gang. Nahe bei der Stadt bemerkte ich einen schönen Wasserfall; ein Bach stürzt (ähnlich dem Pissevache in der Schweiz) über ein vorspringendes Gestein an 60 Fuß tief, und kömmt unten als Tropfregen an, doch glaube ich, daß dieser Bach nur bei der Schneeschmelze fließt.
Jch richtete nun meinen Weg auf das alte hohe Ca- stell von Pertek, wo ich den südlichen Arm des Murad (welcher vom Ararat herab kömmt) überschritt, und dann über Karput nach Malatia zurückkehrte.
60. Versuch, den Euphrat bei hohem Wasser hinab zu fahren.
Malatia, den 12. April 1839.
Der Euphrat ist eben jetzt, wo wir ihn brauchen, um 15 Fuß gestiegen, und der Pascha war sehr in Sorge, ob es möglich sein werde, unter diesen Umständen ihn zu be- fahren, und wen er mit dem etwas mißlichen Versuche be- auftragen solle. Die erfahrensten der Kelektschi oder Ru- derer erklärten es für ganz unmöglich, die Stromschnellen hinab zu kommen, da schon bei günstigem Wasserstande von drei Versuchen zwei verunglückt wären. Beim Abendessen schlug der Pascha mir die Parthie vor; ich ritt daher den- selben Abend noch nach Ecebeh am Murad, wo mein Ke- lek oder Floß bei Fackelschein schnell gebaut wurde, und war bald nach Mitternacht flott; gegen Sonnenaufgang kam ich nach Kymyrhan, wo die schwierigen Stellen an- fangen. Das war nun freilich arg; was früher Strom- schnelle gewesen, war jetzt Wasserfall, und vor den Jilan Degirmeni mußte ich meine Arche in ihre integrirenden Theile zerlegen, Stangen, Schläuche und Gepäck über Land tragen und unterhalb des Catarakts wieder zusammensetzen lassen, worüber drei Stunden vergingen. Es regnete viel, was mir jedoch gleichgültig schien, da wir ohnehin schon
gang. Nahe bei der Stadt bemerkte ich einen ſchoͤnen Waſſerfall; ein Bach ſtuͤrzt (aͤhnlich dem Piſſevache in der Schweiz) uͤber ein vorſpringendes Geſtein an 60 Fuß tief, und koͤmmt unten als Tropfregen an, doch glaube ich, daß dieſer Bach nur bei der Schneeſchmelze fließt.
Jch richtete nun meinen Weg auf das alte hohe Ca- ſtell von Pertek, wo ich den ſuͤdlichen Arm des Murad (welcher vom Ararat herab koͤmmt) uͤberſchritt, und dann uͤber Karput nach Malatia zuruͤckkehrte.
60. Verſuch, den Euphrat bei hohem Waſſer hinab zu fahren.
Malatia, den 12. April 1839.
Der Euphrat iſt eben jetzt, wo wir ihn brauchen, um 15 Fuß geſtiegen, und der Paſcha war ſehr in Sorge, ob es moͤglich ſein werde, unter dieſen Umſtaͤnden ihn zu be- fahren, und wen er mit dem etwas mißlichen Verſuche be- auftragen ſolle. Die erfahrenſten der Kelektſchi oder Ru- derer erklaͤrten es fuͤr ganz unmoͤglich, die Stromſchnellen hinab zu kommen, da ſchon bei guͤnſtigem Waſſerſtande von drei Verſuchen zwei verungluͤckt waͤren. Beim Abendeſſen ſchlug der Paſcha mir die Parthie vor; ich ritt daher den- ſelben Abend noch nach Ecebeh am Murad, wo mein Ke- lek oder Floß bei Fackelſchein ſchnell gebaut wurde, und war bald nach Mitternacht flott; gegen Sonnenaufgang kam ich nach Kymyrhan, wo die ſchwierigen Stellen an- fangen. Das war nun freilich arg; was fruͤher Strom- ſchnelle geweſen, war jetzt Waſſerfall, und vor den Jilan Degirmeni mußte ich meine Arche in ihre integrirenden Theile zerlegen, Stangen, Schlaͤuche und Gepaͤck uͤber Land tragen und unterhalb des Catarakts wieder zuſammenſetzen laſſen, woruͤber drei Stunden vergingen. Es regnete viel, was mir jedoch gleichguͤltig ſchien, da wir ohnehin ſchon
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gang. Nahe bei der Stadt bemerkte ich einen ſchoͤnen
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und koͤmmt unten als Tropfregen an, doch glaube ich, daß
dieſer Bach nur bei der Schneeſchmelze fließt.
Jch richtete nun meinen Weg auf das alte hohe Ca-
ſtell von Pertek, wo ich den ſuͤdlichen Arm des Murad
(welcher vom Ararat herab koͤmmt) uͤberſchritt, und dann
uͤber Karput nach Malatia zuruͤckkehrte.
60.
Verſuch, den Euphrat bei hohem Waſſer hinab
zu fahren.
Malatia, den 12. April 1839.
Der Euphrat iſt eben jetzt, wo wir ihn brauchen, um
15 Fuß geſtiegen, und der Paſcha war ſehr in Sorge, ob
es moͤglich ſein werde, unter dieſen Umſtaͤnden ihn zu be-
fahren, und wen er mit dem etwas mißlichen Verſuche be-
auftragen ſolle. Die erfahrenſten der Kelektſchi oder Ru-
derer erklaͤrten es fuͤr ganz unmoͤglich, die Stromſchnellen
hinab zu kommen, da ſchon bei guͤnſtigem Waſſerſtande von
drei Verſuchen zwei verungluͤckt waͤren. Beim Abendeſſen
ſchlug der Paſcha mir die Parthie vor; ich ritt daher den-
ſelben Abend noch nach Ecebeh am Murad, wo mein Ke-
lek oder Floß bei Fackelſchein ſchnell gebaut wurde, und
war bald nach Mitternacht flott; gegen Sonnenaufgang
kam ich nach Kymyrhan, wo die ſchwierigen Stellen an-
fangen. Das war nun freilich arg; was fruͤher Strom-
ſchnelle geweſen, war jetzt Waſſerfall, und vor den Jilan
Degirmeni mußte ich meine Arche in ihre integrirenden
Theile zerlegen, Stangen, Schlaͤuche und Gepaͤck uͤber Land
tragen und unterhalb des Catarakts wieder zuſammenſetzen
laſſen, woruͤber drei Stunden vergingen. Es regnete viel,
was mir jedoch gleichguͤltig ſchien, da wir ohnehin ſchon
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/371>, abgerufen am 22.11.2024.
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