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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841.

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wir, bei der Schnelligkeit des Stroms, in Gerger, unter-
halb der Wasserfälle, sein. -- "Nicht um Venedig!" Nie-
mand wollte mehr mitspielen. Die Frage der Schiffbarkeit
war übrigens vollkommen beantwortet, die Unmöglichkeit,
Güter hinab zu flößen, lag zu Tage, und ich fand mich
genöthigt, umzukehren.

Ein neue Verlegenheit bereitete uns aber jetzt die Stelle,
wo wir gestrandet waren; vor uns der Murad, von dem
wir nun doch einmal nichts mehr wissen wollten, hinter
uns eine Felswand, die bis zur Schneegrenze emporstieg.
Nach zwei vergeblichen Versuchen blieb nichts übrig, als
in einem Bache, oder vielmehr in einem Wasserfall empor-
klettern, und ich glaube gewiß, daß wir weit über tausend
Fuß empor stiegen. Die Steine, die unsere Füße los stie-
ßen, rollten bis in den Fluß, und dabei mußten wir ein
paar Ocka Wasser mit hinauftragen, welche die Kleider ein-
gesogen hatten. Jn Telek, wo Alles zusammen gelaufen
war, um unsere Abfahrt zu sehen, hatte man uns verlo-
ren gegeben; das ganze Dorf wurde nun aufgeboten, um
unser Wrack zu bergen, und gegen Mittag saßen wir auf
Mauleseln, die uns den Weg, welchen wir so schnell hinab
gekommen, langsam und mühsam zurücktrugen; denn bald
erhob sich der enge Pfad bis zum Schnee, bald senkte er
sich bis zum Ufer hinab, dabei waren die Bäche so ange-
schwollen, daß unsere armen Thiere nahe daran waren, den
Grund zu verlieren, wodurch wir dann wieder dem "Chodja
Murad" in die Arme geführt worden wären. Endlich ge-
stern Abend, nach drei Tagen, stand ich mit der unwillkom-
menen Mähr vor dem Bassen.

Wir haben jetzt nur zwei Wege von hier durch den
Taurus, davon der eine der Artillerie eingeräumt werden
muß, sie mag sich daran versuchen; der andere, für die
Jnfanterie, ist noch mit hohem, aber leider schmelzendem
Schnee bedeckt. Es wäre vernünftig, noch ein paar Tage
stehen zu bleiben, aber übermorgen ist Ai-Baschi, der erste
des Monds, und zwar fängt dann der Monat Sefer an,

wir, bei der Schnelligkeit des Stroms, in Gerger, unter-
halb der Waſſerfaͤlle, ſein. — „Nicht um Venedig!“ Nie-
mand wollte mehr mitſpielen. Die Frage der Schiffbarkeit
war uͤbrigens vollkommen beantwortet, die Unmoͤglichkeit,
Guͤter hinab zu floͤßen, lag zu Tage, und ich fand mich
genoͤthigt, umzukehren.

Ein neue Verlegenheit bereitete uns aber jetzt die Stelle,
wo wir geſtrandet waren; vor uns der Murad, von dem
wir nun doch einmal nichts mehr wiſſen wollten, hinter
uns eine Felswand, die bis zur Schneegrenze emporſtieg.
Nach zwei vergeblichen Verſuchen blieb nichts uͤbrig, als
in einem Bache, oder vielmehr in einem Waſſerfall empor-
klettern, und ich glaube gewiß, daß wir weit uͤber tauſend
Fuß empor ſtiegen. Die Steine, die unſere Fuͤße los ſtie-
ßen, rollten bis in den Fluß, und dabei mußten wir ein
paar Ocka Waſſer mit hinauftragen, welche die Kleider ein-
geſogen hatten. Jn Telek, wo Alles zuſammen gelaufen
war, um unſere Abfahrt zu ſehen, hatte man uns verlo-
ren gegeben; das ganze Dorf wurde nun aufgeboten, um
unſer Wrack zu bergen, und gegen Mittag ſaßen wir auf
Mauleſeln, die uns den Weg, welchen wir ſo ſchnell hinab
gekommen, langſam und muͤhſam zuruͤcktrugen; denn bald
erhob ſich der enge Pfad bis zum Schnee, bald ſenkte er
ſich bis zum Ufer hinab, dabei waren die Baͤche ſo ange-
ſchwollen, daß unſere armen Thiere nahe daran waren, den
Grund zu verlieren, wodurch wir dann wieder dem „Chodja
Murad“ in die Arme gefuͤhrt worden waͤren. Endlich ge-
ſtern Abend, nach drei Tagen, ſtand ich mit der unwillkom-
menen Maͤhr vor dem Baſſen.

