Wir bemerkten das Fundament eines festen Schlosses, welches irgend ein Dere-Bey oder Thalfürst erbaut, um den Paß in seiner Gewalt zu haben. Reschid Pascha aber setzte dort einen Ayan ein, der, eine Art Markgraf, die Sicherheit der Straße zu bewahren hat. Wir fanden nach dem mühsamen Ritt die erfreulichste Aufnahme bei ihm; ein mächtiges Feuer prasselte im Kamin, die Decke des weiten Zimmers war mit dichten Fichtenstämmen gedeckt, auf welche Erde gestampft wird und die das Dach vertre- ten; den Fußboden aber bedeckten saubere Teppiche; dünne hölzerne Säulen trennten den mittleren Raum für die vor- nehmern Gäste von der Estrade für die Dienerschaft. Be- haglich streckten wir uns auf die Polster, und bald erschien die große blecherne Scheibe, auf welcher die zahlreichen Schüsseln eines türkischen Mahls aufgetragen werden; zin- nerne Schüsseln mit Glocken von demselben Metall über- deckt, hölzerne Löffel und ein sehr langes halbseidenes Hand- tuch bilden das Service der Vornehmen wie der Armen. Ein guter russischer Thee oder vielleicht der Rum in dem- selben gefiel meinen türkischen Begleitern sehr gut; der Vornehmste derselben ist der Divan-Effendi (Rathsherr) des Seraskiers, Kiamil, ein sehr artiger angenehmer Herr und angesehener Mann; der zweite ist Halil-Bey, vor- mals Oberst im Jngenieur-Corps, jetzt gar nichts, weil man, mit seiner Leistung in Varna unzufrieden, ihm seinen Nischan weggenommen und ihn zum gemeinen Soldaten gemacht hat: er spricht ganz unbefangen von dieser Sache, erklärt sie für sein Kismeth und hofft "inschallah" ein an- dermal mehr Glück zu haben; dann sind noch ein junger Jngenieur-Offizier und mehrere Offizianten mit uns, alle ganz artige Leute.
Gestern setzten wir unsern Weg über eine zehn Stun- den weite, sanft gegen Süden geneigte Hochebene fort; so weit das Auge reichte, nichts als Schneeflächen und in der Ferne hohe Gebirgsgipfel. Die Sonne funkelte auf dem Schnee, daß man fast erblindete; nirgends eine Spur von
Wir bemerkten das Fundament eines feſten Schloſſes, welches irgend ein Dere-Bey oder Thalfuͤrſt erbaut, um den Paß in ſeiner Gewalt zu haben. Reſchid Paſcha aber ſetzte dort einen Ayan ein, der, eine Art Markgraf, die Sicherheit der Straße zu bewahren hat. Wir fanden nach dem muͤhſamen Ritt die erfreulichſte Aufnahme bei ihm; ein maͤchtiges Feuer praſſelte im Kamin, die Decke des weiten Zimmers war mit dichten Fichtenſtaͤmmen gedeckt, auf welche Erde geſtampft wird und die das Dach vertre- ten; den Fußboden aber bedeckten ſaubere Teppiche; duͤnne hoͤlzerne Saͤulen trennten den mittleren Raum fuͤr die vor- nehmern Gaͤſte von der Eſtrade fuͤr die Dienerſchaft. Be- haglich ſtreckten wir uns auf die Polſter, und bald erſchien die große blecherne Scheibe, auf welcher die zahlreichen Schuͤſſeln eines tuͤrkiſchen Mahls aufgetragen werden; zin- nerne Schuͤſſeln mit Glocken von demſelben Metall uͤber- deckt, hoͤlzerne Loͤffel und ein ſehr langes halbſeidenes Hand- tuch bilden das Service der Vornehmen wie der Armen. Ein guter ruſſiſcher Thee oder vielleicht der Rum in dem- ſelben gefiel meinen tuͤrkiſchen Begleitern ſehr gut; der Vornehmſte derſelben iſt der Divan-Effendi (Rathsherr) des Seraskiers, Kiamil, ein ſehr artiger angenehmer Herr und angeſehener Mann; der zweite iſt Halil-Bey, vor- mals Oberſt im Jngenieur-Corps, jetzt gar nichts, weil man, mit ſeiner Leiſtung in Varna unzufrieden, ihm ſeinen Niſchan weggenommen und ihn zum gemeinen Soldaten gemacht hat: er ſpricht ganz unbefangen von dieſer Sache, erklaͤrt ſie fuͤr ſein Kismeth und hofft „inschallah“ ein an- dermal mehr Gluͤck zu haben; dann ſind noch ein junger Jngenieur-Offizier und mehrere Offizianten mit uns, alle ganz artige Leute.
