herrenlos durch das Feld. Wir ritten an einer Donau- insel vorüber, auf welcher Mutterstuten weideten; als sie unsern Zug nahen sahen, fingen sie an zu wiehern, einige der Füllen stürzten sich ins Wasser, um hinüber zu schwim- men. Die Enten schreckten auf aus dem Schilf und eine Schaar wilder Schwäne, mit schwerem Flug sich erhebend, schlugen Reihen von Kreisen auf dem glatten Spiegel des Wassers. Das Ganze glich einem Everdingschen oder Ruis- daelschen Landschaftsgemälde.
Unten an der Donau wird die Gegend überhaupt an- ziehender, die Jnseln sind mit dichtem Weidengesträuch be- wachsen; die Nebenarme des Stroms gleichen Seen, und endlich erweitert sich die Niederung zu einem zehn Meilen breiten Meere von Schilf, in welchem man große Seeschiffe einherziehen sieht. Kaum erblickt man noch jenseits das steile weiße Ufer von Bessarabien.
Jn diese öde Gegenwart ragen die Trümmer einer fast zweitausendjährigen Vergangenheit hinein. Auch hier sind es die Römer, welche ihren Namen mit unverlöschlichen Zügen dem Erdboden eingegraben haben. Der doppelte, an einigen Stellen dreifache Wall, welchen Kaiser Tra- jan von Czernawoda (oder Bogaskjöi) an der Donau hin- ter der Seereihe von Karasu weg, nach Küstendsche, dem alten Constantiana, am schwarzen Meer zog, ist überall noch 8 bis 10 Fuß hoch erhalten; nach Außen ist der Graben eingeschnitten, und nach Jnnen liegen große behauene Steine, welche eine mächtige Mauer gebildet zu haben scheinen; der westliche Theil dieser Verschanzung hat die Seen und das sumpfige Thal von Karasu wie einen Festungsgraben dicht vor sich, von dem Dorfe Burlak östlich aber setzt der äu- ßere Wall über die Thalsenkung hinüber, und ist überhaupt fast ohne alle Rücksicht auf das Terrain geführt; der in- nere, südliche Wall zieht in ungleichem Abstand von 100 bis 2000 Schritt hinter dem vorigen hin. Von Entfer- nung zu Entfernung rückwärts findet man die Spur der
herrenlos durch das Feld. Wir ritten an einer Donau- inſel voruͤber, auf welcher Mutterſtuten weideten; als ſie unſern Zug nahen ſahen, fingen ſie an zu wiehern, einige der Fuͤllen ſtuͤrzten ſich ins Waſſer, um hinuͤber zu ſchwim- men. Die Enten ſchreckten auf aus dem Schilf und eine Schaar wilder Schwaͤne, mit ſchwerem Flug ſich erhebend, ſchlugen Reihen von Kreiſen auf dem glatten Spiegel des Waſſers. Das Ganze glich einem Everdingſchen oder Ruis- daëlſchen Landſchaftsgemaͤlde.
Unten an der Donau wird die Gegend uͤberhaupt an- ziehender, die Jnſeln ſind mit dichtem Weidengeſtraͤuch be- wachſen; die Nebenarme des Stroms gleichen Seen, und endlich erweitert ſich die Niederung zu einem zehn Meilen breiten Meere von Schilf, in welchem man große Seeſchiffe einherziehen ſieht. Kaum erblickt man noch jenſeits das ſteile weiße Ufer von Beſſarabien.
Jn dieſe oͤde Gegenwart ragen die Truͤmmer einer faſt zweitauſendjaͤhrigen Vergangenheit hinein. Auch hier ſind es die Roͤmer, welche ihren Namen mit unverloͤſchlichen Zuͤgen dem Erdboden eingegraben haben. Der doppelte, an einigen Stellen dreifache Wall, welchen Kaiſer Tra- jan von Czernawoda (oder Bogaskjoͤi) an der Donau hin- ter der Seereihe von Karaſu weg, nach Kuͤſtendſche, dem alten Conſtantiana, am ſchwarzen Meer zog, iſt uͤberall noch 8 bis 10 Fuß hoch erhalten; nach Außen iſt der Graben eingeſchnitten, und nach Jnnen liegen große behauene Steine, welche eine maͤchtige Mauer gebildet zu haben ſcheinen; der weſtliche Theil dieſer Verſchanzung hat die Seen und das ſumpfige Thal von Karaſu wie einen Feſtungsgraben dicht vor ſich, von dem Dorfe Burlak oͤſtlich aber ſetzt der aͤu- ßere Wall uͤber die Thalſenkung hinuͤber, und iſt uͤberhaupt faſt ohne alle Ruͤckſicht auf das Terrain gefuͤhrt; der in- nere, ſuͤdliche Wall zieht in ungleichem Abſtand von 100 bis 2000 Schritt hinter dem vorigen hin. Von Entfer- nung zu Entfernung ruͤckwaͤrts findet man die Spur der
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0174"n="164"/>
herrenlos durch das Feld. Wir ritten an einer Donau-<lb/>
inſel voruͤber, auf welcher Mutterſtuten weideten; als ſie<lb/>
unſern Zug nahen ſahen, fingen ſie an zu wiehern, einige<lb/>
