Es ist bekannt, daß die Pforte ihre Streitmacht in Asien in zwei Hauptläger aufgestellt hat, zu Koniah und in Kurdistan. Wenn Jbrahim-Pascha einen Angriffs- Krieg beschließt, so ist es immer noch am wahrscheinlich- sten, daß er trotz aller Hindernisse über den Kulek-Boghas hervorbricht, weil diese Richtung ihm die schnellen und ent- scheidenden Erfolge bietet, deren er in seiner precairen Lage für die Fortdauer seiner Existenz bedarf. Hadschi-Aly- Pascha nun sieht auf jener kürzesten und wichtigsten Straße von Syrien nach der Hauptstadt; er ist der Schwächere, und, geschützt durch Verschanzungen, wird er sich ohne Zweifel auf ein bloßes Abwehren des Gegners beschränken.
Fragen wir nun, welches für den vorausgesetzten Fall das Verhältniß Hafiß-Pascha's sein kann. Mit einem so bedeutenden Corps unthätig stehen bleiben, wird Nie- mand in den Sinn kommen; sich dem eingedrungenen Geg- ner vorschieben, ist unmöglich. Nachdem ich diese Gegen- den in allen wichtigsten Richtungen durchreiset, darf ich behaupten, daß man nur auf einem weiten Umweg über Kaisarieh sich mit Hadschi-Aly-Pascha vereinen könnte, d. h. wir haben 150 Stunden bis zum Kulek-Boghas, während der Gegner von dort nur eben so viel bis Kon- stantinopel hat; man käme also auf alle Fälle zu spät. Es bleibt daher nur übrig, gerade vorzugehen, eine Diver- sion, die jedes Unternehmen des Feindes auf Konstantino- pel unmöglich macht, so lange Hafiß-Pascha nicht eine entscheidende Schlacht verloren. Zu diesem Vorgehen also müssen wir uns die Möglichkeit bewahren.
Die Nachrichten aus Syrien vereinigen sich dahin, daß Jbrahim-Pascha Vorbereitungen zu einer Versamm- lung seines Heeres in der Gegend von Aleppo trifft: wie- viel davon bereits ausgeführt, bedarf noch einer näheren Bestätigung, da wir mit unsern Nachrichten sehr im Fin- stern tappen und meist unter den extremsten Angaben zu wählen haben. So viel ist aber klar, daß Hafiß bei die- ser Lage der Dinge nicht in Cantonnirungen verbleiben kann,
Es iſt bekannt, daß die Pforte ihre Streitmacht in Aſien in zwei Hauptlaͤger aufgeſtellt hat, zu Koniah und in Kurdiſtan. Wenn Jbrahim-Paſcha einen Angriffs- Krieg beſchließt, ſo iſt es immer noch am wahrſcheinlich- ſten, daß er trotz aller Hinderniſſe uͤber den Kulek-Boghas hervorbricht, weil dieſe Richtung ihm die ſchnellen und ent- ſcheidenden Erfolge bietet, deren er in ſeiner precairen Lage fuͤr die Fortdauer ſeiner Exiſtenz bedarf. Hadſchi-Aly- Paſcha nun ſieht auf jener kuͤrzeſten und wichtigſten Straße von Syrien nach der Hauptſtadt; er iſt der Schwaͤchere, und, geſchuͤtzt durch Verſchanzungen, wird er ſich ohne Zweifel auf ein bloßes Abwehren des Gegners beſchraͤnken.
