Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Volkes betreffenden, Fällen können dann auch alle Stände zu-
sammen wirken 7).

Hierbei ist dann aber hauptsächlich auf dreierlei zu sehen.

Vorerst darauf, wer die berechtigten Klassen sein
sollen, und wer den Willen derselben auszusprechen
hat. -- Verständigerweise läßt sich der erste Punkt nicht von
vornherein bestimmen, sondern es ist auf die concreten Ver-
hältnisse jedes einzelnen Staates Rücksicht zu nehmen. Die
geschichtliche Ausbildung der Gesellschaft muß zur Grundlage
dienen, und die Erreichung des Zweckes verlangt ebenso auf
der einen Seite, daß neu entstehende, mit eigenthümlichen
Rechten und Interessen versehene gesellschaftliche Klassen be-
rücksichtigt, als andererseits, daß solche Stände, welche im
Laufe der Zeit ihre Bedeutung verloren haben, ausgeschieden
werden. Aus diesen Gründen ist denn namentlich die, in
früheren geschichtlichen Zuständen allerdings begründet gewesene,
Eintheilung des Volkes in Geistlichkeit, Adel und Städte keines-
wegs eine unveränderliche, oder auch nur eine thatsächlich jetzt
noch genügende. Je ausgebildeter das Leben eines Volkes ist,
desto zahlreichere Abtheilungen werden sich unterscheiden lassen.
-- Die Geltendmachung der Rechte des einzelnen Standes aber
kann aus leicht begreiflichen Gründen nur selten durch die
Gesammtheit aller seiner Mitglieder unmittelbar stattfinden;
sondern es müssen berechtigte Stimmführer bestellt werden,
welche sowohl gegenüber der Regierung als Bevollmächtigte
ihrer Genossen auftreten, als diese letzteren selbst durch ihre
Handlungen verpflichten. In vielen Fällen, namentlich bei
nicht förmlich organisirten und zahlreichen gesellschaftlichen Klassen,
wird die Einrichtung eigens dazu bestimmter Wahlen das natür-
liche und richtige Mittel sein. Wo jedoch ein Stand ohnedem
schon zur Besorgung seiner Angelegenheiten berechtigte Vorsteher
und Organe hat, sind diese ohne Zweifel auch gegenüber von

Volkes betreffenden, Fällen können dann auch alle Stände zu-
ſammen wirken 7).

Hierbei iſt dann aber hauptſächlich auf dreierlei zu ſehen.

