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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Staat, Recht und Politik. Leipzig, 1826; 2. Aufl. 1831. -- Murhard,
F., Der Zweck des Staates. Göttingen. 1832. -- Struve, G. v., Grund-
züge der Staatswissenschaft, Bd. I, S. 1 u. ff. -- Rößler, Staatslehre,
S. 283 fg.
2) Zu welchen Folgen es führt, wenn als Zweck des Zusammenlebens
die allgemeine Wohlfahrt in objectivem Sinne angenommen wird, beweisen
namentlich die Staatsplane des Socialismus und Communismus, sowie
ein großer Theil der sogenannten Staatsromane. In allen diesen gefähr-
lichen, freilich auch geistreichen und von ihrer kritischen Seite wohl zu be-
achtenden Schriften wird mit dem Dasein und den Lebensverhältnissen der
Menschen ganz nach Belieben umgesprungen. Von einer Achtung der
Persönlichkeit und der einzelnen Lebenszwecke, ja nur von einer Rücksicht
auf die gemeinsten Gebote der Sittlichkeit und Schicklichkeit, von einer Be-
rücksichtigung der psychologischen Erfahrung und der allgemeinen Wirthschafts-
gesetze pflegt gar keine Rede zu sein. Diese Weltverbesserungen würden alle
Freiheit so gründlich vernichten, daß keine Strafanstalt eine unbedingtere
und härtere Beschränkung auflegen könnte. Vergl. meine Geschichte und
Literatur der Staatswissenschaften Bd. I, S. 65 u. ff.
3) Nicht gut zu begreifen ist, wie Hartenstein, Grundbegriff der
ethischen Wissenschaften, S. 519, einer Seits der Ansicht sein kann, der
Begriff des Staates beruhe darauf, daß jeder Einzelne Schutz für seine
Privatinteressen bei der Macht suche, und daß deßhalb das erste und drin-
gendste Bedürfniß des Staates eine Rechtsordnung sei; er anderer Seits
aber behauptet, daß das Recht nicht als Mittel zu anderen Zwecken, sondern
selbst als Zweck erscheine, auf dessen Erreichung für den Staat die eigene
innere Würde beruhe. Hier ist offenbarer Selbstwiderspruch. Wenn die
Aufgabe des Staats Gewährung von Schutz für die Zwecke Dritter ist, und
hierzu das Recht als erste Bedingung nöthig ist, so ist dasselbe offenbar
ein Mittel und nicht selbst Zweck. Ob die Gesammtheit des Staates und
seiner Einrichtungen an "die Idee des Rechtes gebunden ist", mit andern
Worten, ob die Rechtsordnung über den ganzen Staat ausgedehnt sein
muß, macht hierin keinen Unterschied.
4) Die Auffassung des Staates als einer bloßen Rechtsanstalt beginnt
mit Pufendorf, ist von Kant lange unbestritten auf den Thron erhoben
worden und hat endlich in der liberalen deutschen und französischen Schule
ihre höchste Ausbildung, aber auch ihr wissenschaftliches Ende erreicht. Ein
Nachhall davon ist noch das Gerede über den Unterschied von Rechts- und
Polizeistaat. -- Belustigend ist es, anzusehen, wie sich Anhänger dieser
Ansicht drehen und wenden, den Worten und Begriffen Gewalt anthuend,
wenn sie den doch gar zu unabweisbaren weitergehenden Forderungen
des Lebens auf ihrer engen Grundlage Befriedigung verschaffen wollen.
Staat, Recht und Politik. Leipzig, 1826; 2. Aufl. 1831. — Murhard,
F., Der Zweck des Staates. Göttingen. 1832. — Struve, G. v., Grund-
züge der Staatswiſſenſchaft, Bd. I, S. 1 u. ff. — Rößler, Staatslehre,
S. 283 fg.
2) Zu welchen Folgen es führt, wenn als Zweck des Zuſammenlebens
die allgemeine Wohlfahrt in objectivem Sinne angenommen wird, beweiſen
namentlich die Staatsplane des Socialismus und Communismus, ſowie
ein großer Theil der ſogenannten Staatsromane. In allen dieſen gefähr-
lichen, freilich auch geiſtreichen und von ihrer kritiſchen Seite wohl zu be-
achtenden Schriften wird mit dem Daſein und den Lebensverhältniſſen der
Menſchen ganz nach Belieben umgeſprungen. Von einer Achtung der
Perſönlichkeit und der einzelnen Lebenszwecke, ja nur von einer Rückſicht
auf die gemeinſten Gebote der Sittlichkeit und Schicklichkeit, von einer Be-
rückſichtigung der pſychologiſchen Erfahrung und der allgemeinen Wirthſchafts-
geſetze pflegt gar keine Rede zu ſein. Dieſe Weltverbeſſerungen würden alle
Freiheit ſo gründlich vernichten, daß keine Strafanſtalt eine unbedingtere
und härtere Beſchränkung auflegen könnte. Vergl. meine Geſchichte und
Literatur der Staatswiſſenſchaften Bd. I, S. 65 u. ff.
