Herren, verschmitzten Dienern und wunderbaren Ereignissen erzählt, oft aber auch die politischen Verhältnisse des Au- genblicks mit in sein Mährchen hineinzieht und manchmal großen Einfluß auf die Menge übt. Obwohl ich keine Silbe verstand, so hörte und sah ich dem Mann doch mit Vergnügen eine Weile zu. Bald sprach er wie ein vorneh- mer Effendi, bald als Badewärter; dann ahmte er die kei- fende Stimme einer Matrone, den Dialekt eines Armeniers, eines Franken, eines Juden nach. Sein Publikum, das dankbarste, das man haben kann, folgte mit der größten Aufmerksamkeit rauchend und lachend dem Vortrag. Als der Metach an die interessanteste Stelle gekommen, hielt er inne und ging mit einer zinnernen Tasse umher, in welche Jedermann einen Para warf, um sich das Ende der Ge- schichte zu erkaufen.
13. Der Frühling am Bosphor. -- Türkisches diploma- tisches Mittagsessen.
Pera, den 20. Mai 1836.
Seit einigen Tagen ist es plötzlich so kalt geworden, daß wir einheizen müssen, und erst mit der Sonnenfinster- niß am 15. Mai hat sich der Frühling aufs Neue einge- stellt. Die Nähe des Schwarzen Meeres macht, daß jeder Nordwind bis zum Juni Kälte mit sich bringt. Höchst auffallend ist die Temperatur-Verschiedenheit zwischen Pera und Bujukdere. Obwohl dieser Sommeraufenthalt der Ge- sandten nur drei Meilen von hier entfernt ist, so herrscht doch stets ein Unterschied von mehreren Graden, und oft wenn hier Südwind weht, hat man dort Nordwind. Um so angenehmer ist der Aufenthalt von Bujukdere in der Sommerhitze. Merkwürdig ist mir auch die Langsamkeit gewesen, mit welcher die Vegetation sich hier entwickelt; die Pflanzen scheinen zu wissen, daß sie sich nicht zu beei-
Herren, verſchmitzten Dienern und wunderbaren Ereigniſſen erzaͤhlt, oft aber auch die politiſchen Verhaͤltniſſe des Au- genblicks mit in ſein Maͤhrchen hineinzieht und manchmal großen Einfluß auf die Menge uͤbt. Obwohl ich keine Silbe verſtand, ſo hoͤrte und ſah ich dem Mann doch mit Vergnuͤgen eine Weile zu. Bald ſprach er wie ein vorneh- mer Effendi, bald als Badewaͤrter; dann ahmte er die kei- fende Stimme einer Matrone, den Dialekt eines Armeniers, eines Franken, eines Juden nach. Sein Publikum, das dankbarſte, das man haben kann, folgte mit der groͤßten Aufmerkſamkeit rauchend und lachend dem Vortrag. Als der Metach an die intereſſanteſte Stelle gekommen, hielt er inne und ging mit einer zinnernen Taſſe umher, in welche Jedermann einen Para warf, um ſich das Ende der Ge- ſchichte zu erkaufen.
13. Der Fruͤhling am Bosphor. — Tuͤrkiſches diploma- tiſches Mittagseſſen.
Pera, den 20. Mai 1836.
Seit einigen Tagen iſt es ploͤtzlich ſo kalt geworden, daß wir einheizen muͤſſen, und erſt mit der Sonnenfinſter- niß am 15. Mai hat ſich der Fruͤhling aufs Neue einge- ſtellt. Die Naͤhe des Schwarzen Meeres macht, daß jeder Nordwind bis zum Juni Kaͤlte mit ſich bringt. Hoͤchſt auffallend iſt die Temperatur-Verſchiedenheit zwiſchen Pera und Bujukdere. Obwohl dieſer Sommeraufenthalt der Ge- ſandten nur drei Meilen von hier entfernt iſt, ſo herrſcht doch ſtets ein Unterſchied von mehreren Graden, und oft wenn hier Suͤdwind weht, hat man dort Nordwind. Um ſo angenehmer iſt der Aufenthalt von Bujukdere in der Sommerhitze. Merkwuͤrdig iſt mir auch die Langſamkeit geweſen, mit welcher die Vegetation ſich hier entwickelt; die Pflanzen ſcheinen zu wiſſen, daß ſie ſich nicht zu beei-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0070"n="60"/>
Herren, verſchmitzten Dienern und wunderbaren Ereigniſſen<lb/>
erzaͤhlt, oft aber auch die politiſchen Verhaͤltniſſe des Au-<lb/>
genblicks mit in ſein Maͤhrchen hineinzieht und manchmal<lb/>
großen Einfluß auf die Menge uͤbt. Obwohl ich keine<lb/>
Silbe verſtand, ſo hoͤrte und ſah ich dem Mann doch mit<lb/>
