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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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lich gewesen. Seit vier Wochen hat der Ex-Seraskier sich
zu Emirgjon, einem reizenden Landsitz am Bosphor, einge-
schlossen. Er sieht keinen Menschen, theils um nicht Arg-
wohn zu erregen, theils weil Niemand zu ihm kommt, denn
wer hier verabschiedet -- ist in Ungnade, und wer in Un-
gnade -- hat keinen Freund mehr. Mir war es gleichgül-
tig, ob die neuen Machthaber es gern sahen, oder nicht,
und so bin ich auch nach seinem Sturze schon mehrmals
zu ihm gefahren.

Als ich das erstemal nach Emirgjon kam, schien die
Dienerschaft über diesen Besuch befremdet, indeß meldete
man mich sogleich, und der alte Herr empfing mich mit
unverholener Freude. Als ob der Ex-Seraskier jetzt wei-
ter keine Verpflichtung gegen die Reform habe, war Meh-
med Chosref
in seiner ganzen Lebensweise zu den alt-
türkischen Gewohnheiten zurückgekehrt. Jch fand ihn in
einem Gewande aus dem feinsten Lahore-Shawl; die weiten
Beinkleider aus weißem Atlas waren mit Spitzen besetzt,
welche den sehr kleinen Fuß ganz bedeckten. Ein Amulet
hing an goldener Kette um seinen Hals, ein anderes war
um den Arm gebunden, und ein prachtvoller Zobelpelz mit
himmelblauem schweren Seidenstoff bekleidet und mit brei-
ten goldenen Tressen besetzt, vervollständigte den Anzug.

Das Zimmer, in welchem ich den Verbannten fand,
war ächt orientalisch, und schöner, als ich je eins in den
Schlössern des Großherrn gesehen. Die eine Front des
sehr geräumigen Gemachs blickte auf den Bosphor, dessen
tiefblaue Wogen dicht unter den Fenstern gegen einen schö-
nen Quai rauschten; die gegenüber liegende Seite war ganz
offen und zeigte einen Garten mit Rosenhecken, Orangen-
büschen und mächtigen Lorbeerstämmen. Der blühende
Oleander spiegelt sich in Marmorbecken mit krystallhellem
Wasser und ein Springbrunnen plätscherte im Vorder-
grunde, in dessen Bassin purpurne Goldfische spielten. Eine
breite seidene Markise bildete die Fortsetzung des mit rei-
chen Arabesken geschmückten Plafonds, und der prachtvolle

lich geweſen. Seit vier Wochen hat der Ex-Seraskier ſich
zu Emirgjon, einem reizenden Landſitz am Bosphor, einge-
ſchloſſen. Er ſieht keinen Menſchen, theils um nicht Arg-
wohn zu erregen, theils weil Niemand zu ihm kommt, denn
wer hier verabſchiedet — iſt in Ungnade, und wer in Un-
gnade — hat keinen Freund mehr. Mir war es gleichguͤl-
tig, ob die neuen Machthaber es gern ſahen, oder nicht,
und ſo bin ich auch nach ſeinem Sturze ſchon mehrmals
zu ihm gefahren.

Als ich das erſtemal nach Emirgjon kam, ſchien die
Dienerſchaft uͤber dieſen Beſuch befremdet, indeß meldete
man mich ſogleich, und der alte Herr empfing mich mit
unverholener Freude. Als ob der Ex-Seraskier jetzt wei-
ter keine Verpflichtung gegen die Reform habe, war Meh-
med Chosref
in ſeiner ganzen Lebensweiſe zu den alt-
tuͤrkiſchen Gewohnheiten zuruͤckgekehrt. Jch fand ihn in
einem Gewande aus dem feinſten Lahore-Shawl; die weiten
Beinkleider aus weißem Atlas waren mit Spitzen beſetzt,
welche den ſehr kleinen Fuß ganz bedeckten. Ein Amulet
hing an goldener Kette um ſeinen Hals, ein anderes war
um den Arm gebunden, und ein prachtvoller Zobelpelz mit
himmelblauem ſchweren Seidenſtoff bekleidet und mit brei-
ten goldenen Treſſen beſetzt, vervollſtaͤndigte den Anzug.

