in der Nacht entstand ein gewaltiger Lärm, es wurde un- gestüm ans Thor gepocht, Reiter sprengten heran und wohl- bewaffnete Seymen drangen ein, um von unserem Heerde Besitz zu nehmen. Es war das Gefolge des Musselim von Malatia, welcher nach Karput zog. Jch überließ es mei- nem Tataren, auszufechten, ob der Musselim oder ich mehr Ansprüche auf ein Haus habe, welches keinem von uns Beiden gehörte; aber nicht allein, daß der Musselim sich ein anderes Lager in der Nacht aufsuchte, sondern er gab für den Mussafir oder Gast des großen Pascha's seinem Kiajah noch den besonderen Befehl mit, in Malatia für gute Aufnahme und Pferde zu sorgen.
Noch vor Sonnenaufgang ritten wir eine steile Höhe hinab an den Euphrat (den die Türken den Fluß des Mu- rad nennen); an dieser Stelle durchbricht er einen der vie- len Arme des Taurus-Gebirges, und nachdem er oberhalb schon 250 bis 300 Schritte Breite hatte, verengt er sich hier auf 80, und schießt, pfeilschnell zwischen hohen schwar- zen Felswänden fort, deren Gipfel mit Schnee gekrönt sind. Eine alte ganz verfallene Burg klebt an einer schroffen Klippe am linken Ufer, und ein von Sultan Murad erbautes, seit- dem zerstörtes Hann mit einer Moschee erhebt sich unten am Ufer. Eine Viertelstunde unterhalb dieses Kymyr oder Kohlen-Hann entdeckte ich an einer Felswand rechts eine große Tafel mit vielen tausend kleinen Keilchen; diese Jn- schrift ist später von dem Hauptmann v. M. sorgfältig co- pirt worden. Weiter aufwärts öffnet sich ein weites frucht- bares Thal, welches sich zehn Stunden weit von Westen nach Osten hinzieht (die Karten sind hier so mangelhaft und unrichtig, daß sie fast zu gar nichts helfen). Jn Js- oglu überschritten wir den Strom und kamen Mittags nach Malatia, einer bedeutenden Stadt von 5000 aus Lehm er- bauten Häusern, mit Terrassen statt Dächern; selbst die Kuppeln der Moscheen und Bäder sind mit Lehm überzogen, alle Höfe mit Lehmmauern umgeben und die ganze Stadt von derselben uniformen grauen Farbe. Die Erfindung der
in der Nacht entſtand ein gewaltiger Laͤrm, es wurde un- geſtuͤm ans Thor gepocht, Reiter ſprengten heran und wohl- bewaffnete Seymen drangen ein, um von unſerem Heerde Beſitz zu nehmen. Es war das Gefolge des Muſſelim von Malatia, welcher nach Karput zog. Jch uͤberließ es mei- nem Tataren, auszufechten, ob der Muſſelim oder ich mehr Anſpruͤche auf ein Haus habe, welches keinem von uns Beiden gehoͤrte; aber nicht allein, daß der Muſſelim ſich ein anderes Lager in der Nacht aufſuchte, ſondern er gab fuͤr den Muſſafir oder Gaſt des großen Paſcha's ſeinem Kiajah noch den beſonderen Befehl mit, in Malatia fuͤr gute Aufnahme und Pferde zu ſorgen.
