glauben, daß auch die Dankbarkeit der Thiere den Men- schen Seegen bringe.
Die Begräbnißplätze, wie ich sie Dir hier geschildert, sind die einzigen Promenaden der Türken, oder vielmehr der Ort, wo sie spazieren sitzen, denn man könnte eben so gut einem Briefträger, wie einem Türken eine Promenade vorschlagen. Die Frauen fahren in einem Arabah, einem Fuhrwerke, das den schlesischen Plan- oder Plauwagen sehr ähnlich sieht, aber ohne Federn und bunt angemalt. Die schwere Deichsel endet mit einem Drachenkopf, die Achsen und Buchsen sind unbeschlagen, denn der Prophet sagt: "Nur die Gottlosen schleichen im Finstern umher, ein gu- ter Moslem aber fährt mit schreienden Rädern." Vor solche Equipage werden zwei Büffel oder Ochsen gespannt, denen mit gelbem Ocker prachtvolle Sonnen auf die graue Haut gemalt sind. Die Schweife werden an hölzerne Bü- gel mit bunten Bändern und Quasten aufgebunden. So geht es im langsamen Zuge einher. Vornehme Frauen sitzen in einer Art von Kutsche, hinter Gittern und Gar- dinen versteckt; die angesehenen Männer reiten, aber es wäre gegen allen Anstand, schnell zu reiten. Am stattlich- sten ist ein schwerfälliger Beygir oder Wallach mit dickem Heubauch; der Seis oder Pferdeknecht geht daneben, die Hand auf der Kruppe des Pferdes, und so wie der Weg steigt oder fällt, unterstützt er seinen Herrn, indem er ihm die Hand um den Rücken legt. Vornehme Türken haben ein halbes Dutzend solcher Leute zu Fuß vor und hinter sich, und so geht es im langsamen Schritt vorwärts. Jm Freien reitet der Türke Paß, und die "Rachwan" oder Paßgänger sind als besonders gute Pferde geschätzt; zu- weilen wird einmal eine gestreckte Carriere gemacht, Trab aber reitet nur ein Gjaur. Es gehört überhaupt zu einer vornehmen Erscheinung, sich wie ein Krüppel führen zu lassen; Du siehst nie den Großherrn die Stufen einer Mo- schee hinabsteigen, ohne daß ihn ein Pascha unter jeden Arm faßt und ihn führt.
glauben, daß auch die Dankbarkeit der Thiere den Men- ſchen Seegen bringe.
Die Begraͤbnißplaͤtze, wie ich ſie Dir hier geſchildert, ſind die einzigen Promenaden der Tuͤrken, oder vielmehr der Ort, wo ſie ſpazieren ſitzen, denn man koͤnnte eben ſo gut einem Brieftraͤger, wie einem Tuͤrken eine Promenade vorſchlagen. Die Frauen fahren in einem Arabah, einem Fuhrwerke, das den ſchleſiſchen Plan- oder Plauwagen ſehr aͤhnlich ſieht, aber ohne Federn und bunt angemalt. Die ſchwere Deichſel endet mit einem Drachenkopf, die Achſen und Buchſen ſind unbeſchlagen, denn der Prophet ſagt: „Nur die Gottloſen ſchleichen im Finſtern umher, ein gu- ter Moslem aber faͤhrt mit ſchreienden Raͤdern.“ Vor ſolche Equipage werden zwei Buͤffel oder Ochſen geſpannt, denen mit gelbem Ocker prachtvolle Sonnen auf die graue Haut gemalt ſind. Die Schweife werden an hoͤlzerne Buͤ- gel mit bunten Baͤndern und Quaſten aufgebunden. So geht es im langſamen Zuge einher. Vornehme Frauen ſitzen in einer Art von Kutſche, hinter Gittern und Gar- dinen verſteckt; die angeſehenen Maͤnner reiten, aber es waͤre gegen allen Anſtand, ſchnell zu reiten. Am ſtattlich- ſten iſt ein ſchwerfaͤlliger Beygir oder Wallach mit dickem Heubauch; der Seïs oder Pferdeknecht geht daneben, die Hand auf der Kruppe des Pferdes, und ſo wie der Weg ſteigt oder faͤllt, unterſtuͤtzt er ſeinen Herrn, indem er ihm die Hand um den Ruͤcken legt. Vornehme Tuͤrken haben ein halbes Dutzend ſolcher Leute zu Fuß vor und hinter ſich, und ſo geht es im langſamen Schritt vorwaͤrts. Jm Freien reitet der Tuͤrke Paß, und die „Rachwan“ oder Paßgaͤnger ſind als beſonders gute Pferde geſchaͤtzt; zu- weilen wird einmal eine geſtreckte Carriere gemacht, Trab aber reitet nur ein Gjaur. Es gehoͤrt uͤberhaupt zu einer vornehmen Erſcheinung, ſich wie ein Kruͤppel fuͤhren zu laſſen; Du ſiehſt nie den Großherrn die Stufen einer Mo- ſchee hinabſteigen, ohne daß ihn ein Paſcha unter jeden Arm faßt und ihn fuͤhrt.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0117"n="107"/>
glauben, daß auch die Dankbarkeit der Thiere den Men-<lb/>ſchen Seegen bringe.</p><lb/><p>Die Begraͤbnißplaͤtze, wie ich ſie Dir hier geſchildert,<lb/>ſind die einzigen Promenaden der Tuͤrken, oder vielmehr<lb/>
