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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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ten, und es macht einen ergreifenden Eindruck, mitten in
dieser menschenleeren und unbebauten Einöde ein solches
Denkmal der Macht und der Menschenliebe einer längst
entschwundenen Zeit zu betrachten. Nachdem die Leitung
noch über einen sehr bedeutenden Aquaduct bei "Dschebedsche
kjoi" geflossen, wendet sie sich über mehrere kleine Thäler
setzend zwischen den Terrainwellen der jetzt flachern Gegend
durch, geht dicht hinter "Fil-köpry" (der Elephanten-
brücke) und der Vorstadt "Ejub" fort, und tritt bei
"Egri-kapu" (dem Winkelthor) in die Stadt.

Die griechischen Kaiser hatten dafür gesorgt, daß Kon-
stantinopel nie ohne einen bedeutenden Vorrath von Wasser
innerhalb der Mauern selbst war; für diesen Zweck hatten
sie sehr große gemauerte Bassins angelegt, die theils offen,
theils unterirdisch und mit Gewölben überdeckt waren, welche
auf Hunderten von schönen Granit- und Marmor-Säulen
ruhen. Diese letztern Hallen dienen gegenwärtig den Sei-
denspinnern zu einem kühlen Aufenthalt im Sommer, die
offenen Reservoirs (Tschukur-bostan) sind mit Gärten und
Häusern angefüllt, und man lebt eigentlich mit Bezug auf
ein so unentbehrliches Bedürfniß, wie das Wasser, aus der
Hand in den Mund. Konstantinopel könnte sich keine acht
Tage gegen einen Feind vertheidigen, welcher den Wasser-
faden an irgend einem Theile seines fünf Meilen langen
Laufs durchschnitte. Mehmet, dem Eroberer, und Su-
leiman
, dem Prachtvollen, kam es freilich nicht in den
Sinn, daß ihre Hauptstadt je belagert werden könne; heute
liegen die Sachen anders, und es ist ein Glück, daß die
Reservoirs trotz ihrer anderweitigen Verwendung doch we-
nigstens noch da sind.

Auch aus dem quellenreichen Hügelland, westlich von
Konstantinopel, schöpft die ungeheuere Bevölkerung einen
Theil ihres Wasserbedarfs durch kürzere, minder mächtige
Leitungen. Die bedeutendste von diesen kommt von "Kalfa-
kjöi", sie durchsetzt die Stadt selbst auf einem gewaltigen
Aquaduct und versorgt die höher liegenden Theile derselben,

ten, und es macht einen ergreifenden Eindruck, mitten in
dieſer menſchenleeren und unbebauten Einoͤde ein ſolches
Denkmal der Macht und der Menſchenliebe einer laͤngſt
entſchwundenen Zeit zu betrachten. Nachdem die Leitung
noch uͤber einen ſehr bedeutenden Aquaduct bei „Dſchebedſche
kjoi“ gefloſſen, wendet ſie ſich uͤber mehrere kleine Thaͤler
ſetzend zwiſchen den Terrainwellen der jetzt flachern Gegend
durch, geht dicht hinter „Fil-koͤpry“ (der Elephanten-
bruͤcke) und der Vorſtadt „Ejub“ fort, und tritt bei
„Egri-kapu“ (dem Winkelthor) in die Stadt.

Die griechiſchen Kaiſer hatten dafuͤr geſorgt, daß Kon-
ſtantinopel nie ohne einen bedeutenden Vorrath von Waſſer
innerhalb der Mauern ſelbſt war; fuͤr dieſen Zweck hatten
ſie ſehr große gemauerte Baſſins angelegt, die theils offen,
theils unterirdiſch und mit Gewoͤlben uͤberdeckt waren, welche
auf Hunderten von ſchoͤnen Granit- und Marmor-Saͤulen
ruhen. Dieſe letztern Hallen dienen gegenwaͤrtig den Sei-
denſpinnern zu einem kuͤhlen Aufenthalt im Sommer, die
offenen Reſervoirs (Tſchukur-boſtan) ſind mit Gaͤrten und
Haͤuſern angefuͤllt, und man lebt eigentlich mit Bezug auf
ein ſo unentbehrliches Beduͤrfniß, wie das Waſſer, aus der
Hand in den Mund. Konſtantinopel koͤnnte ſich keine acht
Tage gegen einen Feind vertheidigen, welcher den Waſſer-
faden an irgend einem Theile ſeines fuͤnf Meilen langen
Laufs durchſchnitte. Mehmet, dem Eroberer, und Su-
leiman
, dem Prachtvollen, kam es freilich nicht in den
Sinn, daß ihre Hauptſtadt je belagert werden koͤnne; heute
liegen die Sachen anders, und es iſt ein Gluͤck, daß die
Reſervoirs trotz ihrer anderweitigen Verwendung doch we-
nigſtens noch da ſind.

