Hälse hoch über die niedrigen Zelte emporstrecken; um das Feuer tanzt nun ein junger rüstiger Bursche in seiner wei- ten turkmanischen Tracht, den Turban auf dem Kopf, Mes- ser und Pistolen im Gürtel; und wenn körperlicher Anstand die völlige Beherrschung aller Bewegungen der Glieder ist, so konnte man ihm diese Eigenschaft nicht absprechen. -- Plötzlich schießt aus dem Dunkel gegenüber ein zweiter Kämpe hervor, der ihn zu fahen strebt; der Angegriffene schwingt sich mit der größten Schnelligkeit um das Feuer, wirft sich zu Boden, springt wieder auf und sucht sich auf alle Weise der Verfolgung zu entziehen; da kommt ihm ein Camerad von seiner Parthei zu Hülfe, der nun auf den Verfolger Jagd macht, und so entsteht, was wir unter dem Namen Baarlaufen kennen. Es setzt oft arge Stöße, aber die größte Fröhlichkeit herrscht (und zwar ohne Branntwein); man sieht die kräftigsten Gestalten, unter deren Fersen die Erde dröhnt; dort springt einer hoch in die Luft, ein an- derer setzt mitten durch die Flammen; hier haben sich zwei gefaßt, ringen mit aller Anstrengung unter schallendem Ge- lächter der Umstehenden. Jedenfalls muß man sehr ge- sunde Gliedmaßen haben, um in diesem Ballet drei bis vier Stunden lang mit zu tanzen. Mein kleiner Dragoman wurde einmal angewalzt, daß er rückwärts über kugelte.
Diese Turkmanen haben mir sehr wohl gefallen; sie haben jene natürliche Höflichkeit, die aus Wohlwollen ent- springt, während sie uns anerzogen ist. Nichts kam dem in unserm Zelt versammelten Publikum seltsamer vor, als mein Bett, obwohl es mir selbst sehr spartanisch schien, und nur aus ein paar Decken und weißen Tüchern bestand; als ich aber, um mich schlafen zu legen, einen Theil mei- ner Kleider abthat, da konnte die Versammlung ein allge- meines Lächeln nicht unterdrücken. Wirklich machte die übrige Gesellschaft so wenig Nachttoilette, daß sie nicht ein- mal die Pistolen aus dem Gürtel zog. Die Gastfreiheit ist diesen Leuten natürlich; man macht nicht die mindesten Umstände, weder beim Kommen, noch beim Gehen, und als
Haͤlſe hoch uͤber die niedrigen Zelte emporſtrecken; um das Feuer tanzt nun ein junger ruͤſtiger Burſche in ſeiner wei- ten turkmaniſchen Tracht, den Turban auf dem Kopf, Meſ- ſer und Piſtolen im Guͤrtel; und wenn koͤrperlicher Anſtand die voͤllige Beherrſchung aller Bewegungen der Glieder iſt, ſo konnte man ihm dieſe Eigenſchaft nicht abſprechen. — Ploͤtzlich ſchießt aus dem Dunkel gegenuͤber ein zweiter Kaͤmpe hervor, der ihn zu fahen ſtrebt; der Angegriffene ſchwingt ſich mit der groͤßten Schnelligkeit um das Feuer, wirft ſich zu Boden, ſpringt wieder auf und ſucht ſich auf alle Weiſe der Verfolgung zu entziehen; da kommt ihm ein Camerad von ſeiner Parthei zu Huͤlfe, der nun auf den Verfolger Jagd macht, und ſo entſteht, was wir unter dem Namen Baarlaufen kennen. Es ſetzt oft arge Stoͤße, aber die groͤßte Froͤhlichkeit herrſcht (und zwar ohne Branntwein); man ſieht die kraͤftigſten Geſtalten, unter deren Ferſen die Erde droͤhnt; dort ſpringt einer hoch in die Luft, ein an- derer ſetzt mitten durch die Flammen; hier haben ſich zwei gefaßt, ringen mit aller Anſtrengung unter ſchallendem Ge- laͤchter der Umſtehenden. Jedenfalls muß man ſehr ge- ſunde Gliedmaßen haben, um in dieſem Ballet drei bis vier Stunden lang mit zu tanzen. Mein kleiner Dragoman wurde einmal angewalzt, daß er ruͤckwaͤrts uͤber kugelte.
