Abfall von 40 Millionen Christen von der Herrschaft der Päpste sich vorbereitete, drangen die Moslem siegreich bis in Steiermark und Salzburg vor. Der vornehmste Fürst des damaligen Europa's, der römische König, floh vor ih- nen aus seiner Hauptstadt, und wenig fehlte, so wurde der Stephan zu Wien eine Moschee, wie die Sophia zu Byzanz.
Damals gehorchten die Länder von der afrikanischen Wüste bis zum kaspischen See, und vom indischen Ocean bis zum atlantischen Meere dem Padischah. Venedig und die deutschen Kaiser standen im Tributregister der Pforte. Jhr gehorchten drei Viertheile der Küsten des mittelländi- schen Meeres; der Nil, der Euphrat und fast auch die Donau waren türkische Flüsse, der Archipel und das Schwarze Meer türkische Binnenwasser geworden. Und kaum zwei- hundert Jahre später stellt dasselbe mächtige Reich uns ein Gemälde der Auflösung vor Augen, welches ein nahes Ende zu verkünden scheint.
Jn den beiden alten Hauptstädten der Welt, zu Rom und zu Konstantinopel, hat man mit denselben Mitteln zu gleichem Zwecke gearbeitet, durch die Einheit des Dogma zur Unumschränktheit der Macht. Der Statthalter St. Peters und der Erbe der Kalifen sind darüber in gleiche Ohnmacht versunken.
Griechenland hat sich unabhängig gemacht, die Für- stenthümer Moldau, Wallachei und Serbien erkennen nur zum Schein die Oberherrschaft der Pforte, und die Türken sehen sich aus diesen ihren eigenen Provinzen verbannt. Egypten ist mehr eine feindliche Macht, als eine abhängige Provinz; das reiche Syrien und Adana, Creta, dessen Er- oberung 55 Stürme und das Leben von 70,000 Musel- männern gekostet, sind ohne Schwertschlag verloren, und der Lohn eines rebellischen Pascha's geworden. Die Herr- schaft, welche man in Tripolis kaum erst wieder gewonnen, droht aufs Neue verloren zu gehen. Die übrigen afrika- nischen Staaten am mittelländischen Meere stehen beinahe in keiner Verbindung mehr mit der Pforte, und wenn
Abfall von 40 Millionen Chriſten von der Herrſchaft der Paͤpſte ſich vorbereitete, drangen die Moslem ſiegreich bis in Steiermark und Salzburg vor. Der vornehmſte Fuͤrſt des damaligen Europa's, der roͤmiſche Koͤnig, floh vor ih- nen aus ſeiner Hauptſtadt, und wenig fehlte, ſo wurde der Stephan zu Wien eine Moſchee, wie die Sophia zu Byzanz.
Damals gehorchten die Laͤnder von der afrikaniſchen Wuͤſte bis zum kaspiſchen See, und vom indiſchen Ocean bis zum atlantiſchen Meere dem Padiſchah. Venedig und die deutſchen Kaiſer ſtanden im Tributregiſter der Pforte. Jhr gehorchten drei Viertheile der Kuͤſten des mittellaͤndi- ſchen Meeres; der Nil, der Euphrat und faſt auch die Donau waren tuͤrkiſche Fluͤſſe, der Archipel und das Schwarze Meer tuͤrkiſche Binnenwaſſer geworden. Und kaum zwei- hundert Jahre ſpaͤter ſtellt daſſelbe maͤchtige Reich uns ein Gemaͤlde der Aufloͤſung vor Augen, welches ein nahes Ende zu verkuͤnden ſcheint.
Jn den beiden alten Hauptſtaͤdten der Welt, zu Rom und zu Konſtantinopel, hat man mit denſelben Mitteln zu gleichem Zwecke gearbeitet, durch die Einheit des Dogma zur Unumſchraͤnktheit der Macht. Der Statthalter St. Peters und der Erbe der Kalifen ſind daruͤber in gleiche Ohnmacht verſunken.
Griechenland hat ſich unabhaͤngig gemacht, die Fuͤr- ſtenthuͤmer Moldau, Wallachei und Serbien erkennen nur zum Schein die Oberherrſchaft der Pforte, und die Tuͤrken ſehen ſich aus dieſen ihren eigenen Provinzen verbannt. Egypten iſt mehr eine feindliche Macht, als eine abhaͤngige Provinz; das reiche Syrien und Adana, Creta, deſſen Er- oberung 55 Stuͤrme und das Leben von 70,000 Muſel- maͤnnern gekoſtet, ſind ohne Schwertſchlag verloren, und der Lohn eines rebelliſchen Paſcha's geworden. Die Herr- ſchaft, welche man in Tripolis kaum erſt wieder gewonnen, droht aufs Neue verloren zu gehen. Die uͤbrigen afrika- niſchen Staaten am mittellaͤndiſchen Meere ſtehen beinahe in keiner Verbindung mehr mit der Pforte, und wenn
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Abfall von 40 Millionen Chriſten von der Herrſchaft der
Paͤpſte ſich vorbereitete, drangen die Moslem ſiegreich bis
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des damaligen Europa's, der roͤmiſche Koͤnig, floh vor ih-
nen aus ſeiner Hauptſtadt, und wenig fehlte, ſo wurde der
Stephan zu Wien eine Moſchee, wie die Sophia zu Byzanz.
Damals gehorchten die Laͤnder von der afrikaniſchen
Wuͤſte bis zum kaspiſchen See, und vom indiſchen Ocean
bis zum atlantiſchen Meere dem Padiſchah. Venedig und
die deutſchen Kaiſer ſtanden im Tributregiſter der Pforte.
Jhr gehorchten drei Viertheile der Kuͤſten des mittellaͤndi-
ſchen Meeres; der Nil, der Euphrat und faſt auch die
Donau waren tuͤrkiſche Fluͤſſe, der Archipel und das Schwarze
Meer tuͤrkiſche Binnenwaſſer geworden. Und kaum zwei-
hundert Jahre ſpaͤter ſtellt daſſelbe maͤchtige Reich uns ein
Gemaͤlde der Aufloͤſung vor Augen, welches ein nahes
Ende zu verkuͤnden ſcheint.
Jn den beiden alten Hauptſtaͤdten der Welt, zu Rom
und zu Konſtantinopel, hat man mit denſelben Mitteln zu
gleichem Zwecke gearbeitet, durch die Einheit des Dogma
zur Unumſchraͤnktheit der Macht. Der Statthalter St.
Peters und der Erbe der Kalifen ſind daruͤber in gleiche
Ohnmacht verſunken.
Griechenland hat ſich unabhaͤngig gemacht, die Fuͤr-
ſtenthuͤmer Moldau, Wallachei und Serbien erkennen nur
zum Schein die Oberherrſchaft der Pforte, und die Tuͤrken
ſehen ſich aus dieſen ihren eigenen Provinzen verbannt.
Egypten iſt mehr eine feindliche Macht, als eine abhaͤngige
Provinz; das reiche Syrien und Adana, Creta, deſſen Er-
oberung 55 Stuͤrme und das Leben von 70,000 Muſel-
maͤnnern gekoſtet, ſind ohne Schwertſchlag verloren, und
der Lohn eines rebelliſchen Paſcha's geworden. Die Herr-
ſchaft, welche man in Tripolis kaum erſt wieder gewonnen,
droht aufs Neue verloren zu gehen. Die uͤbrigen afrika-
niſchen Staaten am mittellaͤndiſchen Meere ſtehen beinahe
in keiner Verbindung mehr mit der Pforte, und wenn
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/54>, abgerufen am 04.12.2024.
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