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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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kann man sich durch das ihnen zu Grunde liegende Gefühl verführen lassen,
daß es unverständig und unwürdig sei, sich durch die Unsittlichkeit eines
Dritten beeinträchtigen zu lassen, wenn es dieser nur schlau genug treibe.
Zu einem solchen Nachtheil ist allerdings weder der Einzelne für sich, noch
der Staatsmann für die Gesammtheit verpflichtet; allein man hat sich
nicht durch Erwiederung der Schlechtigkeit, sondern, und zwar überdies
weit zweckmäßiger und sicherer, durch genaue Aufmerksamkeit und kräftiges
Entgegentreten zu schützen.
5) Wer wird z. B. verlangen, daß in einem Kriege aus der Feigheit
oder strafbaren Achtlosigkeit des feindlichen Feldherrn kein Vortheil gezogen,
daß nicht bei Verhandlungen mit einer fremden Regierung die Eitelkeit
eines Gesandten oder des Fürsten selbst klug benützt, eine von einem Ver-
räther freiwillig angebotene Mittheilung zurückgewiesen werde? Die Gränz-
linie zwischen sittlich Erlaubtem und Verbotenem ist allerdings zuweilen fein;
doch mag sie bei einiger Aufmerksamkeit erkannt werden. Während z. B.
Bestechung eines fremden Beamten zur Begehung einer Pflichtwidrig-
keit
unerlaubt ist, als Verführung zu einer Unsittlichkeit, erscheint ein
Geschenk zur Gewinnung für unser gutes Recht nicht als tadelnswerth.
Es ist unsittlich, in einer einflußreichen Zeitung ein Lügensystem zu erkaufen
zur Verdeckung ehrgeiziger Pläne oder zur Vertheidigung begangenen Un-
rechts; nicht aber, das Blatt zur Gewinnung der öffentlichen Meinung für
eine gute Sache zu bewegen. Stolz und Vertrauen auf gerade Mittel mögen
die Anwendung heimlichen und indirecten Handelns verwerfen; dieß hat aber
mit Sittlichkeit nichts zu thun, und kann sogar, wenn dadurch ein nütz-
licher Zweck verfehlt wird, in entschiedenen Fehler umschlagen.
6) Wie es sich immer mit dem Streite der Ethiker über das Bestehen
oder Nichtbestehen einer Pflichtcollision verhalten mag; und wenn etwa auch
bei den Vertheidigern des Bestehens manches Mißverständniß mitunterlaufen
mag (s. die scharfsinnigen Bemerkungen von Rothe, Ethik, Bd. III, S.
60 fg.): so läßt sich doch nicht in Abrede ziehen, daß der Fälle sehr viele
sind, in welchen aus verschiedenen Gesichtspunkten sittliche Forderungen hin-
sichtlich derselben Handlung an denselben Menschen gemacht werden. Und
ebenso unläugbar ist, daß nicht dem Zufalle oder der Willkür die Entschei-
dung, welche Forderung vorgehen soll, überlassen werden kann, sondern ein
Gesetz für die Auswahl gesetzt werden muß. Die Frage ist nur, ob, (wie z. B.
Rothe a. a. O. will,) die Wahl dem subjektiven Ermessen des Handelnden,
was "gerade in diesem Augenblicke gerade von ihm bestimmt" mit Hinblick
auf seine allgemein sittliche Aufgabe verlangt werde, überlassen werden
soll; oder ob ein äußerer und objectiver Maaßstab gefunden werden kann,
(wie dieß andere Moralisten, z. B. Reinhard, Ammon, Hirscher, Baum-
garten-Crusius u. s. w., vielfach versucht haben.) Letzteres erscheint nun
kann man ſich durch das ihnen zu Grunde liegende Gefühl verführen laſſen,
daß es unverſtändig und unwürdig ſei, ſich durch die Unſittlichkeit eines
Dritten beeinträchtigen zu laſſen, wenn es dieſer nur ſchlau genug treibe.
Zu einem ſolchen Nachtheil iſt allerdings weder der Einzelne für ſich, noch
der Staatsmann für die Geſammtheit verpflichtet; allein man hat ſich
nicht durch Erwiederung der Schlechtigkeit, ſondern, und zwar überdies
weit zweckmäßiger und ſicherer, durch genaue Aufmerkſamkeit und kräftiges
Entgegentreten zu ſchützen.
5) Wer wird z. B. verlangen, daß in einem Kriege aus der Feigheit
oder ſtrafbaren Achtloſigkeit des feindlichen Feldherrn kein Vortheil gezogen,
daß nicht bei Verhandlungen mit einer fremden Regierung die Eitelkeit
eines Geſandten oder des Fürſten ſelbſt klug benützt, eine von einem Ver-
räther freiwillig angebotene Mittheilung zurückgewieſen werde? Die Gränz-
linie zwiſchen ſittlich Erlaubtem und Verbotenem iſt allerdings zuweilen fein;
doch mag ſie bei einiger Aufmerkſamkeit erkannt werden. Während z. B.
Beſtechung eines fremden Beamten zur Begehung einer Pflichtwidrig-
keit
unerlaubt iſt, als Verführung zu einer Unſittlichkeit, erſcheint ein
Geſchenk zur Gewinnung für unſer gutes Recht nicht als tadelnswerth.
Es iſt unſittlich, in einer einflußreichen Zeitung ein Lügenſyſtem zu erkaufen
zur Verdeckung ehrgeiziger Pläne oder zur Vertheidigung begangenen Un-
rechts; nicht aber, das Blatt zur Gewinnung der öffentlichen Meinung für
eine gute Sache zu bewegen. Stolz und Vertrauen auf gerade Mittel mögen
die Anwendung heimlichen und indirecten Handelns verwerfen; dieß hat aber
mit Sittlichkeit nichts zu thun, und kann ſogar, wenn dadurch ein nütz-
licher Zweck verfehlt wird, in entſchiedenen Fehler umſchlagen.
