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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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vielleicht einen Empfehlungsbrief; er wird Dir mit der Feuer-
zange abgenommen, sorgfältig durchräuchert und mit Miß-
trauen geöffnet. Du glaubst, jetzt wird der Hausherr Dir
die Hand zum Willkommen reichen, aber er darf Dich nicht
anrühren; Du fängst ein Gespräch an, es führt augenblick-
lich auf die Pest; Du hoffst auf eine Partie Whist, aber
vergebens, die Karten gehen ja von Hand zu Hand; die
Frau vom Hause verliert ihr Schnupftuch, Du hebst es
auf, das Aergste, was Du thun kannst, denn nun muß es
erst gewaschen werden, ehe sie es wieder anfassen kann.
An Theater, an Bälle, Gesellschaften, an Clubbs, Lesezirkel,
Diligencen, kurz an irgend welche Art von Zusammenkünften
ist nicht zu denken. So ist die Physiognomie des geselligen
oder vielmehr des ungeselligen Lebens in Pera während der
Pest, und ich glaube, daß Du meiner Meinung sein wirst,
daß die Gefahr zwar sehr viel geringer, die Unannehmlich-
keit aber weit größer ist, als man es in Ländern glaubt,
die jene Plage nicht kennen.

Jn diesem Briefe ist so viel von der Pest die Rede
gewesen, daß ich denke, man wird ihn an der Grenze ganz
besonders durchräuchern müssen.

27.
Ueber Quarantainen in der Türkei.

Die furchtbare Pest, welche in diesem Augenblick Kon-
stantinopel verheert, hat den Wunsch der Regierung erzeugt,
einem so großen Unglück abzuhelfen.

Man hat vorgeschlagen, die Stadt mit Quarantaine-
Linien zu umgeben, wie die, welche Europa gegen jene Seuche
schützen. Je mehr man indeß über den Gegenstand nach-
denkt, je weniger kann man sich der Ueberzeugung entschla-
gen, daß bloße Quarantainen durchaus unanwendbar, und
daß das Heilmittel schlimmer als das Uebel selbst sein würde.

vielleicht einen Empfehlungsbrief; er wird Dir mit der Feuer-
zange abgenommen, ſorgfaͤltig durchraͤuchert und mit Miß-
trauen geoͤffnet. Du glaubſt, jetzt wird der Hausherr Dir
die Hand zum Willkommen reichen, aber er darf Dich nicht
anruͤhren; Du faͤngſt ein Geſpraͤch an, es fuͤhrt augenblick-
lich auf die Peſt; Du hoffſt auf eine Partie Whiſt, aber
vergebens, die Karten gehen ja von Hand zu Hand; die
Frau vom Hauſe verliert ihr Schnupftuch, Du hebſt es
auf, das Aergſte, was Du thun kannſt, denn nun muß es
erſt gewaſchen werden, ehe ſie es wieder anfaſſen kann.
An Theater, an Baͤlle, Geſellſchaften, an Clubbs, Leſezirkel,
Diligencen, kurz an irgend welche Art von Zuſammenkuͤnften
iſt nicht zu denken. So iſt die Phyſiognomie des geſelligen
oder vielmehr des ungeſelligen Lebens in Pera waͤhrend der
Peſt, und ich glaube, daß Du meiner Meinung ſein wirſt,
daß die Gefahr zwar ſehr viel geringer, die Unannehmlich-
keit aber weit groͤßer iſt, als man es in Laͤndern glaubt,
die jene Plage nicht kennen.

Jn dieſem Briefe iſt ſo viel von der Peſt die Rede
geweſen, daß ich denke, man wird ihn an der Grenze ganz
beſonders durchraͤuchern muͤſſen.

27.
Ueber Quarantainen in der Tuͤrkei.

Die furchtbare Peſt, welche in dieſem Augenblick Kon-
ſtantinopel verheert, hat den Wunſch der Regierung erzeugt,
einem ſo großen Ungluͤck abzuhelfen.

Man hat vorgeſchlagen, die Stadt mit Quarantaine-
Linien zu umgeben, wie die, welche Europa gegen jene Seuche
ſchuͤtzen. Je mehr man indeß uͤber den Gegenſtand nach-
denkt, je weniger kann man ſich der Ueberzeugung entſchla-
gen, daß bloße Quarantainen durchaus unanwendbar, und
daß das Heilmittel ſchlimmer als das Uebel ſelbſt ſein wuͤrde.

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[119/0129] vielleicht einen Empfehlungsbrief; er wird Dir mit der Feuer- zange abgenommen, ſorgfaͤltig durchraͤuchert und mit Miß- trauen geoͤffnet. Du glaubſt, jetzt wird der Hausherr Dir die Hand zum Willkommen reichen, aber er darf Dich nicht anruͤhren; Du faͤngſt ein Geſpraͤch an, es fuͤhrt augenblick- lich auf die Peſt; Du hoffſt auf eine Partie Whiſt, aber vergebens, die Karten gehen ja von Hand zu Hand; die Frau vom Hauſe verliert ihr Schnupftuch, Du hebſt es auf, das Aergſte, was Du thun kannſt, denn nun muß es erſt gewaſchen werden, ehe ſie es wieder anfaſſen kann. An Theater, an Baͤlle, Geſellſchaften, an Clubbs, Leſezirkel, Diligencen, kurz an irgend welche Art von Zuſammenkuͤnften iſt nicht zu denken. So iſt die Phyſiognomie des geſelligen oder vielmehr des ungeſelligen Lebens in Pera waͤhrend der Peſt, und ich glaube, daß Du meiner Meinung ſein wirſt, daß die Gefahr zwar ſehr viel geringer, die Unannehmlich- keit aber weit groͤßer iſt, als man es in Laͤndern glaubt, die jene Plage nicht kennen. Jn dieſem Briefe iſt ſo viel von der Peſt die Rede geweſen, daß ich denke, man wird ihn an der Grenze ganz beſonders durchraͤuchern muͤſſen. 27. Ueber Quarantainen in der Tuͤrkei. Konſtantinopel, den 27. Februar 1837. Die furchtbare Peſt, welche in dieſem Augenblick Kon- ſtantinopel verheert, hat den Wunſch der Regierung erzeugt, einem ſo großen Ungluͤck abzuhelfen. Man hat vorgeſchlagen, die Stadt mit Quarantaine- Linien zu umgeben, wie die, welche Europa gegen jene Seuche ſchuͤtzen. Je mehr man indeß uͤber den Gegenſtand nach- denkt, je weniger kann man ſich der Ueberzeugung entſchla- gen, daß bloße Quarantainen durchaus unanwendbar, und daß das Heilmittel ſchlimmer als das Uebel ſelbſt ſein wuͤrde.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/129>, abgerufen am 21.11.2024.