Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.d. Abkürzung oder wo möglich gänzliche Vermeidung der Untersuchungshaft liegt ebensosehr im Vortheile der Angeschuldigten als des Staates und der Erreichung des Rechtszweckes. Gestattung von Sicherheitsleistung für unweigerliches Erscheinen vor Gericht in allen voraus- sichtlich nicht zu den höchsten Strafen führenden Fällen so wie Beseitigung eitler Furcht vor Collusionen macht dies möglich. e. Eine gute Advokaten-Ordnung ist nur um einen Grad weniger nützlich, als eine gute Einrichtung der Gerichte selbst, weil die meisten Rechtssuchenden lediglich in den Händen ihres Anwaltes sind. Die Hauptsache ist, daß durch bedeutende wissenschaftliche Bedingungen der Zulassung, durch eine ehrenvolle, einträgliche, unabhängige Stellung, endlich durch die Erhaltung der Möglichkeit einer höheren amtlichen Laufbahn die tüchtigsten Kräfte sich dieser Beschäftigung zuwenden, und nicht etwa blos Solche, welche keine Aussicht auf einen Staatsdienst haben. Von sehr zweifelhaftem Werthe, weil sie freie Be- wegung und Mitwerbung hindert und die Unabhängigkeit der Advokaten gefährdet, ist eine Beschränkung ihrer Zahl, oder gar eine, nach Belieben erfolgende oder verweigerte, Ernennung derselben durch die Regierung. Jeden Falles ganz verkehrt aber ist die Absicht jener Gesetzgebungen, welche den Gebrauch von rechtsgelehrten Anwälten ganz zu verhindern oder ihre Benützung durch Feststellung mög- lichst kleiner Gebühren wohlfeil zu machen suchen. Schon das Recht des Staates zu solcher Beschränkung, sei es der Freiheit des Hülfesuchenden sei es der Bedingung der Hülfeleistung, ist höchst zweifelhaft; ganz sicher aber ist, daß auch durch solche Maßregeln der Ehrenhaftigkeit des Advokatenstandes Abbruch gethan, dadurch aber der Ge- d. Abkürzung oder wo möglich gänzliche Vermeidung der Unterſuchungshaft liegt ebenſoſehr im Vortheile der Angeſchuldigten als des Staates und der Erreichung des Rechtszweckes. Geſtattung von Sicherheitsleiſtung für unweigerliches Erſcheinen vor Gericht in allen voraus- ſichtlich nicht zu den höchſten Strafen führenden Fällen ſo wie Beſeitigung eitler Furcht vor Colluſionen macht dies möglich. e. Eine gute Advokaten-Ordnung iſt nur um einen Grad weniger nützlich, als eine gute Einrichtung der Gerichte ſelbſt, weil die meiſten Rechtsſuchenden lediglich in den Händen ihres Anwaltes ſind. Die Hauptſache iſt, daß durch bedeutende wiſſenſchaftliche Bedingungen der Zulaſſung, durch eine ehrenvolle, einträgliche, unabhängige Stellung, endlich durch die Erhaltung der Möglichkeit einer höheren amtlichen Laufbahn die tüchtigſten Kräfte ſich dieſer Beſchäftigung zuwenden, und nicht etwa blos Solche, welche keine Ausſicht auf einen Staatsdienſt haben. Von ſehr zweifelhaftem Werthe, weil ſie freie Be- wegung und Mitwerbung hindert und die Unabhängigkeit der Advokaten gefährdet, iſt eine Beſchränkung ihrer Zahl, oder gar eine, nach Belieben erfolgende oder verweigerte, Ernennung derſelben durch die Regierung. Jeden Falles ganz verkehrt aber iſt die Abſicht jener Geſetzgebungen, welche den Gebrauch von rechtsgelehrten Anwälten ganz zu verhindern oder ihre Benützung durch Feſtſtellung mög- lichſt kleiner Gebühren wohlfeil zu machen ſuchen. Schon das Recht des Staates zu ſolcher Beſchränkung, ſei es der Freiheit des Hülfeſuchenden ſei es der Bedingung der Hülfeleiſtung, iſt höchſt zweifelhaft; ganz ſicher aber iſt, daß auch durch ſolche Maßregeln der Ehrenhaftigkeit des Advokatenſtandes Abbruch gethan, dadurch aber der Ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0674" n="660"/> <list> <item><hi rendition="#aq">d.