Das Zimmer, in welchem ich den Verbannten fand,
war aͤcht orientaliſch, und ſchoͤner, als ich je eins in den
Schloͤſſern des Großherrn geſehen. Die eine Front des
ſehr geraͤumigen Gemachs blickte auf den Bosphor, deſſen
tiefblaue Wogen dicht unter den Fenſtern gegen einen ſchoͤ-
nen Quai rauſchten; die gegenuͤber liegende Seite war ganz
offen und zeigte einen Garten mit Roſenhecken, Orangen-
buͤſchen und maͤchtigen Lorbeerſtaͤmmen. Der bluͤhende
Oleander ſpiegelt ſich in Marmorbecken mit kryſtallhellem
Waſſer und ein Springbrunnen plaͤtſcherte im Vorder-
grunde, in deſſen Baſſin purpurne Goldfiſche ſpielten. Eine
breite ſeidene Markiſe bildete die Fortſetzung des mit rei-
chen Arabesken geſchmuͤckten Plafonds, und der prachtvolle

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[101/0111] lich geweſen. Seit vier Wochen hat der Ex-Seraskier ſich zu Emirgjon, einem reizenden Landſitz am Bosphor, einge- ſchloſſen. Er ſieht keinen Menſchen, theils um nicht Arg- wohn zu erregen, theils weil Niemand zu ihm kommt, denn wer hier verabſchiedet — iſt in Ungnade, und wer in Un- gnade — hat keinen Freund mehr. Mir war es gleichguͤl- tig, ob die neuen Machthaber es gern ſahen, oder nicht, und ſo bin ich auch nach ſeinem Sturze ſchon mehrmals zu ihm gefahren. Als ich das erſtemal nach Emirgjon kam, ſchien die Dienerſchaft uͤber dieſen Beſuch befremdet, indeß meldete man mich ſogleich, und der alte Herr empfing mich mit unverholener Freude. Als ob der Ex-Seraskier jetzt wei- ter keine Verpflichtung gegen die Reform habe, war Meh- med Chosref in ſeiner ganzen Lebensweiſe zu den alt- tuͤrkiſchen Gewohnheiten zuruͤckgekehrt. Jch fand ihn in einem Gewande aus dem feinſten Lahore-Shawl; die weiten Beinkleider aus weißem Atlas waren mit Spitzen beſetzt, welche den ſehr kleinen Fuß ganz bedeckten. Ein Amulet hing an goldener Kette um ſeinen Hals, ein anderes war um den Arm gebunden, und ein prachtvoller Zobelpelz mit himmelblauem ſchweren Seidenſtoff bekleidet und mit brei- ten goldenen Treſſen beſetzt, vervollſtaͤndigte den Anzug. Das Zimmer, in welchem ich den Verbannten fand, war aͤcht orientaliſch, und ſchoͤner, als ich je eins in den Schloͤſſern des Großherrn geſehen. Die eine Front des ſehr geraͤumigen Gemachs blickte auf den Bosphor, deſſen tiefblaue Wogen dicht unter den Fenſtern gegen einen ſchoͤ- nen Quai rauſchten; die gegenuͤber liegende Seite war ganz offen und zeigte einen Garten mit Roſenhecken, Orangen- buͤſchen und maͤchtigen Lorbeerſtaͤmmen. Der bluͤhende Oleander ſpiegelt ſich in Marmorbecken mit kryſtallhellem Waſſer und ein Springbrunnen plaͤtſcherte im Vorder- grunde, in deſſen Baſſin purpurne Goldfiſche ſpielten. Eine breite ſeidene Markiſe bildete die Fortſetzung des mit rei- chen Arabesken geſchmuͤckten Plafonds, und der prachtvolle

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/111>, abgerufen am 21.11.2024.