6) Wie es ſich immer mit dem Streite der Ethiker über das Beſtehen
oder Nichtbeſtehen einer Pflichtcolliſion verhalten mag; und wenn etwa auch
bei den Vertheidigern des Beſtehens manches Mißverſtändniß mitunterlaufen
mag (ſ. die ſcharfſinnigen Bemerkungen von Rothe, Ethik, Bd. III, S.
60 fg.): ſo läßt ſich doch nicht in Abrede ziehen, daß der Fälle ſehr viele
ſind, in welchen aus verſchiedenen Geſichtspunkten ſittliche Forderungen hin-
ſichtlich derſelben Handlung an denſelben Menſchen gemacht werden. Und
ebenſo unläugbar iſt, daß nicht dem Zufalle oder der Willkür die Entſchei-
dung, welche Forderung vorgehen ſoll, überlaſſen werden kann, ſondern ein
Geſetz für die Auswahl geſetzt werden muß. Die Frage iſt nur, ob, (wie z. B.
Rothe a. a. O. will,) die Wahl dem ſubjektiven Ermeſſen des Handelnden,
was „gerade in dieſem Augenblicke gerade von ihm beſtimmt“ mit Hinblick
auf ſeine allgemein ſittliche Aufgabe verlangt werde, überlaſſen werden
ſoll; oder ob ein äußerer und objectiver Maaßſtab gefunden werden kann,
(wie dieß andere Moraliſten, z. B. Reinhard, Ammon, Hirſcher, Baum-
garten-Cruſius u. ſ. w., vielfach verſucht haben.) Letzteres erſcheint nun
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[551/0565] ⁴⁾ kann man ſich durch das ihnen zu Grunde liegende Gefühl verführen laſſen, daß es unverſtändig und unwürdig ſei, ſich durch die Unſittlichkeit eines Dritten beeinträchtigen zu laſſen, wenn es dieſer nur ſchlau genug treibe. Zu einem ſolchen Nachtheil iſt allerdings weder der Einzelne für ſich, noch der Staatsmann für die Geſammtheit verpflichtet; allein man hat ſich nicht durch Erwiederung der Schlechtigkeit, ſondern, und zwar überdies weit zweckmäßiger und ſicherer, durch genaue Aufmerkſamkeit und kräftiges Entgegentreten zu ſchützen. ⁵⁾ Wer wird z. B. verlangen, daß in einem Kriege aus der Feigheit oder ſtrafbaren Achtloſigkeit des feindlichen Feldherrn kein Vortheil gezogen, daß nicht bei Verhandlungen mit einer fremden Regierung die Eitelkeit eines Geſandten oder des Fürſten ſelbſt klug benützt, eine von einem Ver- räther freiwillig angebotene Mittheilung zurückgewieſen werde? Die Gränz- linie zwiſchen ſittlich Erlaubtem und Verbotenem iſt allerdings zuweilen fein; doch mag ſie bei einiger Aufmerkſamkeit erkannt werden. Während z. B. Beſtechung eines fremden Beamten zur Begehung einer Pflichtwidrig- keit unerlaubt iſt, als Verführung zu einer Unſittlichkeit, erſcheint ein Geſchenk zur Gewinnung für unſer gutes Recht nicht als tadelnswerth. Es iſt unſittlich, in einer einflußreichen Zeitung ein Lügenſyſtem zu erkaufen zur Verdeckung ehrgeiziger Pläne oder zur Vertheidigung begangenen Un- rechts; nicht aber, das Blatt zur Gewinnung der öffentlichen Meinung für eine gute Sache zu bewegen. Stolz und Vertrauen auf gerade Mittel mögen die Anwendung heimlichen und indirecten Handelns verwerfen; dieß hat aber mit Sittlichkeit nichts zu thun, und kann ſogar, wenn dadurch ein nütz- licher Zweck verfehlt wird, in entſchiedenen Fehler umſchlagen. ⁶⁾ Wie es ſich immer mit dem Streite der Ethiker über das Beſtehen oder Nichtbeſtehen einer Pflichtcolliſion verhalten mag; und wenn etwa auch bei den Vertheidigern des Beſtehens manches Mißverſtändniß mitunterlaufen mag (ſ. die ſcharfſinnigen Bemerkungen von Rothe, Ethik, Bd. III, S. 60 fg.): ſo läßt ſich doch nicht in Abrede ziehen, daß der Fälle ſehr viele ſind, in welchen aus verſchiedenen Geſichtspunkten ſittliche Forderungen hin- ſichtlich derſelben Handlung an denſelben Menſchen gemacht werden. Und ebenſo unläugbar iſt, daß nicht dem Zufalle oder der Willkür die Entſchei- dung, welche Forderung vorgehen ſoll, überlaſſen werden kann, ſondern ein Geſetz für die Auswahl geſetzt werden muß. Die Frage iſt nur, ob, (wie z. B. Rothe a. a. O. will,) die Wahl dem ſubjektiven Ermeſſen des Handelnden, was „gerade in dieſem Augenblicke gerade von ihm beſtimmt“ mit Hinblick auf ſeine allgemein ſittliche Aufgabe verlangt werde, überlaſſen werden ſoll; oder ob ein äußerer und objectiver Maaßſtab gefunden werden kann, (wie dieß andere Moraliſten, z. B. Reinhard, Ammon, Hirſcher, Baum- garten-Cruſius u. ſ. w., vielfach verſucht haben.) Letzteres erſcheint nun

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/565>, abgerufen am 24.11.2024.