3) Nicht gut zu begreifen iſt, wie Hartenſtein, Grundbegriff der
ethiſchen Wiſſenſchaften, S. 519, einer Seits der Anſicht ſein kann, der
Begriff des Staates beruhe darauf, daß jeder Einzelne Schutz für ſeine
Privatintereſſen bei der Macht ſuche, und daß deßhalb das erſte und drin-
gendſte Bedürfniß des Staates eine Rechtsordnung ſei; er anderer Seits
aber behauptet, daß das Recht nicht als Mittel zu anderen Zwecken, ſondern
ſelbſt als Zweck erſcheine, auf deſſen Erreichung für den Staat die eigene
innere Würde beruhe. Hier iſt offenbarer Selbſtwiderſpruch. Wenn die
Aufgabe des Staats Gewährung von Schutz für die Zwecke Dritter iſt, und
hierzu das Recht als erſte Bedingung nöthig iſt, ſo iſt daſſelbe offenbar
ein Mittel und nicht ſelbſt Zweck. Ob die Geſammtheit des Staates und
ſeiner Einrichtungen an „die Idee des Rechtes gebunden iſt“, mit andern
Worten, ob die Rechtsordnung über den ganzen Staat ausgedehnt ſein
muß, macht hierin keinen Unterſchied.
4) Die Auffaſſung des Staates als einer bloßen Rechtsanſtalt beginnt
mit Pufendorf, iſt von Kant lange unbeſtritten auf den Thron erhoben
worden und hat endlich in der liberalen deutſchen und franzöſiſchen Schule
ihre höchſte Ausbildung, aber auch ihr wiſſenſchaftliches Ende erreicht. Ein
Nachhall davon iſt noch das Gerede über den Unterſchied von Rechts- und
Polizeiſtaat. — Beluſtigend iſt es, anzuſehen, wie ſich Anhänger dieſer
Anſicht drehen und wenden, den Worten und Begriffen Gewalt anthuend,
wenn ſie den doch gar zu unabweisbaren weitergehenden Forderungen
des Lebens auf ihrer engen Grundlage Befriedigung verſchaffen wollen.
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[82/0096] ¹⁾ Staat, Recht und Politik. Leipzig, 1826; 2. Aufl. 1831. — Murhard, F., Der Zweck des Staates. Göttingen. 1832. — Struve, G. v., Grund- züge der Staatswiſſenſchaft, Bd. I, S. 1 u. ff. — Rößler, Staatslehre, S. 283 fg. ²⁾ Zu welchen Folgen es führt, wenn als Zweck des Zuſammenlebens die allgemeine Wohlfahrt in objectivem Sinne angenommen wird, beweiſen namentlich die Staatsplane des Socialismus und Communismus, ſowie ein großer Theil der ſogenannten Staatsromane. In allen dieſen gefähr- lichen, freilich auch geiſtreichen und von ihrer kritiſchen Seite wohl zu be- achtenden Schriften wird mit dem Daſein und den Lebensverhältniſſen der Menſchen ganz nach Belieben umgeſprungen. Von einer Achtung der Perſönlichkeit und der einzelnen Lebenszwecke, ja nur von einer Rückſicht auf die gemeinſten Gebote der Sittlichkeit und Schicklichkeit, von einer Be- rückſichtigung der pſychologiſchen Erfahrung und der allgemeinen Wirthſchafts- geſetze pflegt gar keine Rede zu ſein. Dieſe Weltverbeſſerungen würden alle Freiheit ſo gründlich vernichten, daß keine Strafanſtalt eine unbedingtere und härtere Beſchränkung auflegen könnte. Vergl. meine Geſchichte und Literatur der Staatswiſſenſchaften Bd. I, S. 65 u. ff. ³⁾ Nicht gut zu begreifen iſt, wie Hartenſtein, Grundbegriff der ethiſchen Wiſſenſchaften, S. 519, einer Seits der Anſicht ſein kann, der Begriff des Staates beruhe darauf, daß jeder Einzelne Schutz für ſeine Privatintereſſen bei der Macht ſuche, und daß deßhalb das erſte und drin- gendſte Bedürfniß des Staates eine Rechtsordnung ſei; er anderer Seits aber behauptet, daß das Recht nicht als Mittel zu anderen Zwecken, ſondern ſelbſt als Zweck erſcheine, auf deſſen Erreichung für den Staat die eigene innere Würde beruhe. Hier iſt offenbarer Selbſtwiderſpruch. Wenn die Aufgabe des Staats Gewährung von Schutz für die Zwecke Dritter iſt, und hierzu das Recht als erſte Bedingung nöthig iſt, ſo iſt daſſelbe offenbar ein Mittel und nicht ſelbſt Zweck. Ob die Geſammtheit des Staates und ſeiner Einrichtungen an „die Idee des Rechtes gebunden iſt“, mit andern Worten, ob die Rechtsordnung über den ganzen Staat ausgedehnt ſein muß, macht hierin keinen Unterſchied. ⁴⁾ Die Auffaſſung des Staates als einer bloßen Rechtsanſtalt beginnt mit Pufendorf, iſt von Kant lange unbeſtritten auf den Thron erhoben worden und hat endlich in der liberalen deutſchen und franzöſiſchen Schule ihre höchſte Ausbildung, aber auch ihr wiſſenſchaftliches Ende erreicht. Ein Nachhall davon iſt noch das Gerede über den Unterſchied von Rechts- und Polizeiſtaat. — Beluſtigend iſt es, anzuſehen, wie ſich Anhänger dieſer Anſicht drehen und wenden, den Worten und Begriffen Gewalt anthuend, wenn ſie den doch gar zu unabweisbaren weitergehenden Forderungen des Lebens auf ihrer engen Grundlage Befriedigung verſchaffen wollen.

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/96>, abgerufen am 23.11.2024.