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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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möglicherweise die Abstammung von bevorzugten Geschlechtern
und der Besitz großen Vermögens auch üble und namentlich
einer guten Regierung ungünstige Eigenschaften entwickelt; jener
vorzugsweise Hochmuth, selbstsüchtiger Kastengeist, Abneigung
gegen ernste Arbeit, dieser aber widrigen Geldstolz, banausische
Gesinnung, Verweichlichung. Und jeden Falles ist einleuchtend,
daß die auf die eine oder die andere Weise Ausgeschiedenen
nicht alle staatliche Tüchtigkeit des ganzen Volkes in sich be-
greifen und somit ihre Alleinberechtigung das gemeine Wesen
brauchbarer Kräfte beraubt; ferner, daß die völlige Aus-
schließung der Mehrheit bei Vielen, und zwar bei den Kräftigsten
und Ehrgeizigsten am meisten, Neid und Haß erzeugen kann.

Die Frage ist also: ob die in Aussicht zu nehmende Re-
gierungs-Tüchtigkeit als so bedeutend, ihr thatsächliches Ein-
treten als so sicher, und ihr Vorwiegen über die ungünstigen
Umstände als so entschieden angenommen werden kann, daß die
Uebetragung der Staatsgewalt als vernünftig begründet erscheint?
-- Diese Frage ist hinsichtlich einer Vermögensaristokratie zu
verneinen. Die guten Eigenschaften einer solchen sind weder
von entscheidendem Belange noch hinreichend zulässig; und die
nur möglichen so wie die jeden Falles zu erwartenden Nach-
theile so beträchtlich, daß sich die Gründung einer Regierung
auf sie nicht rechtfertigen läßt. Mehr spricht für die Geburts-
aristokratie
, da ihre specifischen Eigenschaften eine unmittel-
bare Beziehung zur Handhabung von Staatsgeschäften haben,
ihre vermuthlichen Fehler weniger nachtheilig erscheinen, ihre
Ausschließlichkeit durch Aufnahme einzelner hervorragender Kräfte
außerhalb ihres Kreises nützlich gebrochen werden kann, und sie
sogar, erfahrungsgemäß, geringeren Widerwillen erweckt, als die
Bevorzugung großen Reichthums. Reicht dies nun auch nicht
hin, um der Aristokratie eine ganz unanfechtbare rationelle
Begründung zu geben, so rechtfertigt es doch wohl, wenn diese

möglicherweiſe die Abſtammung von bevorzugten Geſchlechtern
und der Beſitz großen Vermögens auch üble und namentlich
einer guten Regierung ungünſtige Eigenſchaften entwickelt; jener
vorzugsweiſe Hochmuth, ſelbſtſüchtiger Kaſtengeiſt, Abneigung
gegen ernſte Arbeit, dieſer aber widrigen Geldſtolz, banauſiſche
Geſinnung, Verweichlichung. Und jeden Falles iſt einleuchtend,
daß die auf die eine oder die andere Weiſe Ausgeſchiedenen
nicht alle ſtaatliche Tüchtigkeit des ganzen Volkes in ſich be-
greifen und ſomit ihre Alleinberechtigung das gemeine Weſen
brauchbarer Kräfte beraubt; ferner, daß die völlige Aus-
ſchließung der Mehrheit bei Vielen, und zwar bei den Kräftigſten
und Ehrgeizigſten am meiſten, Neid und Haß erzeugen kann.

Die Frage iſt alſo: ob die in Ausſicht zu nehmende Re-
gierungs-Tüchtigkeit als ſo bedeutend, ihr thatſächliches Ein-
treten als ſo ſicher, und ihr Vorwiegen über die ungünſtigen
Umſtände als ſo entſchieden angenommen werden kann, daß die
Uebetragung der Staatsgewalt als vernünftig begründet erſcheint?
— Dieſe Frage iſt hinſichtlich einer Vermögensariſtokratie zu
verneinen. Die guten Eigenſchaften einer ſolchen ſind weder
von entſcheidendem Belange noch hinreichend zuläſſig; und die
nur möglichen ſo wie die jeden Falles zu erwartenden Nach-
theile ſo beträchtlich, daß ſich die Gründung einer Regierung
auf ſie nicht rechtfertigen läßt. Mehr ſpricht für die Geburts-
ariſtokratie
, da ihre ſpecifiſchen Eigenſchaften eine unmittel-
bare Beziehung zur Handhabung von Staatsgeſchäften haben,
ihre vermuthlichen Fehler weniger nachtheilig erſcheinen, ihre
Ausſchließlichkeit durch Aufnahme einzelner hervorragender Kräfte
außerhalb ihres Kreiſes nützlich gebrochen werden kann, und ſie
ſogar, erfahrungsgemäß, geringeren Widerwillen erweckt, als die
Bevorzugung großen Reichthums. Reicht dies nun auch nicht
hin, um der Ariſtokratie eine ganz unanfechtbare rationelle
Begründung zu geben, ſo rechtfertigt es doch wohl, wenn dieſe

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[351/0365] möglicherweiſe die Abſtammung von bevorzugten Geſchlechtern und der Beſitz großen Vermögens auch üble und namentlich einer guten Regierung ungünſtige Eigenſchaften entwickelt; jener vorzugsweiſe Hochmuth, ſelbſtſüchtiger Kaſtengeiſt, Abneigung gegen ernſte Arbeit, dieſer aber widrigen Geldſtolz, banauſiſche Geſinnung, Verweichlichung. Und jeden Falles iſt einleuchtend, daß die auf die eine oder die andere Weiſe Ausgeſchiedenen nicht alle ſtaatliche Tüchtigkeit des ganzen Volkes in ſich be- greifen und ſomit ihre Alleinberechtigung das gemeine Weſen brauchbarer Kräfte beraubt; ferner, daß die völlige Aus- ſchließung der Mehrheit bei Vielen, und zwar bei den Kräftigſten und Ehrgeizigſten am meiſten, Neid und Haß erzeugen kann. Die Frage iſt alſo: ob die in Ausſicht zu nehmende Re- gierungs-Tüchtigkeit als ſo bedeutend, ihr thatſächliches Ein- treten als ſo ſicher, und ihr Vorwiegen über die ungünſtigen Umſtände als ſo entſchieden angenommen werden kann, daß die Uebetragung der Staatsgewalt als vernünftig begründet erſcheint? — Dieſe Frage iſt hinſichtlich einer Vermögensariſtokratie zu verneinen. Die guten Eigenſchaften einer ſolchen ſind weder von entſcheidendem Belange noch hinreichend zuläſſig; und die nur möglichen ſo wie die jeden Falles zu erwartenden Nach- theile ſo beträchtlich, daß ſich die Gründung einer Regierung auf ſie nicht rechtfertigen läßt. Mehr ſpricht für die Geburts- ariſtokratie, da ihre ſpecifiſchen Eigenſchaften eine unmittel- bare Beziehung zur Handhabung von Staatsgeſchäften haben, ihre vermuthlichen Fehler weniger nachtheilig erſcheinen, ihre Ausſchließlichkeit durch Aufnahme einzelner hervorragender Kräfte außerhalb ihres Kreiſes nützlich gebrochen werden kann, und ſie ſogar, erfahrungsgemäß, geringeren Widerwillen erweckt, als die Bevorzugung großen Reichthums. Reicht dies nun auch nicht hin, um der Ariſtokratie eine ganz unanfechtbare rationelle Begründung zu geben, ſo rechtfertigt es doch wohl, wenn dieſe

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/365>, abgerufen am 24.11.2024.