ein Schwarm dienstbarer Aga's; dies Cortege, in welchem noch manche alte orientalische Costüme vorkommen, hat ein ungemein stattliches Ansehen, denn wenig Städte überhaupt wird es geben, wo so viele vortreffliche Pferde beisammen wären, wie in unserm Lager; da sind die kleinen magern, mit Kameelmilch genährten Renner, das kräftige turkmani- sche Roß mit schwerem Hals und Kopf, aber prachtvoller Kruppe, das große persische Pferd mit hochaufgerichteter Vorhand, die trefflichen Thiere aus Sivas (dem vormals wegen seiner Rinder so berühmten Cappadocien), vor Allem aber die edlen Racen der Nedschdi und Annesi.
Um sein Pferd zu probiren, jagt man hier einen ab- schüssigen Berghang mit Geröll herunter, auf dem der vor- sichtige und ökonomische Reiter bei uns absitzt, aus Furcht, das Thier im Schritt zu verbällen; das Pferd darf bei dieser Carriere keinen falschen Tritt thun.
Sobald wir in die Ebene kommen, schießen aus dem Gefolge rechts und links Reiter hervor; sie halten einen Stab als Dscherid oder Wurfspieß, oder auch nur die rechte Hand empor, als ob sie den Dscherid hielten, das Pferd weiß nun schon, worauf es ankömmt: es zäumt sich her- bei, schnaubt und tanzt auf den Hinterbeinen, bereit, bei dem leisesten Stoß mit den schaufelartigen Steigbügeln wie ein Pfeil vorzuschießen. Der Reiter tummelt es in den kleinsten Volten, wobei das Pferd aufs regelmäßigste ab- changirt, dann schießt er mit einem Jallah! vorwärts, schleudert den Wurfspieß, parirt sein Pferd kurz aus der gestreckten Carriere, und kehrt (freilich das Pferd meist mit blutendem Maul und triefenden Flanken) zum Haufen zu- rück, aus dem ein Anderer es ihm zuvor zu thun strebt.
Die Zäumung der hiesigen Pferde ist übermäßig scharf; die Kandare (Trensen kennt man nicht) hat einen hohen Galgen, überaus lange und schwere Scheeren, und statt der Kinnkette einen eisernen Ring. Fast alle Pferde verkriechen sich daher hinter den Zügel, und man reitet in der That für gewöhnlich ohne alle Anlehnung, wozu die große Si-
ein Schwarm dienſtbarer Aga's; dies Cortége, in welchem noch manche alte orientaliſche Coſtuͤme vorkommen, hat ein ungemein ſtattliches Anſehen, denn wenig Staͤdte uͤberhaupt wird es geben, wo ſo viele vortreffliche Pferde beiſammen waͤren, wie in unſerm Lager; da ſind die kleinen magern, mit Kameelmilch genaͤhrten Renner, das kraͤftige turkmani- ſche Roß mit ſchwerem Hals und Kopf, aber prachtvoller Kruppe, das große perſiſche Pferd mit hochaufgerichteter Vorhand, die trefflichen Thiere aus Sivas (dem vormals wegen ſeiner Rinder ſo beruͤhmten Cappadocien), vor Allem aber die edlen Raçen der Nedſchdi und Anneſi.
Um ſein Pferd zu probiren, jagt man hier einen ab- ſchuͤſſigen Berghang mit Geroͤll herunter, auf dem der vor- ſichtige und oͤkonomiſche Reiter bei uns abſitzt, aus Furcht, das Thier im Schritt zu verbaͤllen; das Pferd darf bei dieſer Carriere keinen falſchen Tritt thun.