Vorerſt darauf, wer die berechtigten Klaſſen ſein
ſollen, und wer den Willen derſelben auszuſprechen
hat. — Verſtändigerweiſe läßt ſich der erſte Punkt nicht von
vornherein beſtimmen, ſondern es iſt auf die concreten Ver-
hältniſſe jedes einzelnen Staates Rückſicht zu nehmen. Die
geſchichtliche Ausbildung der Geſellſchaft muß zur Grundlage
dienen, und die Erreichung des Zweckes verlangt ebenſo auf
der einen Seite, daß neu entſtehende, mit eigenthümlichen
Rechten und Intereſſen verſehene geſellſchaftliche Klaſſen be-
rückſichtigt, als andererſeits, daß ſolche Stände, welche im
Laufe der Zeit ihre Bedeutung verloren haben, ausgeſchieden
werden. Aus dieſen Gründen iſt denn namentlich die, in
früheren geſchichtlichen Zuſtänden allerdings begründet geweſene,
Eintheilung des Volkes in Geiſtlichkeit, Adel und Städte keines-
wegs eine unveränderliche, oder auch nur eine thatſächlich jetzt
noch genügende. Je ausgebildeter das Leben eines Volkes iſt,
deſto zahlreichere Abtheilungen werden ſich unterſcheiden laſſen.
— Die Geltendmachung der Rechte des einzelnen Standes aber
kann aus leicht begreiflichen Gründen nur ſelten durch die
Geſammtheit aller ſeiner Mitglieder unmittelbar ſtattfinden;
ſondern es müſſen berechtigte Stimmführer beſtellt werden,
welche ſowohl gegenüber der Regierung als Bevollmächtigte
ihrer Genoſſen auftreten, als dieſe letzteren ſelbſt durch ihre
Handlungen verpflichten. In vielen Fällen, namentlich bei
nicht förmlich organiſirten und zahlreichen geſellſchaftlichen Klaſſen,
wird die Einrichtung eigens dazu beſtimmter Wahlen das natür-
liche und richtige Mittel ſein. Wo jedoch ein Stand ohnedem
ſchon zur Beſorgung ſeiner Angelegenheiten berechtigte Vorſteher
und Organe hat, ſind dieſe ohne Zweifel auch gegenüber von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <p><pb facs="#f0376" n="362"/>
Volkes betreffenden, Fällen können dann auch alle Stände zu-<lb/>
&#x017F;ammen wirken <hi rendition="#sup">7</hi>).</p><lb/>
                      <p>Hierbei i&#x017F;t dann aber haupt&#x017F;ächlich auf dreierlei zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
                      <p>Vorer&#x017F;t darauf, wer die <hi rendition="#g">berechtigten Kla&#x017F;&#x017F;en</hi> &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;ollen, und wer den <hi rendition="#g">Willen der&#x017F;elben auszu&#x017F;prechen</hi><lb/>
hat. &#x2014; Ver&#x017F;tändigerwei&#x017F;e läßt &#x017F;ich der er&#x017F;te Punkt nicht von<lb/>
vornherein be&#x017F;timmen, &#x017F;ondern es i&#x017F;t auf die concreten Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e jedes einzelnen Staates Rück&#x017F;icht zu nehmen. Die<lb/>
ge&#x017F;chichtliche Ausbildung der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft muß zur Grundlage<lb/>
dienen, und die Erreichung des Zweckes verlangt eben&#x017F;o auf<lb/>
der einen Seite, daß neu ent&#x017F;tehende, mit eigenthümlichen<lb/>
Rechten und Intere&#x017F;&#x017F;en ver&#x017F;ehene ge&#x017F;ell&#x017F;chaftliche Kla&#x017F;&#x017F;en be-<lb/>
rück&#x017F;ichtigt, als anderer&#x017F;eits, daß &#x017F;olche Stände, welche im<lb/>
Laufe der Zeit ihre Bedeutung verloren haben, ausge&#x017F;chieden<lb/>
werden. Aus die&#x017F;en Gründen i&#x017F;t denn namentlich die, in<lb/>
früheren ge&#x017F;chichtlichen Zu&#x017F;tänden allerdings begründet gewe&#x017F;ene,<lb/>
Eintheilung des Volkes in Gei&#x017F;tlichkeit, Adel und Städte keines-<lb/>
wegs eine unveränderliche, oder auch nur eine that&#x017F;ächlich jetzt<lb/>
noch genügende. Je ausgebildeter das Leben eines Volkes i&#x017F;t,<lb/>
de&#x017F;to zahlreichere Abtheilungen werden &#x017F;ich unter&#x017F;cheiden la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
&#x2014; Die Geltendmachung der Rechte des einzelnen Standes aber<lb/>
kann aus leicht begreiflichen Gründen nur &#x017F;elten durch die<lb/>
Ge&#x017F;ammtheit aller &#x017F;einer Mitglieder unmittelbar &#x017F;tattfinden;<lb/>
&#x017F;ondern es mü&#x017F;&#x017F;en berechtigte Stimmführer be&#x017F;tellt werden,<lb/>
welche &#x017F;owohl gegenüber der Regierung als Bevollmächtigte<lb/>
ihrer Geno&#x017F;&#x017F;en auftreten, als die&#x017F;e letzteren &#x017F;elb&#x017F;t durch ihre<lb/>
Handlungen verpflichten. In vielen Fällen, namentlich bei<lb/>
nicht förmlich organi&#x017F;irten und zahlreichen ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Kla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wird die Einrichtung eigens dazu be&#x017F;timmter Wahlen das natür-<lb/>
liche und richtige Mittel &#x017F;ein. Wo jedoch ein Stand ohnedem<lb/>
&#x017F;chon zur Be&#x017F;orgung &#x017F;einer Angelegenheiten berechtigte Vor&#x017F;teher<lb/>
und Organe hat, &#x017F;ind die&#x017F;e ohne Zweifel auch gegenüber von<lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0376] Volkes betreffenden, Fällen können dann auch alle Stände zu- ſammen wirken 7). Hierbei iſt dann aber hauptſächlich auf dreierlei zu ſehen. Vorerſt darauf, wer die berechtigten Klaſſen ſein ſollen, und wer den Willen derſelben auszuſprechen hat. — Verſtändigerweiſe läßt ſich der erſte Punkt nicht von vornherein beſtimmen, ſondern es iſt auf die concreten Ver- hältniſſe jedes einzelnen Staates Rückſicht zu nehmen. Die geſchichtliche Ausbildung der Geſellſchaft muß zur Grundlage dienen, und die Erreichung des Zweckes verlangt ebenſo auf der einen Seite, daß neu entſtehende, mit eigenthümlichen Rechten und Intereſſen verſehene geſellſchaftliche Klaſſen be- rückſichtigt, als andererſeits, daß ſolche Stände, welche im Laufe der Zeit ihre Bedeutung verloren haben, ausgeſchieden werden. Aus dieſen Gründen iſt denn namentlich die, in früheren geſchichtlichen Zuſtänden allerdings begründet geweſene, Eintheilung des Volkes in Geiſtlichkeit, Adel und Städte keines- wegs eine unveränderliche, oder auch nur eine thatſächlich jetzt noch genügende. Je ausgebildeter das Leben eines Volkes iſt, deſto zahlreichere Abtheilungen werden ſich unterſcheiden laſſen. — Die Geltendmachung der Rechte des einzelnen Standes aber kann aus leicht begreiflichen Gründen nur ſelten durch die Geſammtheit aller ſeiner Mitglieder unmittelbar ſtattfinden; ſondern es müſſen berechtigte Stimmführer beſtellt werden, welche ſowohl gegenüber der Regierung als Bevollmächtigte ihrer Genoſſen auftreten, als dieſe letzteren ſelbſt durch ihre Handlungen verpflichten. In vielen Fällen, namentlich bei nicht förmlich organiſirten und zahlreichen geſellſchaftlichen Klaſſen, wird die Einrichtung eigens dazu beſtimmter Wahlen das natür- liche und richtige Mittel ſein. Wo jedoch ein Stand ohnedem ſchon zur Beſorgung ſeiner Angelegenheiten berechtigte Vorſteher und Organe hat, ſind dieſe ohne Zweifel auch gegenüber von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/376
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/376>, abgerufen am 24.11.2024.