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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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zont hinabsteigt, ist die Dämmerung äußerst kurz, und bald
verdeckt die Nacht jede Spur des Flüchtlings. Die Tür-
ken, ohne Lebensmittel für sich, ohne Wasser für ihre Pferde,
finden sich wohl zwölf oder funfzehn Stunden von ihrer
Heimath entfernt in einer ihnen ganz unbekannten Gegend.
Was war zu thun? als -- umzukehren und dem erzürnten
Herrn die unwillkommene Botschaft zu bringen, daß Roß
und Reiter und Geld verloren. Erst am dritten Abend
treffen sie halb todt vor Erschöpfung und Hunger, mit
Pferden, die sich kaum noch schleppen, in Mardin wieder
ein; ihnen bleibt nun der traurige Trost, über dieses neue
Beispiel von Treulosigkeit eines Arabers zu schimpfen, wo-
bei sie jedoch genöthigt sind, dem Pferde des Verräthers
alle Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, und einzugestehen,
daß ein solches Thier nicht leicht zu theuer bezahlt wer-
den kann.

Am folgenden Morgen, als eben der Jman zum Früh-
gebet ruft, hört der Pascha Hufschlag unter seinen Fenstern,
und in den Hof reitet ganz harmlos unser Scheikh. "Si-
bi!" ruft er hinauf: "Herr! willst du dein Geld oder mein
Pferd?" --

Etwas weniger schnell, als der Araber geritten war,
erreichten wir am fünften Tage den Fuß des Gebirges,
und an einem klaren Bache das große Dorf Tillaja; ohne
Zweifel das alte Tilsaphata, wo das verhungerte Heer Jo-
vians auf seinem Rückzuge aus Persien nach Nisibin die
ersten Lebensmittel wieder erhielt. Hier erfuhr ich, daß
am Morgen Mehmet-Pascha mit einem Truppen-Corps
nördlich hinauf zu einer Unternehmung gegen die Kurden
marschirt sei; ich beschloß sofort, mich dieser Expedition
anzuschließen, verließ die Caravane und traf noch am sel-
ben Abend im Lager ein. Dort erfuhr ich, daß Hafiß-
Pascha
uns funfzig Reiter zu unserer Bedeckung entgegen
geschickt hatte, die uns aber von Sindjar her erwarteten,
und uns so verfehlt hatten.

zont hinabſteigt, iſt die Daͤmmerung aͤußerſt kurz, und bald
verdeckt die Nacht jede Spur des Fluͤchtlings. Die Tuͤr-
ken, ohne Lebensmittel fuͤr ſich, ohne Waſſer fuͤr ihre Pferde,
finden ſich wohl zwoͤlf oder funfzehn Stunden von ihrer
Heimath entfernt in einer ihnen ganz unbekannten Gegend.
Was war zu thun? als — umzukehren und dem erzuͤrnten
Herrn die unwillkommene Botſchaft zu bringen, daß Roß
und Reiter und Geld verloren. Erſt am dritten Abend
treffen ſie halb todt vor Erſchoͤpfung und Hunger, mit
Pferden, die ſich kaum noch ſchleppen, in Mardin wieder
ein; ihnen bleibt nun der traurige Troſt, uͤber dieſes neue
Beiſpiel von Treuloſigkeit eines Arabers zu ſchimpfen, wo-
bei ſie jedoch genoͤthigt ſind, dem Pferde des Verraͤthers
alle Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen, und einzugeſtehen,
daß ein ſolches Thier nicht leicht zu theuer bezahlt wer-
den kann.

Am folgenden Morgen, als eben der Jman zum Fruͤh-
gebet ruft, hoͤrt der Paſcha Hufſchlag unter ſeinen Fenſtern,
und in den Hof reitet ganz harmlos unſer Scheikh. „Si-
bi!“ ruft er hinauf: „Herr! willſt du dein Geld oder mein
Pferd?“ —

Etwas weniger ſchnell, als der Araber geritten war,
erreichten wir am fuͤnften Tage den Fuß des Gebirges,
und an einem klaren Bache das große Dorf Tillaja; ohne
Zweifel das alte Tilſaphata, wo das verhungerte Heer Jo-
vians auf ſeinem Ruͤckzuge aus Perſien nach Niſibin die
erſten Lebensmittel wieder erhielt. Hier erfuhr ich, daß
am Morgen Mehmet-Paſcha mit einem Truppen-Corps
noͤrdlich hinauf zu einer Unternehmung gegen die Kurden
marſchirt ſei; ich beſchloß ſofort, mich dieſer Expedition
anzuſchließen, verließ die Caravane und traf noch am ſel-
ben Abend im Lager ein. Dort erfuhr ich, daß Hafiß-
Paſcha
uns funfzig Reiter zu unſerer Bedeckung entgegen
geſchickt hatte, die uns aber von Sindjar her erwarteten,
und uns ſo verfehlt hatten.

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[255/0265] zont hinabſteigt, iſt die Daͤmmerung aͤußerſt kurz, und bald verdeckt die Nacht jede Spur des Fluͤchtlings. Die Tuͤr- ken, ohne Lebensmittel fuͤr ſich, ohne Waſſer fuͤr ihre Pferde, finden ſich wohl zwoͤlf oder funfzehn Stunden von ihrer Heimath entfernt in einer ihnen ganz unbekannten Gegend. Was war zu thun? als — umzukehren und dem erzuͤrnten Herrn die unwillkommene Botſchaft zu bringen, daß Roß und Reiter und Geld verloren. Erſt am dritten Abend treffen ſie halb todt vor Erſchoͤpfung und Hunger, mit Pferden, die ſich kaum noch ſchleppen, in Mardin wieder ein; ihnen bleibt nun der traurige Troſt, uͤber dieſes neue Beiſpiel von Treuloſigkeit eines Arabers zu ſchimpfen, wo- bei ſie jedoch genoͤthigt ſind, dem Pferde des Verraͤthers alle Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen, und einzugeſtehen, daß ein ſolches Thier nicht leicht zu theuer bezahlt wer- den kann. Am folgenden Morgen, als eben der Jman zum Fruͤh- gebet ruft, hoͤrt der Paſcha Hufſchlag unter ſeinen Fenſtern, und in den Hof reitet ganz harmlos unſer Scheikh. „Si- bi!“ ruft er hinauf: „Herr! willſt du dein Geld oder mein Pferd?“ — Etwas weniger ſchnell, als der Araber geritten war, erreichten wir am fuͤnften Tage den Fuß des Gebirges, und an einem klaren Bache das große Dorf Tillaja; ohne Zweifel das alte Tilſaphata, wo das verhungerte Heer Jo- vians auf ſeinem Ruͤckzuge aus Perſien nach Niſibin die erſten Lebensmittel wieder erhielt. Hier erfuhr ich, daß am Morgen Mehmet-Paſcha mit einem Truppen-Corps noͤrdlich hinauf zu einer Unternehmung gegen die Kurden marſchirt ſei; ich beſchloß ſofort, mich dieſer Expedition anzuſchließen, verließ die Caravane und traf noch am ſel- ben Abend im Lager ein. Dort erfuhr ich, daß Hafiß- Paſcha uns funfzig Reiter zu unſerer Bedeckung entgegen geſchickt hatte, die uns aber von Sindjar her erwarteten, und uns ſo verfehlt hatten.

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/265>, abgerufen am 24.11.2024.