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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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so wenig kann man die Hauptstadt eines Reichs vom Reiche
selbst scheiden.

Die Quarantainen werden die Pest nicht ersticken, sie
werden aber ein anderes, sehr großes Uebel herbeiführen.
Eine Stadt, die mehr als eine halbe Million Einwohner
umfaßt, bedarf natürlich einer ungeheueren Zufuhr; unter-
werft ihr diese einer noch so kurzen Quarantaine, so wer-
den die Preise augenblicklich steigen, nicht nur die der Baum-
wolle, der Seide und der Fabrikate, sondern auch die des
Brennholzes, des Korns, des Oels und des Salzes; denn
obgleich diese Dinge selbst der Ansteckung nicht unterwor-
fen, so sind es doch die Schiffe, die Wagen und die Men-
schen, welche sie herbeiführen. Wenn ihr den Kaufmann
nöthigt, acht oder vierzehn Tage länger unterweges zu sein,
so kann er euch seine Waaren nicht mehr für dieselbe Summe
lassen, und eben so wenig eure Erzeugnisse zu derselben Summe
annehmen. Alles, was ihr braucht, wird theurer werden;
was ihr abgeben könnt, im Preise sinken. Die Quaran-
taine wird kostbar, nicht nur, weil man Häuser errichten,
Beamte und Wachen besolden muß, sondern weil sie einer
Steuer gleichzusetzen ist, welche auf die unentbehrlichsten
Bedürfnisse geschlagen, und wesentlich von der untersten
Volksklasse getragen werden wird.

Das Mittel der Quarantaine ist nicht ausreichend,
es ist nachtheilig und zugleich unausführbar. Man
kann das Jnteresse des Landes nicht dem Jnteresse der
Stadt opfern, ohne das lebhafteste Mißvergnügen zu wek-
ken, und in keinem Staat kann man weniger, als in die-
sem, die Hauptstadt von der Provinz trennen. Die Qua-
rantaine ist nirgends ein Heilmittel, sondern nur eine Vor-
kehr gegen die Pest, und diese Vorkehr ist auf die Türkei
nicht anwendbar. Hier muß man bis zu dem Ursprunge
des Uebels hinaufsteigen, um seine Quelle zu verstopfen.

Nach meiner Ueberzeugung kann das Ziel nur durch
eine wohleingerichtete und streng gehandhabte Gesundheits-
polizei erreicht werden. Jndem ich diese Maaßregel vor-

ſo wenig kann man die Hauptſtadt eines Reichs vom Reiche
ſelbſt ſcheiden.

Die Quarantainen werden die Peſt nicht erſticken, ſie
werden aber ein anderes, ſehr großes Uebel herbeifuͤhren.
Eine Stadt, die mehr als eine halbe Million Einwohner
umfaßt, bedarf natuͤrlich einer ungeheueren Zufuhr; unter-
werft ihr dieſe einer noch ſo kurzen Quarantaine, ſo wer-
den die Preiſe augenblicklich ſteigen, nicht nur die der Baum-
wolle, der Seide und der Fabrikate, ſondern auch die des
Brennholzes, des Korns, des Oels und des Salzes; denn
obgleich dieſe Dinge ſelbſt der Anſteckung nicht unterwor-
fen, ſo ſind es doch die Schiffe, die Wagen und die Men-
ſchen, welche ſie herbeifuͤhren. Wenn ihr den Kaufmann
noͤthigt, acht oder vierzehn Tage laͤnger unterweges zu ſein,
ſo kann er euch ſeine Waaren nicht mehr fuͤr dieſelbe Summe
laſſen, und eben ſo wenig eure Erzeugniſſe zu derſelben Summe
annehmen. Alles, was ihr braucht, wird theurer werden;
was ihr abgeben koͤnnt, im Preiſe ſinken. Die Quaran-
taine wird koſtbar, nicht nur, weil man Haͤuſer errichten,
Beamte und Wachen beſolden muß, ſondern weil ſie einer
Steuer gleichzuſetzen iſt, welche auf die unentbehrlichſten
Beduͤrfniſſe geſchlagen, und weſentlich von der unterſten
Volksklaſſe getragen werden wird.