Fragen wir nun, welches fuͤr den vorausgeſetzten Fall das Verhaͤltniß Hafiß-Paſcha's ſein kann. Mit einem ſo bedeutenden Corps unthaͤtig ſtehen bleiben, wird Nie- mand in den Sinn kommen; ſich dem eingedrungenen Geg- ner vorſchieben, iſt unmoͤglich. Nachdem ich dieſe Gegen- den in allen wichtigſten Richtungen durchreiſet, darf ich behaupten, daß man nur auf einem weiten Umweg uͤber Kaiſarieh ſich mit Hadſchi-Aly-Paſcha vereinen koͤnnte, d. h. wir haben 150 Stunden bis zum Kulek-Boghas, waͤhrend der Gegner von dort nur eben ſo viel bis Kon- ſtantinopel hat; man kaͤme alſo auf alle Faͤlle zu ſpaͤt. Es bleibt daher nur uͤbrig, gerade vorzugehen, eine Diver- ſion, die jedes Unternehmen des Feindes auf Konſtantino- pel unmoͤglich macht, ſo lange Hafiß-Paſcha nicht eine entſcheidende Schlacht verloren. Zu dieſem Vorgehen alſo muͤſſen wir uns die Moͤglichkeit bewahren.
Die Nachrichten aus Syrien vereinigen ſich dahin, daß Jbrahim-Paſcha Vorbereitungen zu einer Verſamm- lung ſeines Heeres in der Gegend von Aleppo trifft: wie- viel davon bereits ausgefuͤhrt, bedarf noch einer naͤheren Beſtaͤtigung, da wir mit unſern Nachrichten ſehr im Fin- ſtern tappen und meiſt unter den extremſten Angaben zu waͤhlen haben. So viel iſt aber klar, daß Hafiß bei die- ſer Lage der Dinge nicht in Cantonnirungen verbleiben kann,
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Es iſt bekannt, daß die Pforte ihre Streitmacht in
Aſien in zwei Hauptlaͤger aufgeſtellt hat, zu Koniah und
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Krieg beſchließt, ſo iſt es immer noch am wahrſcheinlich-
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hervorbricht, weil dieſe Richtung ihm die ſchnellen und ent-
ſcheidenden Erfolge bietet, deren er in ſeiner precairen Lage
fuͤr die Fortdauer ſeiner Exiſtenz bedarf. Hadſchi-Aly-
Paſcha nun ſieht auf jener kuͤrzeſten und wichtigſten Straße
von Syrien nach der Hauptſtadt; er iſt der Schwaͤchere,
und, geſchuͤtzt durch Verſchanzungen, wird er ſich ohne
Zweifel auf ein bloßes Abwehren des Gegners beſchraͤnken.
Fragen wir nun, welches fuͤr den vorausgeſetzten Fall
das Verhaͤltniß Hafiß-Paſcha's ſein kann. Mit einem
ſo bedeutenden Corps unthaͤtig ſtehen bleiben, wird Nie-
mand in den Sinn kommen; ſich dem eingedrungenen Geg-
ner vorſchieben, iſt unmoͤglich. Nachdem ich dieſe Gegen-
den in allen wichtigſten Richtungen durchreiſet, darf ich
behaupten, daß man nur auf einem weiten Umweg uͤber
Kaiſarieh ſich mit Hadſchi-Aly-Paſcha vereinen koͤnnte,
d. h. wir haben 150 Stunden bis zum Kulek-Boghas,
waͤhrend der Gegner von dort nur eben ſo viel bis Kon-
ſtantinopel hat; man kaͤme alſo auf alle Faͤlle zu ſpaͤt.
Es bleibt daher nur uͤbrig, gerade vorzugehen, eine Diver-
ſion, die jedes Unternehmen des Feindes auf Konſtantino-
pel unmoͤglich macht, ſo lange Hafiß-Paſcha nicht eine
entſcheidende Schlacht verloren. Zu dieſem Vorgehen alſo
muͤſſen wir uns die Moͤglichkeit bewahren.
Die Nachrichten aus Syrien vereinigen ſich dahin,
daß Jbrahim-Paſcha Vorbereitungen zu einer Verſamm-
lung ſeines Heeres in der Gegend von Aleppo trifft: wie-
viel davon bereits ausgefuͤhrt, bedarf noch einer naͤheren
Beſtaͤtigung, da wir mit unſern Nachrichten ſehr im Fin-
ſtern tappen und meiſt unter den extremſten Angaben zu
waͤhlen haben. So viel iſt aber klar, daß Hafiß bei die-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/364>, abgerufen am 22.11.2024.
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