Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.sittlich erlaubt, wenn ihre Erfüllung unvereinbar wäre mit der 4. Das allgemein Nützliche ist dem Besonderen, 5. Endlich noch sind die Gebote des Sittengesetzes nicht 1) Bei einer Collision von eigenen und von fremden Zwecken, wo so- mit die Pflicht eintreten kann die geringeren persönlichen Zwecke den ent- schieden wichtigeren fremden nachzustellen, ist kein äußerer Maßstab zur ge- genseitigen Schätzung dieser Zwecke anwendbar. Hier entscheidet nur die eigene aufrichtige Ueberzeugung, welche aus der allseitigen Ueberlegung der concreten Verhältnisse hervorgeht und somit keiner allgemeinen Regel unter- worfen werden kann. Auch macht die äußere Lage der Dinge einen großen Unterschied. Wenn z. B. die Erhaltung der Familie die ganze Kraft und Zeit eines Mannes verlangt, oder wenn er durch die Betreibung einer nützlichen Kunst oder Wissenschaft vollständig in Anspruch genommen ist: so ist er sittlich vollkommen befugt, in gewöhnlichen Zeiten der Be- sorgung von öffentlichen Geschäften sich zu entziehen. Allein anders, wenn entweder in besonderer Gefahr der Staat aller Kräfte bedarf, welche über- haupt verfügbar sind, oder wenn ein wichtiger Zweck nur durch die Wirk- samkeit eines dazu vorzugsweise Befähigten erreicht werden mag. 2) Wohl zu unterscheiden von der Frage, in welchen Fällen ein Rechts- gebot aus rechtlichen Gründen und straflos unbeachtet gelassen werden kann, z. B. in Fällen von Nothwehr, wegen physischer Unmöglichkeit der Leistung oder wegen eines von einer höheren Auctorität ausgehenden Be- fehles, ist die Frage: ob und wann ein rechtliches Gebot des Staates aus ſittlich erlaubt, wenn ihre Erfüllung unvereinbar wäre mit der 4. Das allgemein Nützliche iſt dem Beſonderen, 5. Endlich noch ſind die Gebote des Sittengeſetzes nicht 1) Bei einer Colliſion von eigenen und von fremden Zwecken, wo ſo- mit die Pflicht eintreten kann die geringeren perſönlichen Zwecke den ent- ſchieden wichtigeren fremden nachzuſtellen, iſt kein äußerer Maßſtab zur ge- genſeitigen Schätzung dieſer Zwecke anwendbar. Hier entſcheidet nur die eigene aufrichtige Ueberzeugung, welche aus der allſeitigen Ueberlegung der concreten Verhältniſſe hervorgeht und ſomit keiner allgemeinen Regel unter- worfen werden kann. Auch macht die äußere Lage der Dinge einen großen Unterſchied. Wenn z. B. die Erhaltung der Familie die ganze Kraft und Zeit eines Mannes verlangt, oder wenn er durch die Betreibung einer nützlichen Kunſt oder Wiſſenſchaft vollſtändig in Anſpruch genommen iſt: ſo iſt er ſittlich vollkommen befugt, in gewöhnlichen Zeiten der Be- ſorgung von öffentlichen Geſchäften ſich zu entziehen. Allein anders, wenn entweder in beſonderer Gefahr der Staat aller Kräfte bedarf, welche über- haupt verfügbar ſind, oder wenn ein wichtiger Zweck nur durch die Wirk- ſamkeit eines dazu vorzugsweiſe Befähigten erreicht werden mag. 2) Wohl zu unterſcheiden von der Frage, in welchen Fällen ein Rechts- gebot aus rechtlichen Gründen und ſtraflos unbeachtet gelaſſen werden kann, z. B. in Fällen von Nothwehr, wegen phyſiſcher Unmöglichkeit der Leiſtung oder wegen eines von einer höheren Auctorität ausgehenden Be- fehles, iſt die Frage: ob und wann ein rechtliches Gebot des Staates aus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0524" n="510"/> ſittlich erlaubt, wenn ihre Erfüllung unvereinbar wäre mit der<lb/> Erreichung eines geiſtig oder ſachlich entſchieden höher ſtehenden<lb/> menſchlichen Zweckes; nur muß natürlich von dem Uebertre-<lb/> tenden die Folge der Verletzung, z. B. Strafe, getragen werden <hi rendition="#sup">2</hi>).</p><lb/> <p>4. Das <hi rendition="#g">allgemein</hi> Nützliche iſt dem <hi rendition="#g">Beſonderen</hi>,<lb/> das <hi rendition="#g">Wichtige</hi> dem <hi rendition="#g">Unbedeutenden</hi> vorzuziehen, wo immer<lb/> eine Wahl iſt. Im Zweifel aber iſt es Pflicht, dasjenige zu<lb/> unternehmen, wozu man die meiſte Befähigung hat, und wo<lb/> man alſo am ſicherſten Nutzen zu bewirken im Stande iſt; nicht<lb/> aber etwa das Angenehmere oder Glänzendere.</p><lb/> <p>5. Endlich noch ſind die Gebote des Sittengeſetzes nicht<lb/> blos auf den <hi rendition="#g">Inhalt</hi> der Handlungen, ſondern auch hinſichtlich<lb/> der <hi rendition="#g">Vollziehungsweiſe</hi> einzuhalten. Auch bei letzterer<lb/> kann eine unnöthige, und ſomit unſittliche, Beeinträchtigung<lb/> Dritter ſtattfinden, z. B. durch Verzögerung, Unfreundlichkeit,<lb/> Rückſichtsloſigkeit u. ſ. w.