12. Vermählungsfeier der Großherrlichen Tochter. -- Der Metach oder öffentliche Erzähler.
Konstantinopel, den 5. Mai 1836.
Vorgestern gab der Sultan den Gesandten ein pracht- volles Diner zur Feier der Vermählung seiner zweiten Toch- ter Mihrimah, auf deutsch Sonnenmond. Man versam- melte sich in einem Kiosk, der von allen Seiten offen war und eine weite Aussicht über Konstantinopel, Pera und das Meer gewährte. Unter den Fenstern waren Seiltänzer, Kunstreiter, persische Mimiker und zahllose Zuschauer. Die Frauen in ihren weiten Mänteln und weißen Schleiern sa- ßen eine neben der andern an einer hohen Berglehne bis oben hinauf. Eine Stunde vor Sonnenuntergang führte man uns in ein sehr großes alttürkisches Zelt, in welchem eine Tafel für hundert Personen gedeckt war. Die bron- zenen Aufsätze, das Silber und Porcellan waren in der That prächtig. Mehr als 200 Kerzen beleuchteten die Ge- sellschaft, welche außer dem diplomatischen Corps, aus dem Schwiegersohn des Großherrn, den Veziren und den ersten Würdenträgern des Reichs bestand. Nach Tische ging es wieder in den Kiosk, von wo aus man ein Feuerwerk ab- brennen sah. Beim Nachhausefahren aber nahm der er- leuchtete Bosphor sich sehr schön aus. Die Natur muß hier immer das Beste thun; wenn man die ganze Feier- lichkeit in eine andere Gegend versetzte, so verlor sie ihren Glanz.
Gestern wurde die Aussteuer der Prinzessin in ihre neue Wohnung geführt. Unter Bedeckung von Cavallerie und unter Vortritt einiger Pascha's erschienen 40 Maulthiere mit großen Ballen kostbarer Stoffe, dann einige 20 Wagen mit Shawls, Teppichen, Seidenzeugen u. s. w., endlich 160 Träger mit großen silbernen Schüsseln auf dem Haupt. Jn der ersten lag ein prachtvoll mit Gold und Perlen ein-
12. Vermaͤhlungsfeier der Großherrlichen Tochter. — Der Metach oder oͤffentliche Erzaͤhler.
Konſtantinopel, den 5. Mai 1836.
Vorgeſtern gab der Sultan den Geſandten ein pracht- volles Diner zur Feier der Vermaͤhlung ſeiner zweiten Toch- ter Mihrimah, auf deutſch Sonnenmond. Man verſam- melte ſich in einem Kiosk, der von allen Seiten offen war und eine weite Ausſicht uͤber Konſtantinopel, Pera und das Meer gewaͤhrte. Unter den Fenſtern waren Seiltaͤnzer, Kunſtreiter, perſiſche Mimiker und zahlloſe Zuſchauer. Die Frauen in ihren weiten Maͤnteln und weißen Schleiern ſa- ßen eine neben der andern an einer hohen Berglehne bis oben hinauf. Eine Stunde vor Sonnenuntergang fuͤhrte man uns in ein ſehr großes alttuͤrkiſches Zelt, in welchem eine Tafel fuͤr hundert Perſonen gedeckt war. Die bron- zenen Aufſaͤtze, das Silber und Porcellan waren in der That praͤchtig. Mehr als 200 Kerzen beleuchteten die Ge- ſellſchaft, welche außer dem diplomatiſchen Corps, aus dem Schwiegerſohn des Großherrn, den Veziren und den erſten Wuͤrdentraͤgern des Reichs beſtand. Nach Tiſche ging es wieder in den Kiosk, von wo aus man ein Feuerwerk ab- brennen ſah. Beim Nachhauſefahren aber nahm der er- leuchtete Bosphor ſich ſehr ſchoͤn aus. Die Natur muß hier immer das Beſte thun; wenn man die ganze Feier- lichkeit in eine andere Gegend verſetzte, ſo verlor ſie ihren Glanz.
Geſtern wurde die Ausſteuer der Prinzeſſin in ihre neue Wohnung gefuͤhrt. Unter Bedeckung von Cavallerie und unter Vortritt einiger Paſcha's erſchienen 40 Maulthiere mit großen Ballen koſtbarer Stoffe, dann einige 20 Wagen mit Shawls, Teppichen, Seidenzeugen u. ſ. w., endlich 160 Traͤger mit großen ſilbernen Schuͤſſeln auf dem Haupt. Jn der erſten lag ein prachtvoll mit Gold und Perlen ein-
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12.
Vermaͤhlungsfeier der Großherrlichen Tochter. —
Der Metach oder oͤffentliche Erzaͤhler.
Konſtantinopel, den 5. Mai 1836.
Vorgeſtern gab der Sultan den Geſandten ein pracht-
volles Diner zur Feier der Vermaͤhlung ſeiner zweiten Toch-
ter Mihrimah, auf deutſch Sonnenmond. Man verſam-
melte ſich in einem Kiosk, der von allen Seiten offen war
und eine weite Ausſicht uͤber Konſtantinopel, Pera und das
Meer gewaͤhrte. Unter den Fenſtern waren Seiltaͤnzer,
Kunſtreiter, perſiſche Mimiker und zahlloſe Zuſchauer. Die
Frauen in ihren weiten Maͤnteln und weißen Schleiern ſa-
ßen eine neben der andern an einer hohen Berglehne bis
oben hinauf. Eine Stunde vor Sonnenuntergang fuͤhrte
man uns in ein ſehr großes alttuͤrkiſches Zelt, in welchem
eine Tafel fuͤr hundert Perſonen gedeckt war. Die bron-
zenen Aufſaͤtze, das Silber und Porcellan waren in der
That praͤchtig. Mehr als 200 Kerzen beleuchteten die Ge-
ſellſchaft, welche außer dem diplomatiſchen Corps, aus dem
Schwiegerſohn des Großherrn, den Veziren und den erſten
Wuͤrdentraͤgern des Reichs beſtand. Nach Tiſche ging es
wieder in den Kiosk, von wo aus man ein Feuerwerk ab-
brennen ſah. Beim Nachhauſefahren aber nahm der er-
leuchtete Bosphor ſich ſehr ſchoͤn aus. Die Natur muß
hier immer das Beſte thun; wenn man die ganze Feier-
lichkeit in eine andere Gegend verſetzte, ſo verlor ſie ihren
Glanz.
Geſtern wurde die Ausſteuer der Prinzeſſin in ihre neue
Wohnung gefuͤhrt. Unter Bedeckung von Cavallerie und
unter Vortritt einiger Paſcha's erſchienen 40 Maulthiere
mit großen Ballen koſtbarer Stoffe, dann einige 20 Wagen
mit Shawls, Teppichen, Seidenzeugen u. ſ. w., endlich
160 Traͤger mit großen ſilbernen Schuͤſſeln auf dem Haupt.
Jn der erſten lag ein prachtvoll mit Gold und Perlen ein-
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Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/68>, abgerufen am 25.11.2024.
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