stärksten ist natürlich unter solchen Umständen die Aristokratie da, wo sie sich mit dem Priesterthume verbindet. -- Gegen Mißbrauch der Gewalt auf Kosten der Menge sind immerhin Einrichtungen möglich und räthlich. So z. B. die Bestellung von Volkstribunen, deren Zustimmung zu den Gesetzen noth- wendig ist.
Am wenigsten paßt für den klassischen Staat die beständige Regierung eines Einzelnen, weil hier ein staatliches Gemeinleben doch kaum noch etwas Anderes als eine bloße Dichtung ist, und namentlich die Zwecke und Interessen des Einen, nicht aber die Bedürfnisse und Anschauungen der Ge- sammtheit den Ausschlag geben. Am leidlichsten ist diese Re- gierungsart in der Form einer bloßen Magistratur; allein auch so muß sie gefürchtet und gehaßt sein, daher auch in der Regel schnell wieder ein Ende finden 4).
1) Ueber das Wesen des klassischen Staates s. Welcker, K. Th., Letzte Gründe, S. 342 u. ff. -- Vollgraff, K., Antike Politik. Gießen, 1828. -- Hermann, K. F., Griechische Staatsalterthümer 4. Aufl. Heidelb., 1855. -- Plaß, Die Tyrannis. I. II. Bremen, 1852. -- Bluntschli, Allgem. Staatsrecht, Bd. I, schildert zwar die drei verschie- denen Formen des klassischen Staates in ihren Eigenthümlichkeiten, allein er faßt diese Staatsgattung nicht als ein Gesondertes, sondern vertheilt ihre verschiedenen Erscheinungen nach dem secundären, blos formellen Ein- theilungsgrunde der Zahl der Regierenden.
2) Eine große Verwirrung in theoretischen Sätzen und in Rathschlägen für das Leben ist schon häufig dadurch entstanden, daß der klassische Staat nicht unterschieden wurde von dem Rechtsstaate der Neuzeit, und so Lehren und Erfahrungen des ersteren ohne Weiteres als anwendbar erachtet wurden für die Verhältnisse der Gegenwart. Daß dies bei dem Erwachen der Bil- dung und Gelehrsamkeit nach dem Mittelalter geschah, ist begreiflich, indem theils das Wesen des Rechtsstaates sich noch nicht deutlich entwickelt hatte, theils überhaupt das wenige vorhandene Wissen auf den Resten der griechischen und römischen Gesittigung beruhte. So konnte denn Bodinus in seinem großen Werke über den Staat durchweg von den Ansichten der Alten aus- gehen; und selbst Machiavelli lehnte seine Betrachtungen an den römi- schen Staat an. Allein ein Beweis von halber Bildung oder von Gedanken-
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ſtärkſten iſt natürlich unter ſolchen Umſtänden die Ariſtokratie da, wo ſie ſich mit dem Prieſterthume verbindet. — Gegen Mißbrauch der Gewalt auf Koſten der Menge ſind immerhin Einrichtungen möglich und räthlich. So z. B. die Beſtellung von Volkstribunen, deren Zuſtimmung zu den Geſetzen noth- wendig iſt.
Am wenigſten paßt für den klaſſiſchen Staat die beſtändige Regierung eines Einzelnen, weil hier ein ſtaatliches Gemeinleben doch kaum noch etwas Anderes als eine bloße Dichtung iſt, und namentlich die Zwecke und Intereſſen des Einen, nicht aber die Bedürfniſſe und Anſchauungen der Ge- ſammtheit den Ausſchlag geben. Am leidlichſten iſt dieſe Re- gierungsart in der Form einer bloßen Magiſtratur; allein auch ſo muß ſie gefürchtet und gehaßt ſein, daher auch in der Regel ſchnell wieder ein Ende finden 4).
1) Ueber das Weſen des klaſſiſchen Staates ſ. Welcker, K. Th., Letzte Gründe, S. 342 u. ff. — Vollgraff, K., Antike Politik. Gießen, 1828. — Hermann, K. F., Griechiſche Staatsalterthümer 4. Aufl. Heidelb., 1855. — Plaß, Die Tyrannis. I. II. Bremen, 1852. — Bluntſchli, Allgem. Staatsrecht, Bd. I, ſchildert zwar die drei verſchie- denen Formen des klaſſiſchen Staates in ihren Eigenthümlichkeiten, allein er faßt dieſe Staatsgattung nicht als ein Geſondertes, ſondern vertheilt ihre verſchiedenen Erſcheinungen nach dem ſecundären, blos formellen Ein- theilungsgrunde der Zahl der Regierenden.
