einen neuen Pascha einsetzen kann. Jn einigen, aber we- nigen, Paschaliks hat man jedoch angefangen, bessere Wirth- schaft zu treiben. Die administrative Gewalt ist von der militairischen getrennt worden, und die Besteuerten selbst haben sich zu höhern Abgaben verstanden, sofern sie an die Staatskasse zahlen dürften.
Die Geschenke sind, wie im ganzen Orient, so auch hier allgemein üblich. Ohne ein Geschenk darf der Gerin- gere sich dem Höhern nicht nahen; wer Recht bei seinem Richter sucht, muß eine Gabe mitbringen. Beamten und Officiere empfangen Trinkgelder; aber wer am meisten ge- schenkt nimmt, ist der Großherr selbst.
Die Auskunft der Münzverschlechterung ist bereits bis zur Erschöpfung benutzt worden. Noch vor zwölf Jahren galt der spanische Thaler 7 Piaster, jetzt kauft man ihn für 21. Wer damals über ein Vermögen von 100,000 Thlrn. verfügte, findet heute, daß er nur 33,000 besitzt. Diese Calamität ist größer in der Türkei, als in jedem andern Lande, weil sehr wenig Kapitalien in Grundbesitz angelegt werden, und die Reichthümer hier meist nur aus Geldver- mögen bestehen. Jn den gesitteten Ländern Europa's ent- springen die Vermögen aus irgend einer wirklichen Hervor- bringung werthvoller Gegenstände; der, welcher auf diese Weise seinen Reichthum erwirbt, mehrt zugleich den des Staats, und das Geld ist nur der Ausdruck für die Menge sachlicher Güter, über welche er verfügt. Jn der Türkei ist die Münze das Gut selbst, und Reichthum eine zufällige Anhäufung der einmal vorhandenen Geldmenge auf das eine oder auf das andere Jndividuum. Der sehr hohe Zinsfuß von gesetzlich 20 Procent ist in diesem Lande weit entfernt, ein Beweis von der großen Thätigkeit der Kapi- talien zu sein; er zeugt nur von der Gefahr, welche damit verbunden ist, sein Geld aus der Hand zu geben. Die Bedingung alles Reichthums hier ist, daß man ihn flüch- ten könne. Der Rajah wird lieber ein Geschmeide für 100,000 Piaster kaufen, als eine Fabrik, eine Mühle oder
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einen neuen Paſcha einſetzen kann. Jn einigen, aber we- nigen, Paſchaliks hat man jedoch angefangen, beſſere Wirth- ſchaft zu treiben. Die adminiſtrative Gewalt iſt von der militairiſchen getrennt worden, und die Beſteuerten ſelbſt haben ſich zu hoͤhern Abgaben verſtanden, ſofern ſie an die Staatskaſſe zahlen duͤrften.
Die Geſchenke ſind, wie im ganzen Orient, ſo auch hier allgemein uͤblich. Ohne ein Geſchenk darf der Gerin- gere ſich dem Hoͤhern nicht nahen; wer Recht bei ſeinem Richter ſucht, muß eine Gabe mitbringen. Beamten und Officiere empfangen Trinkgelder; aber wer am meiſten ge- ſchenkt nimmt, iſt der Großherr ſelbſt.
