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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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unter einem Kalkfelsen hervor, bilden ein weites Bassin
und fließen dann vereint ab. Offenbar tritt hier ein schon
ganz beträchtlicher Bach nach unterirdischem Laufe zu Tage.
Anderthalb Stunden weiter oberhalb liegen noch vierzig eben
solche Quellen beisammen; beide Bäche vereinen sich nahe
am Dorfe, und bilden das Gök-suj oder Himmelswasser,
einen rauschenden Fluß, so stark wie die Jlse im Harz, und
in welchem sich, wie dort, köstliche Forellen befinden.

Den 26. waren wir genöthigt, Maulesel zu besteigen;
die Thiere gehen sehr gut, nur muß man ihnen gestatten,
am äußersten Rande der Abgründe zu spazieren und sie
nicht mit Zügel oder Sporen inkommodiren. Wir erklet-
terten an einer sehr steilen Berglehne den Kamm des Tau-
rus und über ein Geröll von Steinen hinunter, welches in
der That halsbrechend genug aussah. Jn einer wunder-
voll wilden Felsschlucht klebt an einer Berglehne das Dörf-
chen Erkeneh, tief unten schäumt ein Bach von Klippe zu
Klippe, und die schwarzen Felswände scheinen jedes Hin-
absteigen unmöglich zu machen. Jm Dorfe Pelweren bil-
det ein flacher Rücken die Wasserscheide zwischen den Zuflüs-
sen des arabischen und denen des mittelländischen Meeres.

Gestern hatten wir einen mühsamen Ritt über hohe
Gebirge, es schneite und regnete; als wir aber Abends in
das weite prachtvolle Thal von Marasch hinabstiegen, än-
derte sich die Scene: die Weide sproßte ihre ersten Blät-
ter, das saftigste Grün färbte die mehrere Stunden brei-
ten Felder und Wiesenflächen, in welchen zwei silberne Flüsse
schlängeln, und Allahs goldene Sonne funkelte über der
Stadt, während dicke schwere Wolken an den Schneegipfeln
des Gjaur-Gebirges hingen.

Heute war Ruhetag nach fünf und sechszig Stunden
Ritt. Schon gestern Abend, durchnäßt und halb erstarrt
an dem südlichsten Punkte, den ich je erreicht, erquickte ich
mich im heißen türkischen Bade; heute ordnete ich meine
Papiere, ritt mit dem Pascha, der mir seine Rediff-Ba-
taillone zeigte, und schreibe Dir dies im Hofe eines arme-

unter einem Kalkfelſen hervor, bilden ein weites Baſſin
und fließen dann vereint ab. Offenbar tritt hier ein ſchon
ganz betraͤchtlicher Bach nach unterirdiſchem Laufe zu Tage.
Anderthalb Stunden weiter oberhalb liegen noch vierzig eben
ſolche Quellen beiſammen; beide Baͤche vereinen ſich nahe
am Dorfe, und bilden das Goͤk-ſuj oder Himmelswaſſer,
einen rauſchenden Fluß, ſo ſtark wie die Jlſe im Harz, und
in welchem ſich, wie dort, koͤſtliche Forellen befinden.

Den 26. waren wir genoͤthigt, Mauleſel zu beſteigen;
die Thiere gehen ſehr gut, nur muß man ihnen geſtatten,
am aͤußerſten Rande der Abgruͤnde zu ſpazieren und ſie
nicht mit Zuͤgel oder Sporen inkommodiren. Wir erklet-
terten an einer ſehr ſteilen Berglehne den Kamm des Tau-
rus und uͤber ein Geroͤll von Steinen hinunter, welches in
der That halsbrechend genug ausſah. Jn einer wunder-
voll wilden Felsſchlucht klebt an einer Berglehne das Doͤrf-
chen Erkeneh, tief unten ſchaͤumt ein Bach von Klippe zu
Klippe, und die ſchwarzen Felswaͤnde ſcheinen jedes Hin-
abſteigen unmoͤglich zu machen. Jm Dorfe Pelweren bil-
det ein flacher Ruͤcken die Waſſerſcheide zwiſchen den Zufluͤſ-
ſen des arabiſchen und denen des mittellaͤndiſchen Meeres.

