴⁾ Es entſpricht ſowohl dem Rechte als dem Vortheile beider Theile, wenn im Patrimonialſtaate die Wirthſchaft des Fürſten (oder der herrſchenden Gemeinde) und die des Landes möglichſt ſcharf getrennt und die Rechtstitel genau beſtimmt und immer unzweifelhaft erhalten werden. Hier iſt z. B. auf eine Ueberlaſſung der Domänen des Fürſten an das Land ſo wenig ein Anſpruch, als auf eine Einziehung des Eigenthums der Unterthanen von Seiten des Herrn. Und wenn die Behandlung des Kammergutes als Staatsgut in einigen deutſchen Staaten ſo heftigen Widerſpruch von Seiten der fürſtlichen Inhaber gefunden hat und noch findet, ſo wäre nicht der mindeſte Grund zum Tadel, würde es ſich von Patrimonialſtaaten handeln. Es iſt vielmehr die folgewidrige Miſchung dieſer Staatsgattung mit dem neuzeitlichen Rechtsſtaate, oder der unausführbare Verſuch, letzteren wieder umzuwandeln in die frühere Patrimonialherrſchaft, was Mißſtimmung erregt und das Gefühl der Unhaltbarkeit erweckt. — Daß übrigens bei einer rein durchgeführten Haushaltung eines Patrimonialſtaates wunderliche und un- zweckmäßige Verwaltungseinrichtungen entſtehen, darf nicht verwundern, muß vielmehr in den Kauf genommen werden. So z. B. herr- und landſchaftliche gemeinſchaftliche Schuldenzahlungs-Deputationen, dergleichen Schloßbau-Deputationen u. ſ. w. § 42. 3. Die Theokratie. Nicht wenige Religionen lehren, daß das Leben der Men- ſchen von einer göttlichen Macht unmittelbar geleitet werde, und daß ſich dieſe namentlich auch die Anordnung und Leitung der ſtaatlichen Zuſtände vorbehalte. Bald iſt dieſe Fürſorge auf ein beſtimmtes einzelnes Volk beſchränkt, welches dadurch als Liebling der Gottheit erklärt iſt; bald ſpricht eine Weltreligion dieß für Alle aus. Wo der Glaube an eine ſolche Lehre maßge- bend iſt für das ganze Leben eines Volkes, da erzeugt er denn auch einen entſprechenden Staat, welcher in ſeinem innerſten Weſen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/323
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/323>, abgerufen am 26.11.2024.