Das Mittel der Quarantaine iſt nicht ausreichend,
es iſt nachtheilig und zugleich unausfuͤhrbar. Man
kann das Jntereſſe des Landes nicht dem Jntereſſe der
Stadt opfern, ohne das lebhafteſte Mißvergnuͤgen zu wek-
ken, und in keinem Staat kann man weniger, als in die-
ſem, die Hauptſtadt von der Provinz trennen. Die Qua-
rantaine iſt nirgends ein Heilmittel, ſondern nur eine Vor-
kehr gegen die Peſt, und dieſe Vorkehr iſt auf die Tuͤrkei
nicht anwendbar. Hier muß man bis zu dem Urſprunge
des Uebels hinaufſteigen, um ſeine Quelle zu verſtopfen.

Nach meiner Ueberzeugung kann das Ziel nur durch
eine wohleingerichtete und ſtreng gehandhabte Geſundheits-
polizei erreicht werden. Jndem ich dieſe Maaßregel vor-

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[121/0131] ſo wenig kann man die Hauptſtadt eines Reichs vom Reiche ſelbſt ſcheiden. Die Quarantainen werden die Peſt nicht erſticken, ſie werden aber ein anderes, ſehr großes Uebel herbeifuͤhren. Eine Stadt, die mehr als eine halbe Million Einwohner umfaßt, bedarf natuͤrlich einer ungeheueren Zufuhr; unter- werft ihr dieſe einer noch ſo kurzen Quarantaine, ſo wer- den die Preiſe augenblicklich ſteigen, nicht nur die der Baum- wolle, der Seide und der Fabrikate, ſondern auch die des Brennholzes, des Korns, des Oels und des Salzes; denn obgleich dieſe Dinge ſelbſt der Anſteckung nicht unterwor- fen, ſo ſind es doch die Schiffe, die Wagen und die Men- ſchen, welche ſie herbeifuͤhren. Wenn ihr den Kaufmann noͤthigt, acht oder vierzehn Tage laͤnger unterweges zu ſein, ſo kann er euch ſeine Waaren nicht mehr fuͤr dieſelbe Summe laſſen, und eben ſo wenig eure Erzeugniſſe zu derſelben Summe annehmen. Alles, was ihr braucht, wird theurer werden; was ihr abgeben koͤnnt, im Preiſe ſinken. Die Quaran- taine wird koſtbar, nicht nur, weil man Haͤuſer errichten, Beamte und Wachen beſolden muß, ſondern weil ſie einer Steuer gleichzuſetzen iſt, welche auf die unentbehrlichſten Beduͤrfniſſe geſchlagen, und weſentlich von der unterſten Volksklaſſe getragen werden wird. Das Mittel der Quarantaine iſt nicht ausreichend, es iſt nachtheilig und zugleich unausfuͤhrbar. Man kann das Jntereſſe des Landes nicht dem Jntereſſe der Stadt opfern, ohne das lebhafteſte Mißvergnuͤgen zu wek- ken, und in keinem Staat kann man weniger, als in die- ſem, die Hauptſtadt von der Provinz trennen. Die Qua- rantaine iſt nirgends ein Heilmittel, ſondern nur eine Vor- kehr gegen die Peſt, und dieſe Vorkehr iſt auf die Tuͤrkei nicht anwendbar. Hier muß man bis zu dem Urſprunge des Uebels hinaufſteigen, um ſeine Quelle zu verſtopfen. Nach meiner Ueberzeugung kann das Ziel nur durch eine wohleingerichtete und ſtreng gehandhabte Geſundheits- polizei erreicht werden. Jndem ich dieſe Maaßregel vor-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/131>, abgerufen am 21.11.2024.