Auch aus dem quellenreichen Huͤgelland, weſtlich von
Konſtantinopel, ſchoͤpft die ungeheuere Bevoͤlkerung einen
Theil ihres Waſſerbedarfs durch kuͤrzere, minder maͤchtige
Leitungen. Die bedeutendſte von dieſen kommt von „Kalfa-
kjoͤi“, ſie durchſetzt die Stadt ſelbſt auf einem gewaltigen
Aquaduct und verſorgt die hoͤher liegenden Theile derſelben,

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[90/0100] ten, und es macht einen ergreifenden Eindruck, mitten in dieſer menſchenleeren und unbebauten Einoͤde ein ſolches Denkmal der Macht und der Menſchenliebe einer laͤngſt entſchwundenen Zeit zu betrachten. Nachdem die Leitung noch uͤber einen ſehr bedeutenden Aquaduct bei „Dſchebedſche kjoi“ gefloſſen, wendet ſie ſich uͤber mehrere kleine Thaͤler ſetzend zwiſchen den Terrainwellen der jetzt flachern Gegend durch, geht dicht hinter „Fil-koͤpry“ (der Elephanten- bruͤcke) und der Vorſtadt „Ejub“ fort, und tritt bei „Egri-kapu“ (dem Winkelthor) in die Stadt. Die griechiſchen Kaiſer hatten dafuͤr geſorgt, daß Kon- ſtantinopel nie ohne einen bedeutenden Vorrath von Waſſer innerhalb der Mauern ſelbſt war; fuͤr dieſen Zweck hatten ſie ſehr große gemauerte Baſſins angelegt, die theils offen, theils unterirdiſch und mit Gewoͤlben uͤberdeckt waren, welche auf Hunderten von ſchoͤnen Granit- und Marmor-Saͤulen ruhen. Dieſe letztern Hallen dienen gegenwaͤrtig den Sei- denſpinnern zu einem kuͤhlen Aufenthalt im Sommer, die offenen Reſervoirs (Tſchukur-boſtan) ſind mit Gaͤrten und Haͤuſern angefuͤllt, und man lebt eigentlich mit Bezug auf ein ſo unentbehrliches Beduͤrfniß, wie das Waſſer, aus der Hand in den Mund. Konſtantinopel koͤnnte ſich keine acht Tage gegen einen Feind vertheidigen, welcher den Waſſer- faden an irgend einem Theile ſeines fuͤnf Meilen langen Laufs durchſchnitte. Mehmet, dem Eroberer, und Su- leiman, dem Prachtvollen, kam es freilich nicht in den Sinn, daß ihre Hauptſtadt je belagert werden koͤnne; heute liegen die Sachen anders, und es iſt ein Gluͤck, daß die Reſervoirs trotz ihrer anderweitigen Verwendung doch we- nigſtens noch da ſind. Auch aus dem quellenreichen Huͤgelland, weſtlich von Konſtantinopel, ſchoͤpft die ungeheuere Bevoͤlkerung einen Theil ihres Waſſerbedarfs durch kuͤrzere, minder maͤchtige Leitungen. Die bedeutendſte von dieſen kommt von „Kalfa- kjoͤi“, ſie durchſetzt die Stadt ſelbſt auf einem gewaltigen Aquaduct und verſorgt die hoͤher liegenden Theile derſelben,

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/100>, abgerufen am 21.11.2024.