sein, und doch ist dies Gebirge gewiß 5000 Fuß hoch und seiner Stürme und seines rauhen Klima's wegen berühmt. Jch war sehr früh ausgeritten; als ich den Kamm des Gebirgs überschritten, ging die Sonne auf und der Tigris glänzte in den ersten röthlichen Strahlen. Gegen Mittag, bei Gewitter und Hagel, traf ich in Diarbekir ein; es war empfindlich kalt, die Bäume trieben kaum ihre ersten Blät- ter, und ich bin überzeugt, daß es bei Euch unterm 54sten Breitengrade grüner und wärmer ist, als hier unterm 38sten, wo ich doch dem Aequator 240 Meilen näher bin.
Diarbekir, den 12. April 1837.
Nach Jhrem letzten Schreiben möchte ich fast vermu- then, daß Sie, lieber F., noch in Pera sind; doch hoffe ich, daß es nicht Unwohlsein ist, was Sie da zurückhält, son- dern irgend eine neue Veränderung, und daß friedliche Con- juncturen Jhren Abgang gehindert. Die Vertreter der eu- ropäischen Mächte werden es wohl zu keiner militairischen Allopathie kommen lassen, sondern die syrische Krankheit durch eine diplomatische Homöopathie heilen wollen; unser Ge- schäft ist indeß, den alten, etwas eingerosteten Krummsäbel so gut es gehen will alla franga anzuschleifen, für den Fall, daß er gebraucht würde.
Sollten Sie aber gen Jconium gezogen sein, so bitte ich unsern Freund V., Jhnen die Nachrichten vollständig zukommen zu lassen, die ich mittheile; eine Verbindung von hier aus direkt scheint mir sehr ungewiß.
Jch bin begierig, etwas von Jhnen zu erfahren, sei es nun, daß Sie geblieben oder gereiset sind. Uns geht es im Allgemeinen gut, und das Reisen ist hier in Natolien lange nicht so beschwerlich, wie in Rumelien. Hätte ich aber Jhren Champagner nicht gehabt, so würde ich unsern dicken Divan-Effendi nimmermehr so schnell von Samsun bis Karput remorquirt haben; ich ließ ihn immer ein "Gümüsch- baschi" oder einen Silberkopf in Perspektive sehen, wenn
ſein, und doch iſt dies Gebirge gewiß 5000 Fuß hoch und ſeiner Stuͤrme und ſeines rauhen Klima's wegen beruͤhmt. Jch war ſehr fruͤh ausgeritten; als ich den Kamm des Gebirgs uͤberſchritten, ging die Sonne auf und der Tigris glaͤnzte in den erſten roͤthlichen Strahlen. Gegen Mittag, bei Gewitter und Hagel, traf ich in Diarbekir ein; es war empfindlich kalt, die Baͤume trieben kaum ihre erſten Blaͤt- ter, und ich bin uͤberzeugt, daß es bei Euch unterm 54ſten Breitengrade gruͤner und waͤrmer iſt, als hier unterm 38ſten, wo ich doch dem Aequator 240 Meilen naͤher bin.
Diarbekir, den 12. April 1837.
Nach Jhrem letzten Schreiben moͤchte ich faſt vermu- then, daß Sie, lieber F., noch in Pera ſind; doch hoffe ich, daß es nicht Unwohlſein iſt, was Sie da zuruͤckhaͤlt, ſon- dern irgend eine neue Veraͤnderung, und daß friedliche Con- juncturen Jhren Abgang gehindert. Die Vertreter der eu- ropaͤiſchen Maͤchte werden es wohl zu keiner militairiſchen Allopathie kommen laſſen, ſondern die ſyriſche Krankheit durch eine diplomatiſche Homoͤopathie heilen wollen; unſer Ge- ſchaͤft iſt indeß, den alten, etwas eingeroſteten Krummſaͤbel ſo gut es gehen will alla franga anzuſchleifen, fuͤr den Fall, daß er gebraucht wuͤrde.
Sollten Sie aber gen Jconium gezogen ſein, ſo bitte ich unſern Freund V., Jhnen die Nachrichten vollſtaͤndig zukommen zu laſſen, die ich mittheile; eine Verbindung von hier aus direkt ſcheint mir ſehr ungewiß.
Jch bin begierig, etwas von Jhnen zu erfahren, ſei es nun, daß Sie geblieben oder gereiſet ſind. Uns geht es im Allgemeinen gut, und das Reiſen iſt hier in Natolien lange nicht ſo beſchwerlich, wie in Rumelien. Haͤtte ich aber Jhren Champagner nicht gehabt, ſo wuͤrde ich unſern dicken Divan-Effendi nimmermehr ſo ſchnell von Samſun bis Karput remorquirt haben; ich ließ ihn immer ein „Guͤmuͤſch- baſchi“ oder einen Silberkopf in Perſpektive ſehen, wenn
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ſein, und doch iſt dies Gebirge gewiß 5000 Fuß hoch und
ſeiner Stuͤrme und ſeines rauhen Klima's wegen beruͤhmt.
Jch war ſehr fruͤh ausgeritten; als ich den Kamm des
Gebirgs uͤberſchritten, ging die Sonne auf und der Tigris
glaͤnzte in den erſten roͤthlichen Strahlen. Gegen Mittag,
bei Gewitter und Hagel, traf ich in Diarbekir ein; es war
empfindlich kalt, die Baͤume trieben kaum ihre erſten Blaͤt-
ter, und ich bin uͤberzeugt, daß es bei Euch unterm 54ſten
Breitengrade gruͤner und waͤrmer iſt, als hier unterm 38ſten,
wo ich doch dem Aequator 240 Meilen naͤher bin.
Diarbekir, den 12. April 1837.
Nach Jhrem letzten Schreiben moͤchte ich faſt vermu-
then, daß Sie, lieber F., noch in Pera ſind; doch hoffe ich,
daß es nicht Unwohlſein iſt, was Sie da zuruͤckhaͤlt, ſon-
dern irgend eine neue Veraͤnderung, und daß friedliche Con-
juncturen Jhren Abgang gehindert. Die Vertreter der eu-
ropaͤiſchen Maͤchte werden es wohl zu keiner militairiſchen
Allopathie kommen laſſen, ſondern die ſyriſche Krankheit durch
eine diplomatiſche Homoͤopathie heilen wollen; unſer Ge-
ſchaͤft iſt indeß, den alten, etwas eingeroſteten Krummſaͤbel
ſo gut es gehen will alla franga anzuſchleifen, fuͤr den Fall,
daß er gebraucht wuͤrde.
Sollten Sie aber gen Jconium gezogen ſein, ſo bitte
ich unſern Freund V., Jhnen die Nachrichten vollſtaͤndig
zukommen zu laſſen, die ich mittheile; eine Verbindung von
hier aus direkt ſcheint mir ſehr ungewiß.
Jch bin begierig, etwas von Jhnen zu erfahren, ſei es
nun, daß Sie geblieben oder gereiſet ſind. Uns geht es
im Allgemeinen gut, und das Reiſen iſt hier in Natolien
lange nicht ſo beſchwerlich, wie in Rumelien. Haͤtte ich
aber Jhren Champagner nicht gehabt, ſo wuͤrde ich unſern
dicken Divan-Effendi nimmermehr ſo ſchnell von Samſun bis
Karput remorquirt haben; ich ließ ihn immer ein „Guͤmuͤſch-
baſchi“ oder einen Silberkopf in Perſpektive ſehen, wenn
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/242>, abgerufen am 25.11.2024.
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