der Ort, wo ſie ſpazieren ſitzen, denn man koͤnnte eben ſo<lb/>
gut einem Brieftraͤger, wie einem Tuͤrken eine Promenade<lb/>
vorſchlagen. Die Frauen fahren in einem Arabah, einem<lb/>
Fuhrwerke, das den ſchleſiſchen Plan- oder Plauwagen ſehr<lb/>
aͤhnlich ſieht, aber ohne Federn und bunt angemalt. Die<lb/>ſchwere Deichſel endet mit einem Drachenkopf, die Achſen<lb/>
und Buchſen ſind unbeſchlagen, denn der Prophet ſagt:<lb/>„Nur die Gottloſen ſchleichen im Finſtern umher, ein gu-<lb/>
ter Moslem aber faͤhrt mit ſchreienden Raͤdern.“ Vor<lb/>ſolche Equipage werden zwei Buͤffel oder Ochſen geſpannt,<lb/>
denen mit gelbem Ocker prachtvolle Sonnen auf die graue<lb/>
Haut gemalt ſind. Die Schweife werden an hoͤlzerne Buͤ-<lb/>
gel mit bunten Baͤndern und Quaſten aufgebunden. So<lb/>
geht es im langſamen Zuge einher. Vornehme Frauen<lb/>ſitzen in einer Art von Kutſche, hinter Gittern und Gar-<lb/>
dinen verſteckt; die angeſehenen Maͤnner reiten, aber es<lb/>
waͤre gegen allen Anſtand, ſchnell zu reiten. Am ſtattlich-<lb/>ſten iſt ein ſchwerfaͤlliger Beygir oder Wallach mit dickem<lb/>
Heubauch; der Seïs oder Pferdeknecht geht daneben, die<lb/>
Hand auf der Kruppe des Pferdes, und ſo wie der Weg<lb/>ſteigt oder faͤllt, unterſtuͤtzt er ſeinen Herrn, indem er ihm<lb/>
die Hand um den Ruͤcken legt. Vornehme Tuͤrken haben<lb/>
ein halbes Dutzend ſolcher Leute zu Fuß vor und hinter<lb/>ſich, und ſo geht es im langſamen Schritt vorwaͤrts. Jm<lb/>
Freien reitet der Tuͤrke Paß, und die „Rachwan“ oder<lb/>
Paßgaͤnger ſind als beſonders gute Pferde geſchaͤtzt; zu-<lb/>
weilen wird einmal eine geſtreckte Carriere gemacht, Trab<lb/>
aber reitet nur ein Gjaur. Es gehoͤrt uͤberhaupt zu einer<lb/>
vornehmen Erſcheinung, ſich wie ein Kruͤppel fuͤhren zu<lb/>
laſſen; Du ſiehſt nie den Großherrn die Stufen einer Mo-<lb/>ſchee hinabſteigen, ohne daß ihn ein Paſcha unter jeden Arm<lb/>
faßt und ihn fuͤhrt.</p></div><lb/></body></text></TEI>
[107/0117]
glauben, daß auch die Dankbarkeit der Thiere den Men-
ſchen Seegen bringe.
Die Begraͤbnißplaͤtze, wie ich ſie Dir hier geſchildert,
ſind die einzigen Promenaden der Tuͤrken, oder vielmehr
der Ort, wo ſie ſpazieren ſitzen, denn man koͤnnte eben ſo
gut einem Brieftraͤger, wie einem Tuͤrken eine Promenade
vorſchlagen. Die Frauen fahren in einem Arabah, einem
Fuhrwerke, das den ſchleſiſchen Plan- oder Plauwagen ſehr
aͤhnlich ſieht, aber ohne Federn und bunt angemalt. Die
ſchwere Deichſel endet mit einem Drachenkopf, die Achſen
und Buchſen ſind unbeſchlagen, denn der Prophet ſagt:
„Nur die Gottloſen ſchleichen im Finſtern umher, ein gu-
ter Moslem aber faͤhrt mit ſchreienden Raͤdern.“ Vor
ſolche Equipage werden zwei Buͤffel oder Ochſen geſpannt,
denen mit gelbem Ocker prachtvolle Sonnen auf die graue
Haut gemalt ſind. Die Schweife werden an hoͤlzerne Buͤ-
gel mit bunten Baͤndern und Quaſten aufgebunden. So
geht es im langſamen Zuge einher. Vornehme Frauen
ſitzen in einer Art von Kutſche, hinter Gittern und Gar-
dinen verſteckt; die angeſehenen Maͤnner reiten, aber es
waͤre gegen allen Anſtand, ſchnell zu reiten. Am ſtattlich-
ſten iſt ein ſchwerfaͤlliger Beygir oder Wallach mit dickem
Heubauch; der Seïs oder Pferdeknecht geht daneben, die
Hand auf der Kruppe des Pferdes, und ſo wie der Weg
ſteigt oder faͤllt, unterſtuͤtzt er ſeinen Herrn, indem er ihm
die Hand um den Ruͤcken legt. Vornehme Tuͤrken haben
ein halbes Dutzend ſolcher Leute zu Fuß vor und hinter
ſich, und ſo geht es im langſamen Schritt vorwaͤrts. Jm
Freien reitet der Tuͤrke Paß, und die „Rachwan“ oder
Paßgaͤnger ſind als beſonders gute Pferde geſchaͤtzt; zu-
weilen wird einmal eine geſtreckte Carriere gemacht, Trab
aber reitet nur ein Gjaur. Es gehoͤrt uͤberhaupt zu einer
vornehmen Erſcheinung, ſich wie ein Kruͤppel fuͤhren zu
laſſen; Du ſiehſt nie den Großherrn die Stufen einer Mo-
ſchee hinabſteigen, ohne daß ihn ein Paſcha unter jeden Arm
faßt und ihn fuͤhrt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/117>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.