Geſtern ſetzten wir unſern Weg uͤber eine zehn Stun- den weite, ſanft gegen Suͤden geneigte Hochebene fort; ſo weit das Auge reichte, nichts als Schneeflaͤchen und in der Ferne hohe Gebirgsgipfel. Die Sonne funkelte auf dem Schnee, daß man faſt erblindete; nirgends eine Spur von
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0220"n="210"/><p>Wir bemerkten das Fundament eines feſten Schloſſes,<lb/>
welches irgend ein Dere-Bey oder Thalfuͤrſt erbaut, um<lb/>
den Paß in ſeiner Gewalt zu haben. Reſchid Paſcha aber<lb/>ſetzte dort einen Ayan ein, der, eine Art Markgraf, die<lb/>
Sicherheit der Straße zu bewahren hat. Wir fanden nach<lb/>
dem muͤhſamen Ritt die erfreulichſte Aufnahme bei ihm;<lb/>
ein maͤchtiges Feuer praſſelte im Kamin, die Decke des<lb/>
weiten Zimmers war mit dichten Fichtenſtaͤmmen gedeckt,<lb/>
auf welche Erde geſtampft wird und die das Dach vertre-<lb/>
ten; den Fußboden aber bedeckten ſaubere Teppiche; duͤnne<lb/>
hoͤlzerne Saͤulen trennten den mittleren Raum fuͤr die vor-<lb/>
nehmern Gaͤſte von der Eſtrade fuͤr die Dienerſchaft. Be-<lb/>
haglich ſtreckten wir uns auf die Polſter, und bald erſchien<lb/>
die große blecherne Scheibe, auf welcher die zahlreichen<lb/>
Schuͤſſeln eines tuͤrkiſchen Mahls aufgetragen werden; zin-<lb/>
nerne Schuͤſſeln mit Glocken von demſelben Metall uͤber-<lb/>
deckt, hoͤlzerne Loͤffel und ein ſehr langes halbſeidenes Hand-<lb/>
tuch bilden das Service der Vornehmen wie der Armen.<lb/>
Ein guter ruſſiſcher Thee oder vielleicht der Rum in dem-<lb/>ſelben gefiel meinen tuͤrkiſchen Begleitern ſehr gut; der<lb/>
Vornehmſte derſelben iſt der Divan-Effendi (Rathsherr)<lb/>
des Seraskiers, <hirendition="#g">Kiamil</hi>, ein ſehr artiger angenehmer Herr<lb/>
und angeſehener Mann; der zweite iſt <hirendition="#g">Halil-Bey,</hi> vor-<lb/>
mals Oberſt im Jngenieur-Corps, jetzt gar nichts, weil<lb/>
man, mit ſeiner Leiſtung in Varna unzufrieden, ihm ſeinen<lb/>
Niſchan weggenommen und ihn zum gemeinen Soldaten<lb/>
gemacht hat: er ſpricht ganz unbefangen von dieſer Sache,<lb/>
erklaͤrt ſie fuͤr ſein Kismeth und hofft „<hirendition="#aq">inschallah</hi>“ ein an-<lb/>
dermal mehr Gluͤck zu haben; dann ſind noch ein junger<lb/>
Jngenieur-Offizier und mehrere Offizianten mit uns, alle<lb/>
ganz artige Leute.</p><lb/><p>Geſtern ſetzten wir unſern Weg uͤber eine zehn Stun-<lb/>
den weite, ſanft gegen Suͤden geneigte Hochebene fort; ſo<lb/>
weit das Auge reichte, nichts als Schneeflaͤchen und in<lb/>
der Ferne hohe Gebirgsgipfel. Die Sonne funkelte auf dem<lb/>
Schnee, daß man faſt erblindete; nirgends eine Spur von<lb/></p></div></body></text></TEI>
[210/0220]
Wir bemerkten das Fundament eines feſten Schloſſes,
welches irgend ein Dere-Bey oder Thalfuͤrſt erbaut, um
den Paß in ſeiner Gewalt zu haben. Reſchid Paſcha aber
ſetzte dort einen Ayan ein, der, eine Art Markgraf, die
Sicherheit der Straße zu bewahren hat. Wir fanden nach
dem muͤhſamen Ritt die erfreulichſte Aufnahme bei ihm;
ein maͤchtiges Feuer praſſelte im Kamin, die Decke des
weiten Zimmers war mit dichten Fichtenſtaͤmmen gedeckt,
auf welche Erde geſtampft wird und die das Dach vertre-
ten; den Fußboden aber bedeckten ſaubere Teppiche; duͤnne
hoͤlzerne Saͤulen trennten den mittleren Raum fuͤr die vor-
nehmern Gaͤſte von der Eſtrade fuͤr die Dienerſchaft. Be-
haglich ſtreckten wir uns auf die Polſter, und bald erſchien
die große blecherne Scheibe, auf welcher die zahlreichen
Schuͤſſeln eines tuͤrkiſchen Mahls aufgetragen werden; zin-
nerne Schuͤſſeln mit Glocken von demſelben Metall uͤber-
deckt, hoͤlzerne Loͤffel und ein ſehr langes halbſeidenes Hand-
tuch bilden das Service der Vornehmen wie der Armen.
Ein guter ruſſiſcher Thee oder vielleicht der Rum in dem-
ſelben gefiel meinen tuͤrkiſchen Begleitern ſehr gut; der
Vornehmſte derſelben iſt der Divan-Effendi (Rathsherr)
des Seraskiers, Kiamil, ein ſehr artiger angenehmer Herr
und angeſehener Mann; der zweite iſt Halil-Bey, vor-
mals Oberſt im Jngenieur-Corps, jetzt gar nichts, weil
man, mit ſeiner Leiſtung in Varna unzufrieden, ihm ſeinen
Niſchan weggenommen und ihn zum gemeinen Soldaten
gemacht hat: er ſpricht ganz unbefangen von dieſer Sache,
erklaͤrt ſie fuͤr ſein Kismeth und hofft „inschallah“ ein an-
dermal mehr Gluͤck zu haben; dann ſind noch ein junger
Jngenieur-Offizier und mehrere Offizianten mit uns, alle
ganz artige Leute.
Geſtern ſetzten wir unſern Weg uͤber eine zehn Stun-
den weite, ſanft gegen Suͤden geneigte Hochebene fort; ſo
weit das Auge reichte, nichts als Schneeflaͤchen und in
der Ferne hohe Gebirgsgipfel. Die Sonne funkelte auf dem
Schnee, daß man faſt erblindete; nirgends eine Spur von
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/220>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.