2) Eine große Verwirrung in theoretiſchen Sätzen und in Rathſchlägen für das Leben iſt ſchon häufig dadurch entſtanden, daß der klaſſiſche Staat nicht unterſchieden wurde von dem Rechtsſtaate der Neuzeit, und ſo Lehren und Erfahrungen des erſteren ohne Weiteres als anwendbar erachtet wurden für die Verhältniſſe der Gegenwart. Daß dies bei dem Erwachen der Bil- dung und Gelehrſamkeit nach dem Mittelalter geſchah, iſt begreiflich, indem theils das Weſen des Rechtsſtaates ſich noch nicht deutlich entwickelt hatte, theils überhaupt das wenige vorhandene Wiſſen auf den Reſten der griechiſchen und römiſchen Geſittigung beruhte. So konnte denn Bodinus in ſeinem großen Werke über den Staat durchweg von den Anſichten der Alten aus- gehen; und ſelbſt Machiavelli lehnte ſeine Betrachtungen an den römi- ſchen Staat an. Allein ein Beweis von halber Bildung oder von Gedanken-
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ſtärkſten iſt natürlich unter ſolchen Umſtänden die Ariſtokratie
da, wo ſie ſich mit dem Prieſterthume verbindet. — Gegen
Mißbrauch der Gewalt auf Koſten der Menge ſind immerhin
Einrichtungen möglich und räthlich. So z. B. die Beſtellung
von Volkstribunen, deren Zuſtimmung zu den Geſetzen noth-
wendig iſt.
Am wenigſten paßt für den klaſſiſchen Staat die beſtändige
Regierung eines Einzelnen, weil hier ein ſtaatliches
Gemeinleben doch kaum noch etwas Anderes als eine bloße
Dichtung iſt, und namentlich die Zwecke und Intereſſen des
Einen, nicht aber die Bedürfniſſe und Anſchauungen der Ge-
ſammtheit den Ausſchlag geben. Am leidlichſten iſt dieſe Re-
gierungsart in der Form einer bloßen Magiſtratur; allein auch
ſo muß ſie gefürchtet und gehaßt ſein, daher auch in der Regel
ſchnell wieder ein Ende finden 4).
¹⁾ Ueber das Weſen des klaſſiſchen Staates ſ. Welcker, K. Th.,
Letzte Gründe, S. 342 u. ff. — Vollgraff, K., Antike Politik. Gießen,
1828. — Hermann, K. F., Griechiſche Staatsalterthümer 4. Aufl.
Heidelb., 1855. — Plaß, Die Tyrannis. I. II. Bremen, 1852. —
Bluntſchli, Allgem. Staatsrecht, Bd. I, ſchildert zwar die drei verſchie-
denen Formen des klaſſiſchen Staates in ihren Eigenthümlichkeiten, allein
er faßt dieſe Staatsgattung nicht als ein Geſondertes, ſondern vertheilt
ihre verſchiedenen Erſcheinungen nach dem ſecundären, blos formellen Ein-
theilungsgrunde der Zahl der Regierenden.
²⁾ Eine große Verwirrung in theoretiſchen Sätzen und in Rathſchlägen
für das Leben iſt ſchon häufig dadurch entſtanden, daß der klaſſiſche Staat
nicht unterſchieden wurde von dem Rechtsſtaate der Neuzeit, und ſo Lehren
und Erfahrungen des erſteren ohne Weiteres als anwendbar erachtet wurden
für die Verhältniſſe der Gegenwart. Daß dies bei dem Erwachen der Bil-
dung und Gelehrſamkeit nach dem Mittelalter geſchah, iſt begreiflich, indem
theils das Weſen des Rechtsſtaates ſich noch nicht deutlich entwickelt hatte,
theils überhaupt das wenige vorhandene Wiſſen auf den Reſten der griechiſchen
und römiſchen Geſittigung beruhte. So konnte denn Bodinus in ſeinem
großen Werke über den Staat durchweg von den Anſichten der Alten aus-
gehen; und ſelbſt Machiavelli lehnte ſeine Betrachtungen an den römi-
ſchen Staat an. Allein ein Beweis von halber Bildung oder von Gedanken-
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/337>, abgerufen am 29.07.2024.
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