Dieſe Turkmanen haben mir ſehr wohl gefallen; ſie haben jene natuͤrliche Hoͤflichkeit, die aus Wohlwollen ent- ſpringt, waͤhrend ſie uns anerzogen iſt. Nichts kam dem in unſerm Zelt verſammelten Publikum ſeltſamer vor, als mein Bett, obwohl es mir ſelbſt ſehr ſpartaniſch ſchien, und nur aus ein paar Decken und weißen Tuͤchern beſtand; als ich aber, um mich ſchlafen zu legen, einen Theil mei- ner Kleider abthat, da konnte die Verſammlung ein allge- meines Laͤcheln nicht unterdruͤcken. Wirklich machte die uͤbrige Geſellſchaft ſo wenig Nachttoilette, daß ſie nicht ein- mal die Piſtolen aus dem Guͤrtel zog. Die Gaſtfreiheit iſt dieſen Leuten natuͤrlich; man macht nicht die mindeſten Umſtaͤnde, weder beim Kommen, noch beim Gehen, und als
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Haͤlſe hoch uͤber die niedrigen Zelte emporſtrecken; um das
Feuer tanzt nun ein junger ruͤſtiger Burſche in ſeiner wei-
ten turkmaniſchen Tracht, den Turban auf dem Kopf, Meſ-
ſer und Piſtolen im Guͤrtel; und wenn koͤrperlicher Anſtand
die voͤllige Beherrſchung aller Bewegungen der Glieder iſt,
ſo konnte man ihm dieſe Eigenſchaft nicht abſprechen. —
Ploͤtzlich ſchießt aus dem Dunkel gegenuͤber ein zweiter Kaͤmpe
hervor, der ihn zu fahen ſtrebt; der Angegriffene ſchwingt
ſich mit der groͤßten Schnelligkeit um das Feuer, wirft ſich
zu Boden, ſpringt wieder auf und ſucht ſich auf alle Weiſe
der Verfolgung zu entziehen; da kommt ihm ein Camerad
von ſeiner Parthei zu Huͤlfe, der nun auf den Verfolger
Jagd macht, und ſo entſteht, was wir unter dem Namen
Baarlaufen kennen. Es ſetzt oft arge Stoͤße, aber die
groͤßte Froͤhlichkeit herrſcht (und zwar ohne Branntwein);
man ſieht die kraͤftigſten Geſtalten, unter deren Ferſen die
Erde droͤhnt; dort ſpringt einer hoch in die Luft, ein an-
derer ſetzt mitten durch die Flammen; hier haben ſich zwei
gefaßt, ringen mit aller Anſtrengung unter ſchallendem Ge-
laͤchter der Umſtehenden. Jedenfalls muß man ſehr ge-
ſunde Gliedmaßen haben, um in dieſem Ballet drei bis vier
Stunden lang mit zu tanzen. Mein kleiner Dragoman
wurde einmal angewalzt, daß er ruͤckwaͤrts uͤber kugelte.
Dieſe Turkmanen haben mir ſehr wohl gefallen; ſie
haben jene natuͤrliche Hoͤflichkeit, die aus Wohlwollen ent-
ſpringt, waͤhrend ſie uns anerzogen iſt. Nichts kam dem
in unſerm Zelt verſammelten Publikum ſeltſamer vor, als
mein Bett, obwohl es mir ſelbſt ſehr ſpartaniſch ſchien, und
nur aus ein paar Decken und weißen Tuͤchern beſtand;
als ich aber, um mich ſchlafen zu legen, einen Theil mei-
ner Kleider abthat, da konnte die Verſammlung ein allge-
meines Laͤcheln nicht unterdruͤcken. Wirklich machte die
uͤbrige Geſellſchaft ſo wenig Nachttoilette, daß ſie nicht ein-
mal die Piſtolen aus dem Guͤrtel zog. Die Gaſtfreiheit
iſt dieſen Leuten natuͤrlich; man macht nicht die mindeſten
Umſtaͤnde, weder beim Kommen, noch beim Gehen, und als
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/339>, abgerufen am 21.11.2024.
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