Sobald wir in die Ebene kommen, ſchießen aus dem Gefolge rechts und links Reiter hervor; ſie halten einen Stab als Dſcherid oder Wurfſpieß, oder auch nur die rechte Hand empor, als ob ſie den Dſcherid hielten, das Pferd weiß nun ſchon, worauf es ankoͤmmt: es zaͤumt ſich her- bei, ſchnaubt und tanzt auf den Hinterbeinen, bereit, bei dem leiſeſten Stoß mit den ſchaufelartigen Steigbuͤgeln wie ein Pfeil vorzuſchießen. Der Reiter tummelt es in den kleinſten Volten, wobei das Pferd aufs regelmaͤßigſte ab- changirt, dann ſchießt er mit einem Jallah! vorwaͤrts, ſchleudert den Wurfſpieß, parirt ſein Pferd kurz aus der geſtreckten Carriere, und kehrt (freilich das Pferd meiſt mit blutendem Maul und triefenden Flanken) zum Haufen zu- ruͤck, aus dem ein Anderer es ihm zuvor zu thun ſtrebt.
Die Zaͤumung der hieſigen Pferde iſt uͤbermaͤßig ſcharf; die Kandare (Trenſen kennt man nicht) hat einen hohen Galgen, uͤberaus lange und ſchwere Scheeren, und ſtatt der Kinnkette einen eiſernen Ring. Faſt alle Pferde verkriechen ſich daher hinter den Zuͤgel, und man reitet in der That fuͤr gewoͤhnlich ohne alle Anlehnung, wozu die große Si-
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ein Schwarm dienſtbarer Aga's; dies Cortége, in welchem
noch manche alte orientaliſche Coſtuͤme vorkommen, hat ein
ungemein ſtattliches Anſehen, denn wenig Staͤdte uͤberhaupt
wird es geben, wo ſo viele vortreffliche Pferde beiſammen
waͤren, wie in unſerm Lager; da ſind die kleinen magern,
mit Kameelmilch genaͤhrten Renner, das kraͤftige turkmani-
ſche Roß mit ſchwerem Hals und Kopf, aber prachtvoller
Kruppe, das große perſiſche Pferd mit hochaufgerichteter
Vorhand, die trefflichen Thiere aus Sivas (dem vormals
wegen ſeiner Rinder ſo beruͤhmten Cappadocien), vor Allem
aber die edlen Raçen der Nedſchdi und Anneſi.
Um ſein Pferd zu probiren, jagt man hier einen ab-
ſchuͤſſigen Berghang mit Geroͤll herunter, auf dem der vor-
ſichtige und oͤkonomiſche Reiter bei uns abſitzt, aus Furcht,
das Thier im Schritt zu verbaͤllen; das Pferd darf bei
dieſer Carriere keinen falſchen Tritt thun.
Sobald wir in die Ebene kommen, ſchießen aus dem
Gefolge rechts und links Reiter hervor; ſie halten einen
Stab als Dſcherid oder Wurfſpieß, oder auch nur die rechte
Hand empor, als ob ſie den Dſcherid hielten, das Pferd
weiß nun ſchon, worauf es ankoͤmmt: es zaͤumt ſich her-
bei, ſchnaubt und tanzt auf den Hinterbeinen, bereit, bei
dem leiſeſten Stoß mit den ſchaufelartigen Steigbuͤgeln wie
ein Pfeil vorzuſchießen. Der Reiter tummelt es in den
kleinſten Volten, wobei das Pferd aufs regelmaͤßigſte ab-
changirt, dann ſchießt er mit einem Jallah! vorwaͤrts,
ſchleudert den Wurfſpieß, parirt ſein Pferd kurz aus der
geſtreckten Carriere, und kehrt (freilich das Pferd meiſt mit
blutendem Maul und triefenden Flanken) zum Haufen zu-
ruͤck, aus dem ein Anderer es ihm zuvor zu thun ſtrebt.
Die Zaͤumung der hieſigen Pferde iſt uͤbermaͤßig ſcharf;
die Kandare (Trenſen kennt man nicht) hat einen hohen
Galgen, uͤberaus lange und ſchwere Scheeren, und ſtatt der
Kinnkette einen eiſernen Ring. Faſt alle Pferde verkriechen
ſich daher hinter den Zuͤgel, und man reitet in der That
fuͤr gewoͤhnlich ohne alle Anlehnung, wozu die große Si-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/345>, abgerufen am 21.11.2024.
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