300 großen Thürmen geschlossen. Die Stadtmauer, welche Theodosius errichtete, wurde 447 von einem großen Erd- beben niedergeworfen. Der Präfekt Cyrus leitete den Wie- deraufbau mit solcher Thätigkeit, daß in drei Monaten das Werk vollendet war. Die Parthei der Blauen arbeitete von der Seite des Hafens, die Grünen vom Propontis her; sie begegneten sich am Thore von Adrianopel, welches daher den Namen Polyandros erhielt, das Thor der vie- len Männer. Das Viertel Blachernä wurde erst unter Kaiser Heraklius der Stadt einverleibt, und daher schreibt sich wohl die Verschiedenheit in der Bauart des südlichen und nördlichen Theils der Mauer an der Landfront. Von den Siebenthürmen bis Tekfur-Seraj ist die Umwallung doppelt; die Hauptmauer ist 30 bis 40 Fuß hoch und hat eine obere Stärke von 5 bis 8 Fuß; alle sechzig Schritte treten Thürme aus der Mauer hervor, deren Bauart ver- schieden, rund, achteckig und oft sehr zierlich ist; sie sind hoch und eng, mehr oder weniger beschädigt; von einigen liegen große Stücke unzertrümmert an der Erde und dich- tes Epheu überrankt das alte Gemäuer. Aber eine eigent- liche Bresche habe ich nirgends gefunden, selbst nicht in der Thalsenkung des kleinen, von Ramis-Tschiftlik kommen- den Baches, wo der Angriff der Türken statt fand und die Mauern am stärksten beschädigt sind. Die Länge der Zeit hat Mörtel und Steine zu einer einzigen festen Masse ver- eint, in welche eine Bresche zu legen sehr schwer sein würde. Die Mauer ist aus weiter Ferne sichtbar, aber wenn man auf Schußweite heran kommt, wird sie durch einen breiten Cypressenwald verdeckt, welcher die Begräbnißplätze über- schattet. -- Vor der Hauptmauer zieht sich eine niedrige mit kleinen Thürmen, und um diese ein trockener Graben mit gemauerter Escarpe und Contrescarpe.
Der nördliche Theil der Befestigung hingegen, welcher vorspringend sich dem Hafen anschließt, zeigt nur eine ein- zige Mauer ohne Graben. Die Thürme sind groß und ge- räumig, die Mauer äußerst schön gebaut und vollkommen
300 großen Thuͤrmen geſchloſſen. Die Stadtmauer, welche Theodoſius errichtete, wurde 447 von einem großen Erd- beben niedergeworfen. Der Praͤfekt Cyrus leitete den Wie- deraufbau mit ſolcher Thaͤtigkeit, daß in drei Monaten das Werk vollendet war. Die Parthei der Blauen arbeitete von der Seite des Hafens, die Gruͤnen vom Propontis her; ſie begegneten ſich am Thore von Adrianopel, welches daher den Namen Polyandros erhielt, das Thor der vie- len Maͤnner. Das Viertel Blachernaͤ wurde erſt unter Kaiſer Heraklius der Stadt einverleibt, und daher ſchreibt ſich wohl die Verſchiedenheit in der Bauart des ſuͤdlichen und noͤrdlichen Theils der Mauer an der Landfront. Von den Siebenthuͤrmen bis Tekfur-Seraj iſt die Umwallung doppelt; die Hauptmauer iſt 30 bis 40 Fuß hoch und hat eine obere Staͤrke von 5 bis 8 Fuß; alle ſechzig Schritte treten Thuͤrme aus der Mauer hervor, deren Bauart ver- ſchieden, rund, achteckig und oft ſehr zierlich iſt; ſie ſind hoch und eng, mehr oder weniger beſchaͤdigt; von einigen liegen große Stuͤcke unzertruͤmmert an der Erde und dich- tes Epheu uͤberrankt das alte Gemaͤuer. Aber eine eigent- liche Breſche habe ich nirgends gefunden, ſelbſt nicht in der Thalſenkung des kleinen, von Ramis-Tſchiftlik kommen- den Baches, wo der Angriff der Tuͤrken ſtatt fand und die Mauern am ſtaͤrkſten beſchaͤdigt ſind. Die Laͤnge der Zeit hat Moͤrtel und Steine zu einer einzigen feſten Maſſe ver- eint, in welche eine Breſche zu legen ſehr ſchwer ſein wuͤrde. Die Mauer iſt aus weiter Ferne ſichtbar, aber wenn man auf Schußweite heran kommt, wird ſie durch einen breiten Cypreſſenwald verdeckt, welcher die Begraͤbnißplaͤtze uͤber- ſchattet. — Vor der Hauptmauer zieht ſich eine niedrige mit kleinen Thuͤrmen, und um dieſe ein trockener Graben mit gemauerter Escarpe und Contrescarpe.
