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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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der angeborenen Menschenrechte mit der Befähigung zu Staatsgeschäften zu
dem verkehrten Bestreben, das aktive und folgerichtigerweise auch das passive
Wahlrecht selbst auf die Weiber auszudehnen. Auf der andern Seite hat
die offenbar zu kurz gegriffene Aufnahme Eingewanderter in das volle
Bürgerrecht nach blos 5 Jahren zu der großen Bewegung der Knownothings
geführt. So völlig verkehrt die erste Richtung ist, so vollständig berechtigt
ist die zweite, (natürlich abgesehen von ungesetzlichen Gewaltthätigkeiten und
Rohheiten.)
5) Bei den jetzigen großen Forderungen der Völker an die Leistungen
des Staates, welche natürlich entsprechende Mittel voraussetzen, die ihrer-
seits nur von einem größern Gebiete und einer zahlreichen Bevölkerung
geliefert werden können, ist die Bildung reiner Volksherrschaften jetzt kaum
noch in ganz einzelnen Ausnahmsfällen von vereinzelten Städten oder Hir-
tenlandschaften möglich, je weiter daher der demokratische Geist um sich
greift, desto größer muß auch die Verbreitung der in der Form der Ver-
tretung geordneten Volksherrschaft werden, da nur diese die Bedingung
der Macht und der Selbstregierung des Volkes vereinigt. -- Diese Staats-
form hat sich denn auch sogleich ausgebildet, sobald sich in den neuzeitigen
größeren Staaten Abneigung gegen Einherrschaft Bahn brach. So in
Holland, namentlich aber in England in dem Kampfe mit den Stuarts,
und in Amerika bei der Befreiung von England.
6) Anders freilich Aristoteles, welcher in der besten Demokratie
namentlich die Gerichtsbarkeit dem ganzen Volke übergeben will.
7) So richtig im Allgemeinen die Ansicht ist, daß die Befugniß an
einer staatlichen Wahl Antheil zu nehmen, nicht vom Standpunkte des
persönlichen Rechtes aufgefaßt, sondern als ein Auftrag oder als ein Amt
betrachtet werden muß: so verhält sich dies doch anders in der Volksherr-
schaft durch Vertretung. In der Volksherschaft geht man überhaupt von
dem angebornen Rechte des Einzelnen, an der Regierung Theil zu nehmen,
aus. Will oder kann nun dieses Recht aus äußeren Gründen nicht selbst
ausgeübt, sondern soll es an einen Stellvertreter übertragen werden: so hat
der Einzelne bei der Wahl seines Vertreters allerdings ein Recht und keinen
Auftrag. Und wenn Bluntschli, Allg. Staats-R., Bd. I, S. 284 fg.,
auch in der repräsentativen Demokratie den verschiedenen Bestandtheilen und
Interessen im Volke, namentlich also dem Vermögen, der Bildung, in
Berufs- und Lebensweise, eine deren Verhältniß zum Ganzen gemäße Ver-
tretung sichern will: so sind diese politischen Rücksichten ohne Zweifel an sich
ganz beachtenswerth, allein es kann ihnen in einer Volkswirthschaft keine
Geltung eingeräumt werden, da sie den Grundgedanken der Staatsform
geradezu widersprechen. Erster Grundsatz des Rechtes und der Politik ist es,
folgerichtig zu sein; und in keiner Staatsform, welche sie auch sei, können
der angeborenen Menſchenrechte mit der Befähigung zu Staatsgeſchäften zu
dem verkehrten Beſtreben, das aktive und folgerichtigerweiſe auch das paſſive
Wahlrecht ſelbſt auf die Weiber auszudehnen. Auf der andern Seite hat
die offenbar zu kurz gegriffene Aufnahme Eingewanderter in das volle
Bürgerrecht nach blos 5 Jahren zu der großen Bewegung der Knownothings
geführt. So völlig verkehrt die erſte Richtung iſt, ſo vollſtändig berechtigt
iſt die zweite, (natürlich abgeſehen von ungeſetzlichen Gewaltthätigkeiten und
Rohheiten.)
5) Bei den jetzigen großen Forderungen der Völker an die Leiſtungen
des Staates, welche natürlich entſprechende Mittel vorausſetzen, die ihrer-
ſeits nur von einem größern Gebiete und einer zahlreichen Bevölkerung
geliefert werden können, iſt die Bildung reiner Volksherrſchaften jetzt kaum
noch in ganz einzelnen Ausnahmsfällen von vereinzelten Städten oder Hir-
tenlandſchaften möglich, je weiter daher der demokratiſche Geiſt um ſich
greift, deſto größer muß auch die Verbreitung der in der Form der Ver-
tretung geordneten Volksherrſchaft werden, da nur dieſe die Bedingung
der Macht und der Selbſtregierung des Volkes vereinigt. — Dieſe Staats-
form hat ſich denn auch ſogleich ausgebildet, ſobald ſich in den neuzeitigen
größeren Staaten Abneigung gegen Einherrſchaft Bahn brach. So in
Holland, namentlich aber in England in dem Kampfe mit den Stuarts,
und in Amerika bei der Befreiung von England.
6) Anders freilich Ariſtoteles, welcher in der beſten Demokratie
namentlich die Gerichtsbarkeit dem ganzen Volke übergeben will.