Vergnuͤgen eine Weile zu. Bald ſprach er wie ein vorneh-<lb/>
mer Effendi, bald als Badewaͤrter; dann ahmte er die kei-<lb/>
fende Stimme einer Matrone, den Dialekt eines Armeniers,<lb/>
eines Franken, eines Juden nach. Sein Publikum, das<lb/>
dankbarſte, das man haben kann, folgte mit der groͤßten<lb/>
Aufmerkſamkeit rauchend und lachend dem Vortrag. Als<lb/>
der Metach an die intereſſanteſte Stelle gekommen, hielt er<lb/>
inne und ging mit einer zinnernen Taſſe umher, in welche<lb/>
Jedermann einen Para warf, um ſich das Ende der Ge-<lb/>ſchichte zu erkaufen.</p></div><lb/><divn="1"><head>13.<lb/><hirendition="#b">Der Fruͤhling am Bosphor. — Tuͤrkiſches diploma-<lb/>
tiſches Mittagseſſen.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#et">Pera, den 20. Mai 1836.</hi></dateline><lb/><p>Seit einigen Tagen iſt es ploͤtzlich ſo kalt geworden,<lb/>
daß wir einheizen muͤſſen, und erſt mit der Sonnenfinſter-<lb/>
niß am 15. Mai hat ſich der Fruͤhling aufs Neue einge-<lb/>ſtellt. Die Naͤhe des Schwarzen Meeres macht, daß jeder<lb/>
Nordwind bis zum Juni Kaͤlte mit ſich bringt. Hoͤchſt<lb/>
auffallend iſt die Temperatur-Verſchiedenheit zwiſchen Pera<lb/>
und Bujukdere. Obwohl dieſer Sommeraufenthalt der Ge-<lb/>ſandten nur drei Meilen von hier entfernt iſt, ſo herrſcht<lb/>
doch ſtets ein Unterſchied von mehreren Graden, und oft<lb/>
wenn hier Suͤdwind weht, hat man dort Nordwind. Um<lb/>ſo angenehmer iſt der Aufenthalt von Bujukdere in der<lb/>
Sommerhitze. Merkwuͤrdig iſt mir auch die Langſamkeit<lb/>
geweſen, mit welcher die Vegetation ſich hier entwickelt;<lb/>
die Pflanzen ſcheinen zu wiſſen, daß ſie ſich nicht zu beei-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[60/0070]
Herren, verſchmitzten Dienern und wunderbaren Ereigniſſen
erzaͤhlt, oft aber auch die politiſchen Verhaͤltniſſe des Au-
genblicks mit in ſein Maͤhrchen hineinzieht und manchmal
großen Einfluß auf die Menge uͤbt. Obwohl ich keine
Silbe verſtand, ſo hoͤrte und ſah ich dem Mann doch mit
Vergnuͤgen eine Weile zu. Bald ſprach er wie ein vorneh-
mer Effendi, bald als Badewaͤrter; dann ahmte er die kei-
fende Stimme einer Matrone, den Dialekt eines Armeniers,
eines Franken, eines Juden nach. Sein Publikum, das
dankbarſte, das man haben kann, folgte mit der groͤßten
Aufmerkſamkeit rauchend und lachend dem Vortrag. Als
der Metach an die intereſſanteſte Stelle gekommen, hielt er
inne und ging mit einer zinnernen Taſſe umher, in welche
Jedermann einen Para warf, um ſich das Ende der Ge-
ſchichte zu erkaufen.
13.
Der Fruͤhling am Bosphor. — Tuͤrkiſches diploma-
tiſches Mittagseſſen.
Pera, den 20. Mai 1836.
Seit einigen Tagen iſt es ploͤtzlich ſo kalt geworden,
daß wir einheizen muͤſſen, und erſt mit der Sonnenfinſter-
niß am 15. Mai hat ſich der Fruͤhling aufs Neue einge-
ſtellt. Die Naͤhe des Schwarzen Meeres macht, daß jeder
Nordwind bis zum Juni Kaͤlte mit ſich bringt. Hoͤchſt
auffallend iſt die Temperatur-Verſchiedenheit zwiſchen Pera
und Bujukdere. Obwohl dieſer Sommeraufenthalt der Ge-
ſandten nur drei Meilen von hier entfernt iſt, ſo herrſcht
doch ſtets ein Unterſchied von mehreren Graden, und oft
wenn hier Suͤdwind weht, hat man dort Nordwind. Um
ſo angenehmer iſt der Aufenthalt von Bujukdere in der
Sommerhitze. Merkwuͤrdig iſt mir auch die Langſamkeit
geweſen, mit welcher die Vegetation ſich hier entwickelt;
die Pflanzen ſcheinen zu wiſſen, daß ſie ſich nicht zu beei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Moltke, Helmuth Karl Bernhard von: Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. Berlin u. a., 1841, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moltke_zustaende_1841/70>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.