Noch vor Sonnenaufgang ritten wir eine ſteile Hoͤhe hinab an den Euphrat (den die Tuͤrken den Fluß des Mu- rad nennen); an dieſer Stelle durchbricht er einen der vie- len Arme des Taurus-Gebirges, und nachdem er oberhalb ſchon 250 bis 300 Schritte Breite hatte, verengt er ſich hier auf 80, und ſchießt, pfeilſchnell zwiſchen hohen ſchwar- zen Felswaͤnden fort, deren Gipfel mit Schnee gekroͤnt ſind. Eine alte ganz verfallene Burg klebt an einer ſchroffen Klippe am linken Ufer, und ein von Sultan Murad erbautes, ſeit- dem zerſtoͤrtes Hann mit einer Moſchee erhebt ſich unten am Ufer. Eine Viertelſtunde unterhalb dieſes Kymyr oder Kohlen-Hann entdeckte ich an einer Felswand rechts eine große Tafel mit vielen tauſend kleinen Keilchen; dieſe Jn- ſchrift iſt ſpaͤter von dem Hauptmann v. M. ſorgfaͤltig co- pirt worden. Weiter aufwaͤrts oͤffnet ſich ein weites frucht- bares Thal, welches ſich zehn Stunden weit von Weſten nach Oſten hinzieht (die Karten ſind hier ſo mangelhaft und unrichtig, daß ſie faſt zu gar nichts helfen). Jn Js- oglu uͤberſchritten wir den Strom und kamen Mittags nach Malatia, einer bedeutenden Stadt von 5000 aus Lehm er- bauten Haͤuſern, mit Terraſſen ſtatt Daͤchern; ſelbſt die Kuppeln der Moſcheen und Baͤder ſind mit Lehm uͤberzogen, alle Hoͤfe mit Lehmmauern umgeben und die ganze Stadt von derſelben uniformen grauen Farbe. Die Erfindung der
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in der Nacht entſtand ein gewaltiger Laͤrm, es wurde un-
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bewaffnete Seymen drangen ein, um von unſerem Heerde
Beſitz zu nehmen. Es war das Gefolge des Muſſelim von
Malatia, welcher nach Karput zog. Jch uͤberließ es mei-
nem Tataren, auszufechten, ob der Muſſelim oder ich mehr
Anſpruͤche auf ein Haus habe, welches keinem von uns
Beiden gehoͤrte; aber nicht allein, daß der Muſſelim ſich
ein anderes Lager in der Nacht aufſuchte, ſondern er gab
fuͤr den Muſſafir oder Gaſt des großen Paſcha's ſeinem
Kiajah noch den beſonderen Befehl mit, in Malatia fuͤr
gute Aufnahme und Pferde zu ſorgen.
Noch vor Sonnenaufgang ritten wir eine ſteile Hoͤhe
hinab an den Euphrat (den die Tuͤrken den Fluß des Mu-
rad nennen); an dieſer Stelle durchbricht er einen der vie-
len Arme des Taurus-Gebirges, und nachdem er oberhalb
ſchon 250 bis 300 Schritte Breite hatte, verengt er ſich
hier auf 80, und ſchießt, pfeilſchnell zwiſchen hohen ſchwar-
zen Felswaͤnden fort, deren Gipfel mit Schnee gekroͤnt ſind.
Eine alte ganz verfallene Burg klebt an einer ſchroffen Klippe
am linken Ufer, und ein von Sultan Murad erbautes, ſeit-
dem zerſtoͤrtes Hann mit einer Moſchee erhebt ſich unten
am Ufer. Eine Viertelſtunde unterhalb dieſes Kymyr oder
Kohlen-Hann entdeckte ich an einer Felswand rechts eine
große Tafel mit vielen tauſend kleinen Keilchen; dieſe Jn-
ſchrift iſt ſpaͤter von dem Hauptmann v. M. ſorgfaͤltig co-
pirt worden. Weiter aufwaͤrts oͤffnet ſich ein weites frucht-
bares Thal, welches ſich zehn Stunden weit von Weſten
nach Oſten hinzieht (die Karten ſind hier ſo mangelhaft
und unrichtig, daß ſie faſt zu gar nichts helfen). Jn Js-
oglu uͤberſchritten wir den Strom und kamen Mittags nach
Malatia, einer bedeutenden Stadt von 5000 aus Lehm er-
bauten Haͤuſern, mit Terraſſen ſtatt Daͤchern; ſelbſt die
Kuppeln der Moſcheen und Baͤder ſind mit Lehm uͤberzogen,
alle Hoͤfe mit Lehmmauern umgeben und die ganze Stadt
von derſelben uniformen grauen Farbe. Die Erfindung der
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/228>, abgerufen am 26.11.2024.
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