7) So richtig im Allgemeinen die Anſicht iſt, daß die Befugniß an
einer ſtaatlichen Wahl Antheil zu nehmen, nicht vom Standpunkte des
perſönlichen Rechtes aufgefaßt, ſondern als ein Auftrag oder als ein Amt
betrachtet werden muß: ſo verhält ſich dies doch anders in der Volksherr-
ſchaft durch Vertretung. In der Volksherſchaft geht man überhaupt von
dem angebornen Rechte des Einzelnen, an der Regierung Theil zu nehmen,
aus. Will oder kann nun dieſes Recht aus äußeren Gründen nicht ſelbſt
ausgeübt, ſondern ſoll es an einen Stellvertreter übertragen werden: ſo hat
der Einzelne bei der Wahl ſeines Vertreters allerdings ein Recht und keinen
Auftrag. Und wenn Bluntſchli, Allg. Staats-R., Bd. I, S. 284 fg.,
auch in der repräſentativen Demokratie den verſchiedenen Beſtandtheilen und
Intereſſen im Volke, namentlich alſo dem Vermögen, der Bildung, in
Berufs- und Lebensweiſe, eine deren Verhältniß zum Ganzen gemäße Ver-
tretung ſichern will: ſo ſind dieſe politiſchen Rückſichten ohne Zweifel an ſich
ganz beachtenswerth, allein es kann ihnen in einer Volkswirthſchaft keine
Geltung eingeräumt werden, da ſie den Grundgedanken der Staatsform
geradezu widerſprechen. Erſter Grundſatz des Rechtes und der Politik iſt es,
folgerichtig zu ſein; und in keiner Staatsform, welche ſie auch ſei, können
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[346/0360] ⁴⁾ der angeborenen Menſchenrechte mit der Befähigung zu Staatsgeſchäften zu dem verkehrten Beſtreben, das aktive und folgerichtigerweiſe auch das paſſive Wahlrecht ſelbſt auf die Weiber auszudehnen. Auf der andern Seite hat die offenbar zu kurz gegriffene Aufnahme Eingewanderter in das volle Bürgerrecht nach blos 5 Jahren zu der großen Bewegung der Knownothings geführt. So völlig verkehrt die erſte Richtung iſt, ſo vollſtändig berechtigt iſt die zweite, (natürlich abgeſehen von ungeſetzlichen Gewaltthätigkeiten und Rohheiten.) ⁵⁾ Bei den jetzigen großen Forderungen der Völker an die Leiſtungen des Staates, welche natürlich entſprechende Mittel vorausſetzen, die ihrer- ſeits nur von einem größern Gebiete und einer zahlreichen Bevölkerung geliefert werden können, iſt die Bildung reiner Volksherrſchaften jetzt kaum noch in ganz einzelnen Ausnahmsfällen von vereinzelten Städten oder Hir- tenlandſchaften möglich, je weiter daher der demokratiſche Geiſt um ſich greift, deſto größer muß auch die Verbreitung der in der Form der Ver- tretung geordneten Volksherrſchaft werden, da nur dieſe die Bedingung der Macht und der Selbſtregierung des Volkes vereinigt. — Dieſe Staats- form hat ſich denn auch ſogleich ausgebildet, ſobald ſich in den neuzeitigen größeren Staaten Abneigung gegen Einherrſchaft Bahn brach. So in Holland, namentlich aber in England in dem Kampfe mit den Stuarts, und in Amerika bei der Befreiung von England. ⁶⁾ Anders freilich Ariſtoteles, welcher in der beſten Demokratie namentlich die Gerichtsbarkeit dem ganzen Volke übergeben will. ⁷⁾ So richtig im Allgemeinen die Anſicht iſt, daß die Befugniß an einer ſtaatlichen Wahl Antheil zu nehmen, nicht vom Standpunkte des perſönlichen Rechtes aufgefaßt, ſondern als ein Auftrag oder als ein Amt betrachtet werden muß: ſo verhält ſich dies doch anders in der Volksherr- ſchaft durch Vertretung. In der Volksherſchaft geht man überhaupt von dem angebornen Rechte des Einzelnen, an der Regierung Theil zu nehmen, aus. Will oder kann nun dieſes Recht aus äußeren Gründen nicht ſelbſt ausgeübt, ſondern ſoll es an einen Stellvertreter übertragen werden: ſo hat der Einzelne bei der Wahl ſeines Vertreters allerdings ein Recht und keinen Auftrag. Und wenn Bluntſchli, Allg. Staats-R., Bd. I, S. 284 fg., auch in der repräſentativen Demokratie den verſchiedenen Beſtandtheilen und Intereſſen im Volke, namentlich alſo dem Vermögen, der Bildung, in Berufs- und Lebensweiſe, eine deren Verhältniß zum Ganzen gemäße Ver- tretung ſichern will: ſo ſind dieſe politiſchen Rückſichten ohne Zweifel an ſich ganz beachtenswerth, allein es kann ihnen in einer Volkswirthſchaft keine Geltung eingeräumt werden, da ſie den Grundgedanken der Staatsform geradezu widerſprechen. Erſter Grundſatz des Rechtes und der Politik iſt es, folgerichtig zu ſein; und in keiner Staatsform, welche ſie auch ſei, können

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/360>, abgerufen am 24.11.2024.