arbeiten, da der ganze Pfad staffelförmig ausgetreten war. Erst spät erreichten wir Jeni-hann, und am gestrigen Nach- mittag Siwas nach einem höchst beschwerlichen Marsch im Schritt.
Wenn man bedenkt, daß wir uns in der Mitte März und unterm 41sten Breitengrade befinden, so sollte man eine solche Winterlandschaft nicht erwarten; das weite, frucht- bare aber wenig angebaute Thal des Kisil-Jrmak, so wie die nahen Hügel und fernen Berge sind dicht mit Schnee überlagert, so weit das Auge reicht; nur schroffe Felspar- thien lösen sich aus der einförmig weißen Decke ab, denn Bäume giebt es nicht. Jn der Mitte dieser Oede liegt Siwas von stattlichem Ansehn, mit Kuppeln, Minarehs und alten Thürmen, eine Citadelle auf einem Hügel, eine zweite mitten in der Stadt. Die Häuser haben statt der Dächer flache Erddecken.
Aber so viel Schmutz habe ich noch nie beisammen ge- sehen, wie hier; der Schnee liegt 10 Fuß tief in den Stra- ßen, und kaum hat man an einer Seite einen engen Gang gebahnt, in den die Pferde bis an die Gurte einsinken. Wie überhaupt unsere Packpferde von Tokat aus, wenige Stunden nach uns, haben ankommen können, ist fast nicht zu begreifen. Heute früh, da wir doch einmal nicht wei- ter konnten, besahen wir die merkwürdigen Ruinen in der untern Citadelle; nie, auch in keiner gothischen Kirche, habe ich solchen Reichthum an Skulptur gesehen, wie in der Facade der dortigen Moschee; jeder Stein ist kunstvoll ge- schnitten. Das Portal ist Alles, was man Zierliches, Pracht- und Geschmackvolles sehen kann; Blumengewinde, Blätter und Arabesken bedecken jede Fläche, und doch macht das Ganze einen höchst harmonischen Eindruck. Die Leute sagen, es sei persische Arbeit; sie mag wohl noch vor der Zeit der Seldschucken ausgeführt sein, und mit den schö- nen Gebäuden des südlichen Spaniens gleichen Ursprung haben. Auch ein Tekie oder Derwisch-Kloster sahen wir, neben welchem sich ein sehr sehenswerther runder Thurm
arbeiten, da der ganze Pfad ſtaffelfoͤrmig ausgetreten war. Erſt ſpaͤt erreichten wir Jeni-hann, und am geſtrigen Nach- mittag Siwas nach einem hoͤchſt beſchwerlichen Marſch im Schritt.
Wenn man bedenkt, daß wir uns in der Mitte Maͤrz und unterm 41ſten Breitengrade befinden, ſo ſollte man eine ſolche Winterlandſchaft nicht erwarten; das weite, frucht- bare aber wenig angebaute Thal des Kiſil-Jrmak, ſo wie die nahen Huͤgel und fernen Berge ſind dicht mit Schnee uͤberlagert, ſo weit das Auge reicht; nur ſchroffe Felspar- thien loͤſen ſich aus der einfoͤrmig weißen Decke ab, denn Baͤume giebt es nicht. Jn der Mitte dieſer Oede liegt Siwas von ſtattlichem Anſehn, mit Kuppeln, Minarehs und alten Thuͤrmen, eine Citadelle auf einem Huͤgel, eine zweite mitten in der Stadt. Die Haͤuſer haben ſtatt der Daͤcher flache Erddecken.
