geordnete Zusammenleben der Menschen im Staate, und zwar in dessen sämmlichen Verhältnissen und Formen. Demnach ist das innere und das äußere Leben des Staates, die Verfassung eben so gut als die Verwaltung, nach den Forderungen des Rechtes und nach denen der Sittlichkeit zu ordnen und zu hand- haben; auch finden beide gleichmäßig ihre Anwendung auf sämmtliche Gattungen und Arten von Staaten. Wenn einmal eine bestimmte Form des Zusammenlebens aus der allgemeinen Gesittigung eines Volkes hervorgegangen ist, so ist dieselbe nicht nur äußerlich zu ordnen, logisch auszubilden und in allen Beziehungen aufrecht zu erhalten, sondern es besteht auch die sittliche Pflicht für sämmtliche Theilnehmer, das unter diesen gegebenen Umständen Vernünftige zu wollen und zu vollbringen. Das Gewissen verlangt, daß die naturgemäße und also berech- tigte und selbst nothwendige Gestaltung des Zusammenlebens mit freiem Willen und mit Anwendung aller verfügbaren Kräfte vollständig, ehrlich und möglichst nützlich durchgeführt werde. -- Eine wesentliche Verschiedenheit zwischen Staatsrecht und Staatsmoral findet dagegen insoferne statt, als das erstere lediglich die äußere Ordnung, so weit diese durch sinnliche, im Nothfalle erzwingbare Mittel durchgesetzt werden kann, herzu- stellen hat, die Sittlichkeit dagegen über diese, freilich vor Allem nothwendige aber doch durch die Unvollkommenheit der menschlichen Kräfte enger gezogene Grundlage hinausgeht. Theils verlangt sie für die erzwingbaren Leistungen auch noch eigenen guten Willen der Betheiligten; theils fordert sie selbst die Vornahme solcher Handlungen, welche rein vernünftig aber nicht erzwing- bar sind, sei es nun, weil die Nothwendigkeit ihres Eintre- tens oder wenigstens ihr Maaß wesentlich von der subjectiven Beurtheilung des Einzelnen abhängt und somit eine all- gemeine und gleichförmig zu handhabende Regel nicht aufgestellt werden kann, sei es, weil die Handlung Anstrengungen und
geordnete Zuſammenleben der Menſchen im Staate, und zwar in deſſen ſämmlichen Verhältniſſen und Formen. Demnach iſt das innere und das äußere Leben des Staates, die Verfaſſung eben ſo gut als die Verwaltung, nach den Forderungen des Rechtes und nach denen der Sittlichkeit zu ordnen und zu hand- haben; auch finden beide gleichmäßig ihre Anwendung auf ſämmtliche Gattungen und Arten von Staaten. Wenn einmal eine beſtimmte Form des Zuſammenlebens aus der allgemeinen Geſittigung eines Volkes hervorgegangen iſt, ſo iſt dieſelbe nicht nur äußerlich zu ordnen, logiſch auszubilden und in allen Beziehungen aufrecht zu erhalten, ſondern es beſteht auch die ſittliche Pflicht für ſämmtliche Theilnehmer, das unter dieſen gegebenen Umſtänden Vernünftige zu wollen und zu vollbringen. Das Gewiſſen verlangt, daß die naturgemäße und alſo berech- tigte und ſelbſt nothwendige Geſtaltung des Zuſammenlebens mit freiem Willen und mit Anwendung aller verfügbaren Kräfte vollſtändig, ehrlich und möglichſt nützlich durchgeführt werde. — Eine weſentliche Verſchiedenheit zwiſchen Staatsrecht und Staatsmoral findet dagegen inſoferne ſtatt, als das erſtere lediglich die äußere Ordnung, ſo weit dieſe durch ſinnliche, im Nothfalle erzwingbare Mittel durchgeſetzt werden kann, herzu- ſtellen hat, die Sittlichkeit dagegen über dieſe, freilich vor Allem nothwendige aber doch durch die Unvollkommenheit der menſchlichen Kräfte enger gezogene Grundlage hinausgeht. Theils verlangt ſie für die erzwingbaren Leiſtungen auch noch eigenen guten Willen der Betheiligten; theils fordert ſie ſelbſt die Vornahme ſolcher Handlungen, welche rein vernünftig aber nicht erzwing- bar ſind, ſei es nun, weil die Nothwendigkeit ihres Eintre- tens oder wenigſtens ihr Maaß weſentlich von der ſubjectiven Beurtheilung des Einzelnen abhängt und ſomit eine all- gemeine und gleichförmig zu handhabende Regel nicht aufgeſtellt werden kann, ſei es, weil die Handlung Anſtrengungen und
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geordnete Zuſammenleben der Menſchen im Staate, und zwar
in deſſen ſämmlichen Verhältniſſen und Formen. Demnach iſt
das innere und das äußere Leben des Staates, die Verfaſſung
eben ſo gut als die Verwaltung, nach den Forderungen des
Rechtes und nach denen der Sittlichkeit zu ordnen und zu hand-
haben; auch finden beide gleichmäßig ihre Anwendung auf
ſämmtliche Gattungen und Arten von Staaten. Wenn einmal
eine beſtimmte Form des Zuſammenlebens aus der allgemeinen
Geſittigung eines Volkes hervorgegangen iſt, ſo iſt dieſelbe
nicht nur äußerlich zu ordnen, logiſch auszubilden und in allen
Beziehungen aufrecht zu erhalten, ſondern es beſteht auch die
ſittliche Pflicht für ſämmtliche Theilnehmer, das unter dieſen
gegebenen Umſtänden Vernünftige zu wollen und zu vollbringen.
Das Gewiſſen verlangt, daß die naturgemäße und alſo berech-
tigte und ſelbſt nothwendige Geſtaltung des Zuſammenlebens
mit freiem Willen und mit Anwendung aller verfügbaren Kräfte
vollſtändig, ehrlich und möglichſt nützlich durchgeführt werde.
— Eine weſentliche Verſchiedenheit zwiſchen Staatsrecht und
Staatsmoral findet dagegen inſoferne ſtatt, als das erſtere
lediglich die äußere Ordnung, ſo weit dieſe durch ſinnliche, im
Nothfalle erzwingbare Mittel durchgeſetzt werden kann, herzu-
ſtellen hat, die Sittlichkeit dagegen über dieſe, freilich vor Allem
nothwendige aber doch durch die Unvollkommenheit der menſchlichen
Kräfte enger gezogene Grundlage hinausgeht. Theils verlangt
ſie für die erzwingbaren Leiſtungen auch noch eigenen guten
Willen der Betheiligten; theils fordert ſie ſelbſt die Vornahme
ſolcher Handlungen, welche rein vernünftig aber nicht erzwing-
bar ſind, ſei es nun, weil die Nothwendigkeit ihres Eintre-
tens oder wenigſtens ihr Maaß weſentlich von der ſubjectiven
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/514>, abgerufen am 24.11.2024.
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