Der noͤrdliche Theil der Befeſtigung hingegen, welcher vorſpringend ſich dem Hafen anſchließt, zeigt nur eine ein- zige Mauer ohne Graben. Die Thuͤrme ſind groß und ge- raͤumig, die Mauer aͤußerſt ſchoͤn gebaut und vollkommen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0195"n="185"/>
300 großen Thuͤrmen geſchloſſen. Die Stadtmauer, welche<lb/>
Theodoſius errichtete, wurde 447 von einem großen Erd-<lb/>
beben niedergeworfen. Der Praͤfekt Cyrus leitete den Wie-<lb/>
deraufbau mit ſolcher Thaͤtigkeit, daß in drei Monaten das<lb/>
Werk vollendet war. Die Parthei der Blauen arbeitete<lb/>
von der Seite des Hafens, die Gruͤnen vom Propontis<lb/>
her; ſie begegneten ſich am Thore von Adrianopel, welches<lb/>
daher den Namen Polyandros erhielt, das Thor der vie-<lb/>
len Maͤnner. Das Viertel Blachernaͤ wurde erſt unter<lb/>
Kaiſer Heraklius der Stadt einverleibt, und daher ſchreibt<lb/>ſich wohl die Verſchiedenheit in der Bauart des ſuͤdlichen<lb/>
und noͤrdlichen Theils der Mauer an der Landfront. Von<lb/>
den Siebenthuͤrmen bis Tekfur-Seraj iſt die Umwallung<lb/>
doppelt; die Hauptmauer iſt 30 bis 40 Fuß hoch und hat<lb/>
eine obere Staͤrke von 5 bis 8 Fuß; alle ſechzig Schritte<lb/>
treten Thuͤrme aus der Mauer hervor, deren Bauart ver-<lb/>ſchieden, rund, achteckig und oft ſehr zierlich iſt; ſie ſind<lb/>
hoch und eng, mehr oder weniger beſchaͤdigt; von einigen<lb/>
liegen große Stuͤcke unzertruͤmmert an der Erde und dich-<lb/>
tes Epheu uͤberrankt das alte Gemaͤuer. Aber eine eigent-<lb/>
liche Breſche habe ich nirgends gefunden, ſelbſt nicht in<lb/>
der Thalſenkung des kleinen, von Ramis-Tſchiftlik kommen-<lb/>
den Baches, wo der Angriff der Tuͤrken ſtatt fand und die<lb/>
Mauern am ſtaͤrkſten beſchaͤdigt ſind. Die Laͤnge der Zeit<lb/>
hat Moͤrtel und Steine zu einer einzigen feſten Maſſe ver-<lb/>
eint, in welche eine Breſche zu legen ſehr ſchwer ſein wuͤrde.<lb/>
Die Mauer iſt aus weiter Ferne ſichtbar, aber wenn man<lb/>
auf Schußweite heran kommt, wird ſie durch einen breiten<lb/>
Cypreſſenwald verdeckt, welcher die Begraͤbnißplaͤtze uͤber-<lb/>ſchattet. — Vor der Hauptmauer zieht ſich eine niedrige<lb/>
mit kleinen Thuͤrmen, und um dieſe ein trockener Graben<lb/>
mit gemauerter Escarpe und Contrescarpe.</p><lb/><p>Der noͤrdliche Theil der Befeſtigung hingegen, welcher<lb/>
vorſpringend ſich dem Hafen anſchließt, zeigt nur eine ein-<lb/>
zige Mauer ohne Graben. Die Thuͤrme ſind groß und ge-<lb/>
raͤumig, die Mauer aͤußerſt ſchoͤn gebaut und vollkommen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[185/0195]
300 großen Thuͤrmen geſchloſſen. Die Stadtmauer, welche
Theodoſius errichtete, wurde 447 von einem großen Erd-
beben niedergeworfen. Der Praͤfekt Cyrus leitete den Wie-
deraufbau mit ſolcher Thaͤtigkeit, daß in drei Monaten das
Werk vollendet war. Die Parthei der Blauen arbeitete
von der Seite des Hafens, die Gruͤnen vom Propontis
her; ſie begegneten ſich am Thore von Adrianopel, welches
daher den Namen Polyandros erhielt, das Thor der vie-
len Maͤnner. Das Viertel Blachernaͤ wurde erſt unter
Kaiſer Heraklius der Stadt einverleibt, und daher ſchreibt
ſich wohl die Verſchiedenheit in der Bauart des ſuͤdlichen
und noͤrdlichen Theils der Mauer an der Landfront. Von
den Siebenthuͤrmen bis Tekfur-Seraj iſt die Umwallung
doppelt; die Hauptmauer iſt 30 bis 40 Fuß hoch und hat
eine obere Staͤrke von 5 bis 8 Fuß; alle ſechzig Schritte
treten Thuͤrme aus der Mauer hervor, deren Bauart ver-
ſchieden, rund, achteckig und oft ſehr zierlich iſt; ſie ſind
hoch und eng, mehr oder weniger beſchaͤdigt; von einigen
liegen große Stuͤcke unzertruͤmmert an der Erde und dich-
tes Epheu uͤberrankt das alte Gemaͤuer. Aber eine eigent-
liche Breſche habe ich nirgends gefunden, ſelbſt nicht in
der Thalſenkung des kleinen, von Ramis-Tſchiftlik kommen-
den Baches, wo der Angriff der Tuͤrken ſtatt fand und die
Mauern am ſtaͤrkſten beſchaͤdigt ſind. Die Laͤnge der Zeit
hat Moͤrtel und Steine zu einer einzigen feſten Maſſe ver-
eint, in welche eine Breſche zu legen ſehr ſchwer ſein wuͤrde.
Die Mauer iſt aus weiter Ferne ſichtbar, aber wenn man
auf Schußweite heran kommt, wird ſie durch einen breiten
Cypreſſenwald verdeckt, welcher die Begraͤbnißplaͤtze uͤber-
ſchattet. — Vor der Hauptmauer zieht ſich eine niedrige
mit kleinen Thuͤrmen, und um dieſe ein trockener Graben
mit gemauerter Escarpe und Contrescarpe.
Der noͤrdliche Theil der Befeſtigung hingegen, welcher
vorſpringend ſich dem Hafen anſchließt, zeigt nur eine ein-
zige Mauer ohne Graben. Die Thuͤrme ſind groß und ge-
raͤumig, die Mauer aͤußerſt ſchoͤn gebaut und vollkommen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/195>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.