Gedeihen stehen daher in beständiger Wechselwirkung; und es ist vergeblich und thöricht, eine Verfassung oder Verwaltung erstreben zu wollen, zu welcher die Gesittigung des Volkes die Vorbedingungen und die ausführenden Kräfte nicht enthält.
4. Ferner ist auch die körperliche Beschaffenheit einer Bevölkerung, also ihre Kraft und Gesundheit, von wesentlicher Bedeutung. Nicht die Zahl der Köpfe, sondern die Summe der verfügbaren Kraft ist die Bedingung des Gelingens, sowohl für die Erreichung der Zwecke der Einzelnen, namentlich für ihren Wohlstand, als auch, mittelbar und unmittelbar, für den Staat selbst. Ein kranker oder sonst untauglicher Mensch vermehrt nicht nur die geistige oder körperliche Habe des Volkes und Staates nicht, sondern zehrt sogar müßig von derselben; ein vor erreichter Leistungsfähigkeit in der Jugend Sterbender hat blos gekostet; ein zur Führung der Waffen Unfähiger ist eine weitere Aufgabe für die Vertheidigung, also eine Schwie- rigkeit anstatt eine Hülfe. Alle Mittel also, welche die kör- perliche Kraft der Bevölkerung steigern, sind fest anzufassen und, wenn nicht etwa höhere Rücksichten entgegenstehen, mit Eifer und Nachhaltigkeit anzuwenden. So namentiich eine sorg- fältige Medicinalpolizei, kräftigende Volkssitten, Ausdehnung der Waffenpflicht.
5. Endlich ist die gesellschaftliche Gliederung der Bevölkerung von höchster politischer Bedeutung. Aus ihr ergibt sich, wo die Schwerpunkte des staatlichen Lebens liegen; sie bestimmt einen großen Theil der Forderungen an die Staats- thätigkeit; nach ihr, als nach dem natürlichen Organismus des Volkes, hat sich auch die künstliche Organisation des Staates vielfach zu richten. Näheres über diese Seite des menschlichen Zusammenlebens ist jedoch bereits oben, § 2--5, angegeben.
1) Die zur Selbstständigkeit und Sicherheit eines Staates nothwendige Zahl der Bevölkerung ist eine ganz andere geworden, seitdem die neuere
Gedeihen ſtehen daher in beſtändiger Wechſelwirkung; und es iſt vergeblich und thöricht, eine Verfaſſung oder Verwaltung erſtreben zu wollen, zu welcher die Geſittigung des Volkes die Vorbedingungen und die ausführenden Kräfte nicht enthält.
4. Ferner iſt auch die körperliche Beſchaffenheit einer Bevölkerung, alſo ihre Kraft und Geſundheit, von weſentlicher Bedeutung. Nicht die Zahl der Köpfe, ſondern die Summe der verfügbaren Kraft iſt die Bedingung des Gelingens, ſowohl für die Erreichung der Zwecke der Einzelnen, namentlich für ihren Wohlſtand, als auch, mittelbar und unmittelbar, für den Staat ſelbſt. Ein kranker oder ſonſt untauglicher Menſch vermehrt nicht nur die geiſtige oder körperliche Habe des Volkes und Staates nicht, ſondern zehrt ſogar müßig von derſelben; ein vor erreichter Leiſtungsfähigkeit in der Jugend Sterbender hat blos gekoſtet; ein zur Führung der Waffen Unfähiger iſt eine weitere Aufgabe für die Vertheidigung, alſo eine Schwie- rigkeit anſtatt eine Hülfe. Alle Mittel alſo, welche die kör- perliche Kraft der Bevölkerung ſteigern, ſind feſt anzufaſſen und, wenn nicht etwa höhere Rückſichten entgegenſtehen, mit Eifer und Nachhaltigkeit anzuwenden. So namentiich eine ſorg- fältige Medicinalpolizei, kräftigende Volksſitten, Ausdehnung der Waffenpflicht.
5. Endlich iſt die geſellſchaftliche Gliederung der Bevölkerung von höchſter politiſcher Bedeutung. Aus ihr ergibt ſich, wo die Schwerpunkte des ſtaatlichen Lebens liegen; ſie beſtimmt einen großen Theil der Forderungen an die Staats- thätigkeit; nach ihr, als nach dem natürlichen Organismus des Volkes, hat ſich auch die künſtliche Organiſation des Staates vielfach zu richten. Näheres über dieſe Seite des menſchlichen Zuſammenlebens iſt jedoch bereits oben, § 2—5, angegeben.
1) Die zur Selbſtſtändigkeit und Sicherheit eines Staates nothwendige Zahl der Bevölkerung iſt eine ganz andere geworden, ſeitdem die neuere
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Gedeihen ſtehen daher in beſtändiger Wechſelwirkung; und es
iſt vergeblich und thöricht, eine Verfaſſung oder Verwaltung
erſtreben zu wollen, zu welcher die Geſittigung des Volkes die
Vorbedingungen und die ausführenden Kräfte nicht enthält.
4. Ferner iſt auch die körperliche Beſchaffenheit einer
Bevölkerung, alſo ihre Kraft und Geſundheit, von weſentlicher
Bedeutung. Nicht die Zahl der Köpfe, ſondern die Summe
der verfügbaren Kraft iſt die Bedingung des Gelingens, ſowohl
für die Erreichung der Zwecke der Einzelnen, namentlich für
ihren Wohlſtand, als auch, mittelbar und unmittelbar, für
den Staat ſelbſt. Ein kranker oder ſonſt untauglicher Menſch
vermehrt nicht nur die geiſtige oder körperliche Habe des Volkes
und Staates nicht, ſondern zehrt ſogar müßig von derſelben;
ein vor erreichter Leiſtungsfähigkeit in der Jugend Sterbender
hat blos gekoſtet; ein zur Führung der Waffen Unfähiger iſt
eine weitere Aufgabe für die Vertheidigung, alſo eine Schwie-
rigkeit anſtatt eine Hülfe. Alle Mittel alſo, welche die kör-
perliche Kraft der Bevölkerung ſteigern, ſind feſt anzufaſſen
und, wenn nicht etwa höhere Rückſichten entgegenſtehen, mit
Eifer und Nachhaltigkeit anzuwenden. So namentiich eine ſorg-
fältige Medicinalpolizei, kräftigende Volksſitten, Ausdehnung
der Waffenpflicht.
5. Endlich iſt die geſellſchaftliche Gliederung
der Bevölkerung von höchſter politiſcher Bedeutung. Aus ihr
ergibt ſich, wo die Schwerpunkte des ſtaatlichen Lebens liegen;
ſie beſtimmt einen großen Theil der Forderungen an die Staats-
thätigkeit; nach ihr, als nach dem natürlichen Organismus des
Volkes, hat ſich auch die künſtliche Organiſation des Staates
vielfach zu richten. Näheres über dieſe Seite des menſchlichen
Zuſammenlebens iſt jedoch bereits oben, § 2—5, angegeben.
¹⁾ Die zur Selbſtſtändigkeit und Sicherheit eines Staates nothwendige
Zahl der Bevölkerung iſt eine ganz andere geworden, ſeitdem die neuere
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/594>, abgerufen am 24.11.2024.
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