Geſtern hatten wir einen muͤhſamen Ritt uͤber hohe
Gebirge, es ſchneite und regnete; als wir aber Abends in
das weite prachtvolle Thal von Maraſch hinabſtiegen, aͤn-
derte ſich die Scene: die Weide ſproßte ihre erſten Blaͤt-
ter, das ſaftigſte Gruͤn faͤrbte die mehrere Stunden brei-
ten Felder und Wieſenflaͤchen, in welchen zwei ſilberne Fluͤſſe
ſchlaͤngeln, und Allahs goldene Sonne funkelte uͤber der
Stadt, waͤhrend dicke ſchwere Wolken an den Schneegipfeln
des Gjaur-Gebirges hingen.

Heute war Ruhetag nach fuͤnf und ſechszig Stunden
Ritt. Schon geſtern Abend, durchnaͤßt und halb erſtarrt
an dem ſuͤdlichſten Punkte, den ich je erreicht, erquickte ich
mich im heißen tuͤrkiſchen Bade; heute ordnete ich meine
Papiere, ritt mit dem Paſcha, der mir ſeine Rediff-Ba-
taillone zeigte, und ſchreibe Dir dies im Hofe eines arme-

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[220/0230] unter einem Kalkfelſen hervor, bilden ein weites Baſſin und fließen dann vereint ab. Offenbar tritt hier ein ſchon ganz betraͤchtlicher Bach nach unterirdiſchem Laufe zu Tage. Anderthalb Stunden weiter oberhalb liegen noch vierzig eben ſolche Quellen beiſammen; beide Baͤche vereinen ſich nahe am Dorfe, und bilden das Goͤk-ſuj oder Himmelswaſſer, einen rauſchenden Fluß, ſo ſtark wie die Jlſe im Harz, und in welchem ſich, wie dort, koͤſtliche Forellen befinden. Den 26. waren wir genoͤthigt, Mauleſel zu beſteigen; die Thiere gehen ſehr gut, nur muß man ihnen geſtatten, am aͤußerſten Rande der Abgruͤnde zu ſpazieren und ſie nicht mit Zuͤgel oder Sporen inkommodiren. Wir erklet- terten an einer ſehr ſteilen Berglehne den Kamm des Tau- rus und uͤber ein Geroͤll von Steinen hinunter, welches in der That halsbrechend genug ausſah. Jn einer wunder- voll wilden Felsſchlucht klebt an einer Berglehne das Doͤrf- chen Erkeneh, tief unten ſchaͤumt ein Bach von Klippe zu Klippe, und die ſchwarzen Felswaͤnde ſcheinen jedes Hin- abſteigen unmoͤglich zu machen. Jm Dorfe Pelweren bil- det ein flacher Ruͤcken die Waſſerſcheide zwiſchen den Zufluͤſ- ſen des arabiſchen und denen des mittellaͤndiſchen Meeres. Geſtern hatten wir einen muͤhſamen Ritt uͤber hohe Gebirge, es ſchneite und regnete; als wir aber Abends in das weite prachtvolle Thal von Maraſch hinabſtiegen, aͤn- derte ſich die Scene: die Weide ſproßte ihre erſten Blaͤt- ter, das ſaftigſte Gruͤn faͤrbte die mehrere Stunden brei- ten Felder und Wieſenflaͤchen, in welchen zwei ſilberne Fluͤſſe ſchlaͤngeln, und Allahs goldene Sonne funkelte uͤber der Stadt, waͤhrend dicke ſchwere Wolken an den Schneegipfeln des Gjaur-Gebirges hingen. Heute war Ruhetag nach fuͤnf und ſechszig Stunden Ritt. Schon geſtern Abend, durchnaͤßt und halb erſtarrt an dem ſuͤdlichſten Punkte, den ich je erreicht, erquickte ich mich im heißen tuͤrkiſchen Bade; heute ordnete ich meine Papiere, ritt mit dem Paſcha, der mir ſeine Rediff-Ba- taillone zeigte, und ſchreibe Dir dies im Hofe eines arme-

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/230>, abgerufen am 26.11.2024.