Die Auskunft der Muͤnzverſchlechterung iſt bereits bis zur Erſchoͤpfung benutzt worden. Noch vor zwoͤlf Jahren galt der ſpaniſche Thaler 7 Piaſter, jetzt kauft man ihn fuͤr 21. Wer damals uͤber ein Vermoͤgen von 100,000 Thlrn. verfuͤgte, findet heute, daß er nur 33,000 beſitzt. Dieſe Calamitaͤt iſt groͤßer in der Tuͤrkei, als in jedem andern Lande, weil ſehr wenig Kapitalien in Grundbeſitz angelegt werden, und die Reichthuͤmer hier meiſt nur aus Geldver- moͤgen beſtehen. Jn den geſitteten Laͤndern Europa's ent- ſpringen die Vermoͤgen aus irgend einer wirklichen Hervor- bringung werthvoller Gegenſtaͤnde; der, welcher auf dieſe Weiſe ſeinen Reichthum erwirbt, mehrt zugleich den des Staats, und das Geld iſt nur der Ausdruck fuͤr die Menge ſachlicher Guͤter, uͤber welche er verfuͤgt. Jn der Tuͤrkei iſt die Muͤnze das Gut ſelbſt, und Reichthum eine zufaͤllige Anhaͤufung der einmal vorhandenen Geldmenge auf das eine oder auf das andere Jndividuum. Der ſehr hohe Zinsfuß von geſetzlich 20 Procent iſt in dieſem Lande weit entfernt, ein Beweis von der großen Thaͤtigkeit der Kapi- talien zu ſein; er zeugt nur von der Gefahr, welche damit verbunden iſt, ſein Geld aus der Hand zu geben. Die Bedingung alles Reichthums hier iſt, daß man ihn fluͤch- ten koͤnne. Der Rajah wird lieber ein Geſchmeide fuͤr 100,000 Piaſter kaufen, als eine Fabrik, eine Muͤhle oder
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einen neuen Paſcha einſetzen kann. Jn einigen, aber we-
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militairiſchen getrennt worden, und die Beſteuerten ſelbſt
haben ſich zu hoͤhern Abgaben verſtanden, ſofern ſie an die
Staatskaſſe zahlen duͤrften.
Die Geſchenke ſind, wie im ganzen Orient, ſo auch
hier allgemein uͤblich. Ohne ein Geſchenk darf der Gerin-
gere ſich dem Hoͤhern nicht nahen; wer Recht bei ſeinem
Richter ſucht, muß eine Gabe mitbringen. Beamten und
Officiere empfangen Trinkgelder; aber wer am meiſten ge-
ſchenkt nimmt, iſt der Großherr ſelbſt.
Die Auskunft der Muͤnzverſchlechterung iſt bereits bis
zur Erſchoͤpfung benutzt worden. Noch vor zwoͤlf Jahren
galt der ſpaniſche Thaler 7 Piaſter, jetzt kauft man ihn fuͤr
21. Wer damals uͤber ein Vermoͤgen von 100,000 Thlrn.
verfuͤgte, findet heute, daß er nur 33,000 beſitzt. Dieſe
Calamitaͤt iſt groͤßer in der Tuͤrkei, als in jedem andern
Lande, weil ſehr wenig Kapitalien in Grundbeſitz angelegt
werden, und die Reichthuͤmer hier meiſt nur aus Geldver-
moͤgen beſtehen. Jn den geſitteten Laͤndern Europa's ent-
ſpringen die Vermoͤgen aus irgend einer wirklichen Hervor-
bringung werthvoller Gegenſtaͤnde; der, welcher auf dieſe
Weiſe ſeinen Reichthum erwirbt, mehrt zugleich den des
Staats, und das Geld iſt nur der Ausdruck fuͤr die Menge
ſachlicher Guͤter, uͤber welche er verfuͤgt. Jn der Tuͤrkei
iſt die Muͤnze das Gut ſelbſt, und Reichthum eine zufaͤllige
Anhaͤufung der einmal vorhandenen Geldmenge auf das
eine oder auf das andere Jndividuum. Der ſehr hohe
Zinsfuß von geſetzlich 20 Procent iſt in dieſem Lande weit
entfernt, ein Beweis von der großen Thaͤtigkeit der Kapi-
talien zu ſein; er zeugt nur von der Gefahr, welche damit
verbunden iſt, ſein Geld aus der Hand zu geben. Die
Bedingung alles Reichthums hier iſt, daß man ihn fluͤch-
ten koͤnne. Der Rajah wird lieber ein Geſchmeide fuͤr
100,000 Piaſter kaufen, als eine Fabrik, eine Muͤhle oder
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/59>, abgerufen am 04.12.2024.
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