der Fuͤllen ſtuͤrzten ſich ins Waſſer, um hinuͤber zu ſchwim-<lb/>
men. Die Enten ſchreckten auf aus dem Schilf und eine<lb/>
Schaar wilder Schwaͤne, mit ſchwerem Flug ſich erhebend,<lb/>ſchlugen Reihen von Kreiſen auf dem glatten Spiegel des<lb/>
Waſſers. Das Ganze glich einem Everdingſchen oder Ruis-<lb/>
da<hirendition="#aq">ë</hi>lſchen Landſchaftsgemaͤlde.</p><lb/><p>Unten an der Donau wird die Gegend uͤberhaupt an-<lb/>
ziehender, die Jnſeln ſind mit dichtem Weidengeſtraͤuch be-<lb/>
wachſen; die Nebenarme des Stroms gleichen Seen, und<lb/>
endlich erweitert ſich die Niederung zu einem zehn Meilen<lb/>
breiten Meere von Schilf, in welchem man große Seeſchiffe<lb/>
einherziehen ſieht. Kaum erblickt man noch jenſeits das<lb/>ſteile weiße Ufer von Beſſarabien.</p><lb/><p>Jn dieſe oͤde Gegenwart ragen die Truͤmmer einer faſt<lb/>
zweitauſendjaͤhrigen Vergangenheit hinein. Auch hier ſind<lb/>
es die Roͤmer, welche ihren Namen mit unverloͤſchlichen<lb/>
Zuͤgen dem Erdboden eingegraben haben. Der doppelte,<lb/>
an einigen Stellen dreifache Wall, welchen Kaiſer <hirendition="#g">Tra-<lb/>
jan</hi> von Czernawoda (oder Bogaskjoͤi) an der Donau hin-<lb/>
ter der Seereihe von Karaſu weg, nach Kuͤſtendſche, dem<lb/>
alten Conſtantiana, am ſchwarzen Meer zog, iſt uͤberall noch<lb/>
8 bis 10 Fuß hoch erhalten; nach Außen iſt der Graben<lb/>
eingeſchnitten, und nach Jnnen liegen große behauene Steine,<lb/>
welche eine maͤchtige Mauer gebildet zu haben ſcheinen; der<lb/>
weſtliche Theil dieſer Verſchanzung hat die Seen und das<lb/>ſumpfige Thal von Karaſu wie einen Feſtungsgraben dicht<lb/>
vor ſich, von dem Dorfe Burlak oͤſtlich aber ſetzt der aͤu-<lb/>
ßere Wall uͤber die Thalſenkung hinuͤber, und iſt uͤberhaupt<lb/>
faſt ohne alle Ruͤckſicht auf das Terrain gefuͤhrt; der in-<lb/>
nere, ſuͤdliche Wall zieht in ungleichem Abſtand von 100<lb/>
bis 2000 Schritt hinter dem vorigen hin. Von Entfer-<lb/>
nung zu Entfernung ruͤckwaͤrts findet man die Spur der<lb/></p></div></body></text></TEI>
[164/0174]
herrenlos durch das Feld. Wir ritten an einer Donau-
inſel voruͤber, auf welcher Mutterſtuten weideten; als ſie
unſern Zug nahen ſahen, fingen ſie an zu wiehern, einige
der Fuͤllen ſtuͤrzten ſich ins Waſſer, um hinuͤber zu ſchwim-
men. Die Enten ſchreckten auf aus dem Schilf und eine
Schaar wilder Schwaͤne, mit ſchwerem Flug ſich erhebend,
ſchlugen Reihen von Kreiſen auf dem glatten Spiegel des
Waſſers. Das Ganze glich einem Everdingſchen oder Ruis-
daëlſchen Landſchaftsgemaͤlde.
Unten an der Donau wird die Gegend uͤberhaupt an-
ziehender, die Jnſeln ſind mit dichtem Weidengeſtraͤuch be-
wachſen; die Nebenarme des Stroms gleichen Seen, und
endlich erweitert ſich die Niederung zu einem zehn Meilen
breiten Meere von Schilf, in welchem man große Seeſchiffe
einherziehen ſieht. Kaum erblickt man noch jenſeits das
ſteile weiße Ufer von Beſſarabien.
Jn dieſe oͤde Gegenwart ragen die Truͤmmer einer faſt
zweitauſendjaͤhrigen Vergangenheit hinein. Auch hier ſind
es die Roͤmer, welche ihren Namen mit unverloͤſchlichen
Zuͤgen dem Erdboden eingegraben haben. Der doppelte,
an einigen Stellen dreifache Wall, welchen Kaiſer Tra-
jan von Czernawoda (oder Bogaskjoͤi) an der Donau hin-
ter der Seereihe von Karaſu weg, nach Kuͤſtendſche, dem
alten Conſtantiana, am ſchwarzen Meer zog, iſt uͤberall noch
8 bis 10 Fuß hoch erhalten; nach Außen iſt der Graben
eingeſchnitten, und nach Jnnen liegen große behauene Steine,
welche eine maͤchtige Mauer gebildet zu haben ſcheinen; der
weſtliche Theil dieſer Verſchanzung hat die Seen und das
ſumpfige Thal von Karaſu wie einen Feſtungsgraben dicht
vor ſich, von dem Dorfe Burlak oͤſtlich aber ſetzt der aͤu-
ßere Wall uͤber die Thalſenkung hinuͤber, und iſt uͤberhaupt
faſt ohne alle Ruͤckſicht auf das Terrain gefuͤhrt; der in-
nere, ſuͤdliche Wall zieht in ungleichem Abſtand von 100
bis 2000 Schritt hinter dem vorigen hin. Von Entfer-
nung zu Entfernung ruͤckwaͤrts findet man die Spur der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/174>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.