Wir haben jetzt nur zwei Wege von hier durch den
Taurus, davon der eine der Artillerie eingeraͤumt werden
muß, ſie mag ſich daran verſuchen; der andere, fuͤr die
Jnfanterie, iſt noch mit hohem, aber leider ſchmelzendem
Schnee bedeckt. Es waͤre vernuͤnftig, noch ein paar Tage
ſtehen zu bleiben, aber uͤbermorgen iſt Ai-Baſchi, der erſte
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[364/0374] wir, bei der Schnelligkeit des Stroms, in Gerger, unter- halb der Waſſerfaͤlle, ſein. — „Nicht um Venedig!“ Nie- mand wollte mehr mitſpielen. Die Frage der Schiffbarkeit war uͤbrigens vollkommen beantwortet, die Unmoͤglichkeit, Guͤter hinab zu floͤßen, lag zu Tage, und ich fand mich genoͤthigt, umzukehren. Ein neue Verlegenheit bereitete uns aber jetzt die Stelle, wo wir geſtrandet waren; vor uns der Murad, von dem wir nun doch einmal nichts mehr wiſſen wollten, hinter uns eine Felswand, die bis zur Schneegrenze emporſtieg. Nach zwei vergeblichen Verſuchen blieb nichts uͤbrig, als in einem Bache, oder vielmehr in einem Waſſerfall empor- klettern, und ich glaube gewiß, daß wir weit uͤber tauſend Fuß empor ſtiegen. Die Steine, die unſere Fuͤße los ſtie- ßen, rollten bis in den Fluß, und dabei mußten wir ein paar Ocka Waſſer mit hinauftragen, welche die Kleider ein- geſogen hatten. Jn Telek, wo Alles zuſammen gelaufen war, um unſere Abfahrt zu ſehen, hatte man uns verlo- ren gegeben; das ganze Dorf wurde nun aufgeboten, um unſer Wrack zu bergen, und gegen Mittag ſaßen wir auf Mauleſeln, die uns den Weg, welchen wir ſo ſchnell hinab gekommen, langſam und muͤhſam zuruͤcktrugen; denn bald erhob ſich der enge Pfad bis zum Schnee, bald ſenkte er ſich bis zum Ufer hinab, dabei waren die Baͤche ſo ange- ſchwollen, daß unſere armen Thiere nahe daran waren, den Grund zu verlieren, wodurch wir dann wieder dem „Chodja Murad“ in die Arme gefuͤhrt worden waͤren. Endlich ge- ſtern Abend, nach drei Tagen, ſtand ich mit der unwillkom- menen Maͤhr vor dem Baſſen. Wir haben jetzt nur zwei Wege von hier durch den Taurus, davon der eine der Artillerie eingeraͤumt werden muß, ſie mag ſich daran verſuchen; der andere, fuͤr die Jnfanterie, iſt noch mit hohem, aber leider ſchmelzendem Schnee bedeckt. Es waͤre vernuͤnftig, noch ein paar Tage ſtehen zu bleiben, aber uͤbermorgen iſt Ai-Baſchi, der erſte des Monds, und zwar faͤngt dann der Monat Sefer an,

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Zitationshilfe: Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/374>, abgerufen am 22.11.2024.