</hi> Abkürzung oder wo möglich gänzliche Vermeidung der<lb/><hi rendition="#g">Unterſuchungshaft</hi> liegt ebenſoſehr im Vortheile der<lb/> Angeſchuldigten als des Staates und der Erreichung des<lb/> Rechtszweckes. Geſtattung von Sicherheitsleiſtung für<lb/> unweigerliches Erſcheinen vor Gericht in allen voraus-<lb/> ſichtlich nicht zu den höchſten Strafen führenden Fällen<lb/> ſo wie Beſeitigung eitler Furcht vor Colluſionen macht<lb/> dies möglich.</item><lb/> <item><hi rendition="#aq">e.</hi> Eine gute <hi rendition="#g">Advokaten-Ordnung</hi> iſt nur um einen<lb/> Grad weniger nützlich, als eine gute Einrichtung der<lb/> Gerichte ſelbſt, weil die meiſten Rechtsſuchenden lediglich<lb/> in den Händen ihres Anwaltes ſind. Die Hauptſache iſt,<lb/> daß durch bedeutende wiſſenſchaftliche Bedingungen der<lb/> Zulaſſung, durch eine ehrenvolle, einträgliche, unabhängige<lb/> Stellung, endlich durch die Erhaltung der Möglichkeit<lb/> einer höheren amtlichen Laufbahn die tüchtigſten Kräfte<lb/> ſich dieſer Beſchäftigung zuwenden, und nicht etwa blos<lb/> Solche, welche keine Ausſicht auf einen Staatsdienſt<lb/> haben. Von ſehr zweifelhaftem Werthe, weil ſie freie Be-<lb/> wegung und Mitwerbung hindert und die Unabhängigkeit<lb/> der Advokaten gefährdet, iſt eine Beſchränkung ihrer Zahl,<lb/> oder gar eine, nach Belieben erfolgende oder verweigerte,<lb/> Ernennung derſelben durch die Regierung. Jeden Falles<lb/> ganz verkehrt aber iſt die Abſicht jener Geſetzgebungen,<lb/> welche den Gebrauch von rechtsgelehrten Anwälten ganz<lb/> zu verhindern oder ihre Benützung durch Feſtſtellung mög-<lb/> lichſt kleiner Gebühren wohlfeil zu machen ſuchen. Schon<lb/> das Recht des Staates zu ſolcher Beſchränkung, ſei es<lb/> der Freiheit des Hülfeſuchenden ſei es der Bedingung der<lb/> Hülfeleiſtung, iſt höchſt zweifelhaft; ganz ſicher aber iſt,<lb/> daß auch durch ſolche Maßregeln der Ehrenhaftigkeit des<lb/> Advokatenſtandes Abbruch gethan, dadurch aber der Ge-<lb/></item> </list> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [660/0674]
d. Abkürzung oder wo möglich gänzliche Vermeidung der
Unterſuchungshaft liegt ebenſoſehr im Vortheile der
Angeſchuldigten als des Staates und der Erreichung des
Rechtszweckes. Geſtattung von Sicherheitsleiſtung für
unweigerliches Erſcheinen vor Gericht in allen voraus-
ſichtlich nicht zu den höchſten Strafen führenden Fällen
ſo wie Beſeitigung eitler Furcht vor Colluſionen macht
dies möglich.
e. Eine gute Advokaten-Ordnung iſt nur um einen
Grad weniger nützlich, als eine gute Einrichtung der
Gerichte ſelbſt, weil die meiſten Rechtsſuchenden lediglich
in den Händen ihres Anwaltes ſind. Die Hauptſache iſt,
daß durch bedeutende wiſſenſchaftliche Bedingungen der
Zulaſſung, durch eine ehrenvolle, einträgliche, unabhängige
Stellung, endlich durch die Erhaltung der Möglichkeit
einer höheren amtlichen Laufbahn die tüchtigſten Kräfte
ſich dieſer Beſchäftigung zuwenden, und nicht etwa blos
Solche, welche keine Ausſicht auf einen Staatsdienſt
haben. Von ſehr zweifelhaftem Werthe, weil ſie freie Be-
wegung und Mitwerbung hindert und die Unabhängigkeit
der Advokaten gefährdet, iſt eine Beſchränkung ihrer Zahl,
oder gar eine, nach Belieben erfolgende oder verweigerte,
Ernennung derſelben durch die Regierung. Jeden Falles
ganz verkehrt aber iſt die Abſicht jener Geſetzgebungen,
welche den Gebrauch von rechtsgelehrten Anwälten ganz
zu verhindern oder ihre Benützung durch Feſtſtellung mög-
lichſt kleiner Gebühren wohlfeil zu machen ſuchen. Schon
das Recht des Staates zu ſolcher Beſchränkung, ſei es
der Freiheit des Hülfeſuchenden ſei es der Bedingung der
Hülfeleiſtung, iſt höchſt zweifelhaft; ganz ſicher aber iſt,
daß auch durch ſolche Maßregeln der Ehrenhaftigkeit des
Advokatenſtandes Abbruch gethan, dadurch aber der Ge-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |