Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch hatte die ganze Parthie zu Maulesel mitgemacht,
weil ich schon seit einigen Tagen aus Erschöpfung unwohl
und zu schwach zum Gehen war. Die Häuser waren voll-
gestopft von Sachen, wahrscheinlich aus den nächsten Dör-
fern, und die Soldaten kehrten mit Beute beladen aus den-
selben zurück; ein Cavallerist bat mich ganz treuherzig, sein
Pferd zu halten, was ich that, bis er seine Taschen gefüllt.
Aber der Aufenthalt im Dorfe war sehr unfreundlich, da
man von oben noch immer schoß; der Kolagassi erhielt ne-
ben mir einen Schuß durch die Hand, und ich gab ihm
den Maulesel meines Aga's, damit er sich entferne. Man
mußte sich dicht an die Mauern pressen; zuletzt hielt nur
noch ein Haus, es widerstand vier bis fünf Stunden lang
mit der wüthendsten Verzweiflung; der Häuptling des Orts
hatte sich mit seiner Fahne hineingeworfen. Für ihn war
keine Rettung auf dieser Erde, denn Gnade konnte er nicht
hoffen, er wollte daher nur sein Leben theuer verkaufen; durch
dieselben Fensteröffnungen schoß man hinein und heraus.

Jch war während dem zu Hafiß-Pascha geritten,
welcher das Defilee geöffnet gefunden und dem Kampfe un-
ten von einem kleinen Hügel zusah; dorthin brachte man
die Trophäen und Gefangenen; Männer und Weiber mit
blutenden Wunden, Säuglinge und Kinder jedes Alters,
abgeschnittene Köpfe und Ohren, Alles wurde den Ueber-
bringern mit einem Geldgeschenke von 50 bis 100 Piastern
bezahlt. M. wusch den verwundeten Gefangenen die Wun-
den aus und verband sie, so gut es gehen wollte; der
schweigende Kummer der Kurden, die laute Verzweiflung
der Frauen gewährten einen herzzerreißenden Anblick.

Das Schlimmste ist, wie soll man einen Volkskrieg im
Gebirg ohne jene Scheußlichkeiten führen? Unser Verlust
ist nicht unbedeutend. Mehmet-Bey und Mehmet-Pa-
scha
traf ich beim Sturm in der vordersten Reihe der Ti-
railleurs; Letzterm wurde das Pferd erschossen. Den fol-
genden Tag war Ruhe, dann ging es weiter in die Berge,
wo eine unglaubliche Menge Gefangener aller Art einge-

Jch hatte die ganze Parthie zu Mauleſel mitgemacht,
weil ich ſchon ſeit einigen Tagen aus Erſchoͤpfung unwohl
und zu ſchwach zum Gehen war. Die Haͤuſer waren voll-
geſtopft von Sachen, wahrſcheinlich aus den naͤchſten Doͤr-
fern, und die Soldaten kehrten mit Beute beladen aus den-
ſelben zuruͤck; ein Cavalleriſt bat mich ganz treuherzig, ſein
Pferd zu halten, was ich that, bis er ſeine Taſchen gefuͤllt.
Aber der Aufenthalt im Dorfe war ſehr unfreundlich, da
man von oben noch immer ſchoß; der Kolagaſſi erhielt ne-
ben mir einen Schuß durch die Hand, und ich gab ihm
den Mauleſel meines Aga's, damit er ſich entferne. Man
mußte ſich dicht an die Mauern preſſen; zuletzt hielt nur
noch ein Haus, es widerſtand vier bis fuͤnf Stunden lang
mit der wuͤthendſten Verzweiflung; der Haͤuptling des Orts
hatte ſich mit ſeiner Fahne hineingeworfen. Fuͤr ihn war
keine Rettung auf dieſer Erde, denn Gnade konnte er nicht
hoffen, er wollte daher nur ſein Leben theuer verkaufen; durch
dieſelben Fenſteroͤffnungen ſchoß man hinein und heraus.

Jch war waͤhrend dem zu Hafiß-Paſcha geritten,
welcher das Defilee geoͤffnet gefunden und dem Kampfe un-
ten von einem kleinen Huͤgel zuſah; dorthin brachte man
die Trophaͤen und Gefangenen; Maͤnner und Weiber mit
blutenden Wunden, Saͤuglinge und Kinder jedes Alters,
abgeſchnittene Koͤpfe und Ohren, Alles wurde den Ueber-
bringern mit einem Geldgeſchenke von 50 bis 100 Piaſtern
bezahlt. M. wuſch den verwundeten Gefangenen die Wun-
den aus und verband ſie, ſo gut es gehen wollte; der
ſchweigende Kummer der Kurden, die laute Verzweiflung
der Frauen gewaͤhrten einen herzzerreißenden Anblick.

Das Schlimmſte iſt, wie ſoll man einen Volkskrieg im
Gebirg ohne jene Scheußlichkeiten fuͤhren? Unſer Verluſt
iſt nicht unbedeutend. Mehmet-Bey und Mehmet-Pa-
ſcha
traf ich beim Sturm in der vorderſten Reihe der Ti-
railleurs; Letzterm wurde das Pferd erſchoſſen. Den fol-
genden Tag war Ruhe, dann ging es weiter in die Berge,
wo eine unglaubliche Menge Gefangener aller Art einge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0285" n="275"/>
          <p>Jch hatte die ganze Parthie zu Maule&#x017F;el mitgemacht,<lb/>
weil ich &#x017F;chon &#x017F;eit einigen Tagen aus Er&#x017F;cho&#x0364;pfung unwohl<lb/>
und zu &#x017F;chwach zum Gehen war. Die Ha&#x0364;u&#x017F;er waren voll-<lb/>
ge&#x017F;topft von Sachen, wahr&#x017F;cheinlich aus den na&#x0364;ch&#x017F;ten Do&#x0364;r-<lb/>
fern, und die Soldaten kehrten mit Beute beladen aus den-<lb/>
&#x017F;elben zuru&#x0364;ck; ein Cavalleri&#x017F;t bat mich ganz treuherzig, &#x017F;ein<lb/>
Pferd zu halten, was ich that, bis er &#x017F;eine Ta&#x017F;chen gefu&#x0364;llt.<lb/>
Aber der Aufenthalt im Dorfe war &#x017F;ehr unfreundlich, da<lb/>
man von oben noch immer &#x017F;choß; der Kolaga&#x017F;&#x017F;i erhielt ne-<lb/>
ben mir einen Schuß durch die Hand, und ich gab ihm<lb/>
den Maule&#x017F;el meines Aga's, damit er &#x017F;ich entferne. Man<lb/>
mußte &#x017F;ich dicht an die Mauern pre&#x017F;&#x017F;en; zuletzt hielt nur<lb/>
noch ein Haus, es wider&#x017F;tand vier bis fu&#x0364;nf Stunden lang<lb/>
mit der wu&#x0364;thend&#x017F;ten Verzweiflung; der Ha&#x0364;uptling des Orts<lb/>
hatte &#x017F;ich mit &#x017F;einer Fahne hineingeworfen. Fu&#x0364;r ihn war<lb/>
keine Rettung auf die&#x017F;er Erde, denn Gnade konnte er nicht<lb/>
hoffen, er wollte daher nur &#x017F;ein Leben theuer verkaufen; durch<lb/>
die&#x017F;elben Fen&#x017F;tero&#x0364;ffnungen &#x017F;choß man hinein und heraus.</p><lb/>
          <p>Jch war wa&#x0364;hrend dem zu <hi rendition="#g">Hafiß-Pa&#x017F;cha</hi> geritten,<lb/>
welcher das Defilee geo&#x0364;ffnet gefunden und dem Kampfe un-<lb/>
ten von einem kleinen Hu&#x0364;gel zu&#x017F;ah; dorthin brachte man<lb/>
die Tropha&#x0364;en und Gefangenen; Ma&#x0364;nner und Weiber mit<lb/>
blutenden Wunden, Sa&#x0364;uglinge und Kinder jedes Alters,<lb/>
abge&#x017F;chnittene Ko&#x0364;pfe und Ohren, Alles wurde den Ueber-<lb/>
bringern mit einem Geldge&#x017F;chenke von 50 bis 100 Pia&#x017F;tern<lb/>
bezahlt. M. wu&#x017F;ch den verwundeten Gefangenen die Wun-<lb/>
den aus und verband &#x017F;ie, &#x017F;o gut es gehen wollte; der<lb/>
&#x017F;chweigende Kummer der Kurden, die laute Verzweiflung<lb/>
der Frauen gewa&#x0364;hrten einen herzzerreißenden Anblick.</p><lb/>
          <p>Das Schlimm&#x017F;te i&#x017F;t, wie &#x017F;oll man einen Volkskrieg im<lb/>
Gebirg ohne jene Scheußlichkeiten fu&#x0364;hren? Un&#x017F;er Verlu&#x017F;t<lb/>
i&#x017F;t nicht unbedeutend. <hi rendition="#g">Mehmet-Bey</hi> und <hi rendition="#g">Mehmet-Pa-<lb/>
&#x017F;cha</hi> traf ich beim Sturm in der vorder&#x017F;ten Reihe der Ti-<lb/>
railleurs; Letzterm wurde das Pferd er&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en. Den fol-<lb/>
genden Tag war Ruhe, dann ging es weiter in die Berge,<lb/>
wo eine unglaubliche Menge Gefangener aller Art einge-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0285] Jch hatte die ganze Parthie zu Mauleſel mitgemacht, weil ich ſchon ſeit einigen Tagen aus Erſchoͤpfung unwohl und zu ſchwach zum Gehen war. Die Haͤuſer waren voll- geſtopft von Sachen, wahrſcheinlich aus den naͤchſten Doͤr- fern, und die Soldaten kehrten mit Beute beladen aus den- ſelben zuruͤck; ein Cavalleriſt bat mich ganz treuherzig, ſein Pferd zu halten, was ich that, bis er ſeine Taſchen gefuͤllt. Aber der Aufenthalt im Dorfe war ſehr unfreundlich, da man von oben noch immer ſchoß; der Kolagaſſi erhielt ne- ben mir einen Schuß durch die Hand, und ich gab ihm den Mauleſel meines Aga's, damit er ſich entferne. Man mußte ſich dicht an die Mauern preſſen; zuletzt hielt nur noch ein Haus, es widerſtand vier bis fuͤnf Stunden lang mit der wuͤthendſten Verzweiflung; der Haͤuptling des Orts hatte ſich mit ſeiner Fahne hineingeworfen. Fuͤr ihn war keine Rettung auf dieſer Erde, denn Gnade konnte er nicht hoffen, er wollte daher nur ſein Leben theuer verkaufen; durch dieſelben Fenſteroͤffnungen ſchoß man hinein und heraus. Jch war waͤhrend dem zu Hafiß-Paſcha geritten, welcher das Defilee geoͤffnet gefunden und dem Kampfe un- ten von einem kleinen Huͤgel zuſah; dorthin brachte man die Trophaͤen und Gefangenen; Maͤnner und Weiber mit blutenden Wunden, Saͤuglinge und Kinder jedes Alters, abgeſchnittene Koͤpfe und Ohren, Alles wurde den Ueber- bringern mit einem Geldgeſchenke von 50 bis 100 Piaſtern bezahlt. M. wuſch den verwundeten Gefangenen die Wun- den aus und verband ſie, ſo gut es gehen wollte; der ſchweigende Kummer der Kurden, die laute Verzweiflung der Frauen gewaͤhrten einen herzzerreißenden Anblick. Das Schlimmſte iſt, wie ſoll man einen Volkskrieg im Gebirg ohne jene Scheußlichkeiten fuͤhren? Unſer Verluſt iſt nicht unbedeutend. Mehmet-Bey und Mehmet-Pa- ſcha traf ich beim Sturm in der vorderſten Reihe der Ti- railleurs; Letzterm wurde das Pferd erſchoſſen. Den fol- genden Tag war Ruhe, dann ging es weiter in die Berge, wo eine unglaubliche Menge Gefangener aller Art einge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/285
Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/285>, abgerufen am 24.11.2024.