Aber ſo viel Schmutz habe ich noch nie beiſammen ge- ſehen, wie hier; der Schnee liegt 10 Fuß tief in den Stra- ßen, und kaum hat man an einer Seite einen engen Gang gebahnt, in den die Pferde bis an die Gurte einſinken. Wie uͤberhaupt unſere Packpferde von Tokat aus, wenige Stunden nach uns, haben ankommen koͤnnen, iſt faſt nicht zu begreifen. Heute fruͤh, da wir doch einmal nicht wei- ter konnten, beſahen wir die merkwuͤrdigen Ruinen in der untern Citadelle; nie, auch in keiner gothiſchen Kirche, habe ich ſolchen Reichthum an Skulptur geſehen, wie in der Façade der dortigen Moſchee; jeder Stein iſt kunſtvoll ge- ſchnitten. Das Portal iſt Alles, was man Zierliches, Pracht- und Geſchmackvolles ſehen kann; Blumengewinde, Blaͤtter und Arabesken bedecken jede Flaͤche, und doch macht das Ganze einen hoͤchſt harmoniſchen Eindruck. Die Leute ſagen, es ſei perſiſche Arbeit; ſie mag wohl noch vor der Zeit der Seldſchucken ausgefuͤhrt ſein, und mit den ſchoͤ- nen Gebaͤuden des ſuͤdlichen Spaniens gleichen Urſprung haben. Auch ein Tekie oder Derwiſch-Kloſter ſahen wir, neben welchem ſich ein ſehr ſehenswerther runder Thurm
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arbeiten, da der ganze Pfad ſtaffelfoͤrmig ausgetreten war.
Erſt ſpaͤt erreichten wir Jeni-hann, und am geſtrigen Nach-
mittag Siwas nach einem hoͤchſt beſchwerlichen Marſch im
Schritt.
Wenn man bedenkt, daß wir uns in der Mitte Maͤrz
und unterm 41ſten Breitengrade befinden, ſo ſollte man eine
ſolche Winterlandſchaft nicht erwarten; das weite, frucht-
bare aber wenig angebaute Thal des Kiſil-Jrmak, ſo wie
die nahen Huͤgel und fernen Berge ſind dicht mit Schnee
uͤberlagert, ſo weit das Auge reicht; nur ſchroffe Felspar-
thien loͤſen ſich aus der einfoͤrmig weißen Decke ab, denn
Baͤume giebt es nicht. Jn der Mitte dieſer Oede liegt
Siwas von ſtattlichem Anſehn, mit Kuppeln, Minarehs
und alten Thuͤrmen, eine Citadelle auf einem Huͤgel, eine
zweite mitten in der Stadt. Die Haͤuſer haben ſtatt der
Daͤcher flache Erddecken.
Aber ſo viel Schmutz habe ich noch nie beiſammen ge-
ſehen, wie hier; der Schnee liegt 10 Fuß tief in den Stra-
ßen, und kaum hat man an einer Seite einen engen Gang
gebahnt, in den die Pferde bis an die Gurte einſinken.
Wie uͤberhaupt unſere Packpferde von Tokat aus, wenige
Stunden nach uns, haben ankommen koͤnnen, iſt faſt nicht
zu begreifen. Heute fruͤh, da wir doch einmal nicht wei-
ter konnten, beſahen wir die merkwuͤrdigen Ruinen in der
untern Citadelle; nie, auch in keiner gothiſchen Kirche, habe
ich ſolchen Reichthum an Skulptur geſehen, wie in der
Façade der dortigen Moſchee; jeder Stein iſt kunſtvoll ge-
ſchnitten. Das Portal iſt Alles, was man Zierliches,
Pracht- und Geſchmackvolles ſehen kann; Blumengewinde,
Blaͤtter und Arabesken bedecken jede Flaͤche, und doch macht
das Ganze einen hoͤchſt harmoniſchen Eindruck. Die Leute
ſagen, es ſei perſiſche Arbeit; ſie mag wohl noch vor der
Zeit der Seldſchucken ausgefuͤhrt ſein, und mit den ſchoͤ-
nen Gebaͤuden des ſuͤdlichen Spaniens gleichen Urſprung
haben. Auch ein Tekie oder Derwiſch-Kloſter ſahen wir,
neben welchem ſich ein ſehr ſehenswerther runder Thurm
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/218>, abgerufen am 27.11.2024.
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