</p><lb/> <note place="end" n="1)">Bei einer Colliſion von eigenen und von fremden Zwecken, wo ſo-<lb/> mit die Pflicht eintreten kann die geringeren perſönlichen Zwecke den ent-<lb/> ſchieden wichtigeren fremden nachzuſtellen, iſt kein äußerer Maßſtab zur ge-<lb/> genſeitigen Schätzung dieſer Zwecke anwendbar. Hier entſcheidet nur die<lb/> eigene aufrichtige Ueberzeugung, welche aus der allſeitigen Ueberlegung der<lb/> concreten Verhältniſſe hervorgeht und ſomit keiner allgemeinen Regel unter-<lb/> worfen werden kann. Auch macht die äußere Lage der Dinge einen großen<lb/> Unterſchied. Wenn z. B. die Erhaltung der Familie die ganze Kraft und<lb/> Zeit eines Mannes verlangt, oder wenn er durch die Betreibung einer<lb/> nützlichen Kunſt oder Wiſſenſchaft vollſtändig in Anſpruch genommen iſt:<lb/> ſo iſt er ſittlich vollkommen befugt, in gewöhnlichen Zeiten der Be-<lb/> ſorgung von öffentlichen Geſchäften ſich zu entziehen. Allein anders, wenn<lb/> entweder in beſonderer Gefahr der Staat aller Kräfte bedarf, welche über-<lb/> haupt verfügbar ſind, oder wenn ein wichtiger Zweck nur durch die Wirk-<lb/> ſamkeit eines dazu vorzugsweiſe Befähigten erreicht werden mag.</note><lb/> <note place="end" n="2)">Wohl zu unterſcheiden von der Frage, in welchen Fällen ein Rechts-<lb/> gebot aus <hi rendition="#g">rechtlichen</hi> Gründen und ſtraflos unbeachtet gelaſſen werden<lb/> kann, z. B. in Fällen von Nothwehr, wegen phyſiſcher Unmöglichkeit der<lb/> Leiſtung oder wegen eines von einer höheren Auctorität ausgehenden Be-<lb/> fehles, iſt die Frage: ob und wann ein rechtliches Gebot des Staates aus<lb/></note> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [510/0524]
ſittlich erlaubt, wenn ihre Erfüllung unvereinbar wäre mit der
Erreichung eines geiſtig oder ſachlich entſchieden höher ſtehenden
menſchlichen Zweckes; nur muß natürlich von dem Uebertre-
tenden die Folge der Verletzung, z. B. Strafe, getragen werden 2).
4. Das allgemein Nützliche iſt dem Beſonderen,
das Wichtige dem Unbedeutenden vorzuziehen, wo immer
eine Wahl iſt. Im Zweifel aber iſt es Pflicht, dasjenige zu
unternehmen, wozu man die meiſte Befähigung hat, und wo
man alſo am ſicherſten Nutzen zu bewirken im Stande iſt; nicht
aber etwa das Angenehmere oder Glänzendere.
5. Endlich noch ſind die Gebote des Sittengeſetzes nicht
blos auf den Inhalt der Handlungen, ſondern auch hinſichtlich
der Vollziehungsweiſe einzuhalten. Auch bei letzterer
kann eine unnöthige, und ſomit unſittliche, Beeinträchtigung
Dritter ſtattfinden, z. B. durch Verzögerung, Unfreundlichkeit,
Rückſichtsloſigkeit u. ſ. w.
¹⁾ Bei einer Colliſion von eigenen und von fremden Zwecken, wo ſo-
mit die Pflicht eintreten kann die geringeren perſönlichen Zwecke den ent-
ſchieden wichtigeren fremden nachzuſtellen, iſt kein äußerer Maßſtab zur ge-
genſeitigen Schätzung dieſer Zwecke anwendbar. Hier entſcheidet nur die
eigene aufrichtige Ueberzeugung, welche aus der allſeitigen Ueberlegung der
concreten Verhältniſſe hervorgeht und ſomit keiner allgemeinen Regel unter-
worfen werden kann. Auch macht die äußere Lage der Dinge einen großen
Unterſchied. Wenn z. B. die Erhaltung der Familie die ganze Kraft und
Zeit eines Mannes verlangt, oder wenn er durch die Betreibung einer
nützlichen Kunſt oder Wiſſenſchaft vollſtändig in Anſpruch genommen iſt:
ſo iſt er ſittlich vollkommen befugt, in gewöhnlichen Zeiten der Be-
ſorgung von öffentlichen Geſchäften ſich zu entziehen. Allein anders, wenn
entweder in beſonderer Gefahr der Staat aller Kräfte bedarf, welche über-
haupt verfügbar ſind, oder wenn ein wichtiger Zweck nur durch die Wirk-
ſamkeit eines dazu vorzugsweiſe Befähigten erreicht werden mag.
²⁾ Wohl zu unterſcheiden von der Frage, in welchen Fällen ein Rechts-
gebot aus rechtlichen Gründen und ſtraflos unbeachtet gelaſſen werden
kann, z. B. in Fällen von Nothwehr, wegen phyſiſcher Unmöglichkeit der
Leiſtung oder wegen eines von einer höheren Auctorität ausgehenden Be-
fehles, iſt die Frage: ob und wann ein rechtliches Gebot des Staates aus
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |